Von enttäuschter Liebe und Verachtung – ein dennoch märchenhaftes Ballett

Print Friendly, PDF & Email

Das Staatsballet Berlin präsentiert eine fabelhafte Polina Semionova als Tatjana in ONEGIN

Olga (mitte); Copyright Enrico Nawrath

Olga (mitte); Copyright Enrico Nawrath

Polina Semionova kam bereits mit kaum 18 Jahren als Tänzerin zum Staatsballett Berlin. Zehn Jahre verblieb sie als Ausnahmetalent im Ensemble. Seit 2012 ist sie als Erste Solistin Mitglied des American Ballet Theatre in New York. Glücklicherweise darf das Staatsballett Berlin sie weiterhin als Principal Guest willkommen heißen – so erlebt das Berliner Publikum den außergewöhnlichen Genuss ihres fabelhaften Tanzes der Tatjana in ONEGIN. Polina tanzt nahezu alle klassischen und neoklassischen Ballette. Im Rahmen des Engagements mit dem Staatsballett Berlin ist sie auch in Romeo und Julia sowie Dornröschen zu sehen. In der Einführung zum Ballett ONEGIN in der Staatsoper am Schillertheater wird Polina besonders hervorgehoben. Auf den Kommentar der vortragenden Tanzwissenschaftlerin, „sie selbst sei wohl der größte Fan von Polina“, gibt es raunenden Protest aus der Zuhörerschar – dieses Prädikat wollen offensichtlich noch einige mehr für sich in Anspruch nehmen. Und tatsächlich erleben wir eine Tatjana auf ganz außergewöhnlichem Talentniveau, die neben der Perfektion und Leichtigkeit des Balletts auch die scheuen, zweifelnden und liebenswürdigen charakterlichen Züge Ihrer Person zur Geltung bringt. Denn ONEGIN als sogenanntes abendfüllendes Handlungsballett lebt von der Übertragung einer Erzählung in reine Bewegung. Es ist eine Abwechslung aus Rezitation und Pantomime, die dem Ballett geradezu märchenhafte Züge verleiht und dabei einiges mehr als tänzerisches Können vom Ensemble einfordert.

ONEGIN ist der Transfer von Alexander Puschkins Roman „Eugen Onegin“ in eine nonverbale Darstellung. Auch wenn Tanz im Vergleich zum geschriebenen Wort einiges mehr an Ablauf benötigt, um eine Handlung zu übermitteln, kann es doch gelingen, in wenigen Bewegungen einen menschlichen Charakter aufzubauen. Die Choreographie und Inszenierung von John Cranko hatte Ihre Uraufführung bereits 1967 in Stuttgart zu Musik von Peter I. Tschaikowsky. Der in Südafrika geborene Cranko ist für seine besondere Bewegungssprache bekannt und hat sich intensiv dem Metier des „ballet d’action“ gewidmet. So werden einzelne Themen leitmotivisch verwendet, was besonders gut in den zwei „Pas-de-deux“ zwischen Onegin und Tatjana hervortritt. In der ersten gemeinsamen Szene ist Onegin wahnsinnig selbstverliebt und tanzt im Fokus um sich selbst. Immer wieder geht ein Blick und eine Aufforderung an Tatjana, aber nur wenige Augenblicke später hat Onegin wieder nur sich selbst im Blick. Tatjana bleibt nahezu unberührte und ungerührte aber schwer verliebte Zuschauerin am Rande. Im zweiten Par-de-deux ist Onegin hingegen sehr aufmerksam und umwirbt Tatjana mit all seinen traumhaften Tanzkünsten. Alle Aufmerksamkeit ist auf sie gerichtet, und Tatjana lässt sich ganz in ihre Emotionen zu Onegin fallen.

Onegin und Tatjana; Copyright Enrico Nawarth

Onegin und Tatjana; Copyright Enrico Nawarth

Der Aufbau des Ballett ist in drei Akte mit je zwei Szenen gegliedert. Somit ergibt sich die Chance für zwei Pausen, die auch so eingerichtet sind. Das ist angenehm, denn es gibt heute nicht wenige Inszenierungen von Schauspielen, die über zwei Stunden andauern und dabei auf jegliche Pause verzichten. Sicher ist dies einer intensiven Handlung in ihrer Kontinuität zuträglich, allerdings auch etwas erschöpfend für das Publikum. An diesem Abend begrüßen wir die Wahl der leichten Variante. Der erste Akt von ONEGIN widmet sich im Beginn den beiden Schwestern Tatjana und Olga, die sich an dem Spiel erfreuen, durch einen Blick in den Spiegel ihren Geliebten zu erblicken. Für Olga ist dies der Dichter Lenski. Als Tatjana in den Spiegel schaut, erblickt sie dessen Freund Onegin, der zu Besuch aus St. Petersburg gekommen ist. Sie verliebt sich augenblicklich in den in tiefes Schwarz gekleideten Dandy. Hier kommt es zum ersten bereits erwähnten Pas-de-deux, welchen Onegin als gelangweilter Städter aber weitestgehend sich selbst widmet. In der zweiten Szene, in Tatjanas Schlafgemach, träumt sie eines Nachts von Onegin, der dann auch durch den Spiegel in den Saal eintritt. Hier kommt es zum zweiten, hochromantischen Pas-de-deux, der Tatjanas Traumwelt wiederspiegelt.

Der zweite Akt widmet sich der Feierlichkeit anlässlich Tatjanas Geburtstags, und erneut trifft sie auf Onegin. Dieser reagiert allerdings gereizt auf Tatjanas offensichtliche Verliebtheit und zerreißt den von ihr verfassten Liebesbrief vor ihren Augen. Die unerträgliche Schmach noch steigernd, wirft er seine ganze Aufmerksamkeit auf Olga und brüskiert damit Lenski weit über das erträgliche Maß hinaus. Letzerer ist schließlich so außer sich, dass er seinem einstigen Freund Onegin den weißen Handschuh ins Gesicht schlägt und damit zum Duell auffordert. Jegliche Umstimmungsversuche im trüben Morgennebel misslingen und Lenski bleibt fest entschlossen, den Streit mit Onegin endgültig zu klären. Im Duell unterliegt Lenski und macht Onegin damit zu seinem Mörder.

Der dritte Akt spielt 10 Jahre später, als Tatjana inzwischen glücklich mit dem Fürsten Gremin verheiratet ist. Auf einem Ball des Fürsten erscheint ein am Leben gescheiterter Onegin, der nun in Tatjana seine einzige wahre Liebe wiedererkennt. Diesmal ist es aber die Fürstin, die sich überlegen von ihm abwendet. Auch in der finalen Szene, als Fürst Gremin trotz Protest von Tatjana abreist, gelingt es Onegin nicht mehr, Tatjanas Herz zu erreichen. Mit von Schmerz verzerrtem Gesicht lässt sie sich nur mit viel Kraft von ihm zum Tanz zwingen und für kurze Zeit im Rausch verführen. Schließlich fasst sie aber ihren finalen Entschluss und zerreißt Onegins Liebesbrief vor seinen Augen. Onegin entflieht zutiefst schockiert der Szene.

Onegin wird getanzt und gespielt von Jason Reilly, der zurzeit ein Engagement am Stuttgarter Ballett innehat. Er trägt eine tiefe Spannung in sich und kann den abgründigen Charakter des Onegin wahrlich herausragend darbieten. Des Öfteren rinnt einem ein Schauer durch den Körper, wenn es zum Zusammentreffen von Tatjana und Onegin kommt – so authentisch und geladen ist die Atmosphäre zwischen den Charakteren, deren negative Energie wiederum maßgeblich von Onegin ausgeht. Marian Walter als Lenski und Krasina Pavlova als Olga werden ebenfalls mit großer Begeisterung vom Publikum beglückwünscht. Am Ende tragen alle vier Solisten auf die Bühne geworfene weiße Rosen in den Händen und strahlen über den offensichtlich Erfolg Ihrer Aufführung.

Malte Raudszus

,

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar