Von der Etosha-Ebene zur Lodge Hamakari am Waterberg.
Abschied von Etosha, von „unserem“ Wasserloch und von den Tieren, die wir jetzt wieder wesentlich spärlicher antreffen werden. Nach dem Frühstück werfen wir einen letzten Blick auf die trinkenden Tiere, machen noch ein paar Fotos, und dann verlassen wir das Camp, das gegen halb zehn am Morgen schon wieder in brütender Hitze liegt. Unser Weg führt uns nach Süden, durch die flache, weite Savanne bis nach Outjo, wo wir nur einen kurzen Tankstop einlegen.
Weiter geht es nach Otjiwarongo, wo wir noch einmal letzte Einkäufe tätigen, dann weiter auf der B1 Richtung Windhoek. Mittlerweile ist die flache Savanne einer hügeligen Landschaft mit Sträuchern und einzelnen Bäumen gewichen. Fern im Süden zeigt sich bereits die charakteristische „Tafelberg“-Silhouette des Waterbergs. Je näher wie diesem Gebirgsmassiv kommen, desto üppiger wird die Vegetation. Die Bäume sind hier größer und tragen mehr Laub, das Gras sieht ebenfalls dichter und fetter aus.
Bereits gegen ein Uhr mittags erreichen wir schließlich unser heutiges Ziel, die „Jagd- und Gästefarm Hamakari“. Hohe dichte Bäume, von denen einer von ferne wie ein Kirchtum anmutet, umstehen das weitläufige Anwesen und verleihen ihm Schatten. Vor der Terrasse lädt ein Pool zum Bade, auf dem dichten, gepflegten Rasen stehen Liegen im Schatten der Bäume. Großzügige, modern eingerichtete Zimmer – fast Suiten! – mit Ausblick auf einen Tierpark vermitteln den Eindruck eines Fünf-Sterne-Hotels.
Nach einer Kaffeepause mit den Gastgebern, der Famillie Diekmann, die hier schon seit vier Generationen lebt, geht es im Geländewagen auf die obligatorische „Sundowner“-Tour über die Farm. Dabei halten wir an der Wasserstelle, an der im August 1904 die Hereros die folgenschwere Flucht in die Wüste beschlossen, sowie an einem kleinen Soldatenfriedhof, auf dem elf Soldaten der deutschen Schutztruppe liegen, die bei den Gefechten mit den Hereros starben.
Hausherr Wilhelm Diekmann, der die Tour selbst führt, erklärt uns dabei die historische Sicht der Namibier, die angeblich auch von den Hereros nicht bestritten wird. Demnach sind die tatsächlichen Ereignisse nachträglich aus verschiedenen Gründen – unter anderem aus „politischer Korrektheit“ – zu Lasten der Schutztruppe verzerrt worden. Die Hereros seien mitnichten in die Wüste getrieben sondern freiwillig dorthin geflohen, da sie nicht wussten, dass die Wasserlöcher im Jahr 1904 ausgetrocknet waren. Auch sei der deutsche General von Trotha den Hereros nicht in die Wüste gefolgt, weil das seinen schlecht ausgerüsteten, erschöpften und die Hitze bei weitem nicht so wie den Eingeborenen gewohnten Soldaten einfach nicht möglich gewesen sei. Sein späterer und zu Recht verurteilter Aufruf zur bedingungslosen Verfolgung der Hereros sei im Grunde genommen gegenstandslos und wirkungslos gewesen, da diese längst in die Wüste gegangen und dort großenteils umgekommen waren. Vor allem sehen die deutsch-namibischen Farmer die einseitige und freiwillige deutsche Schuldübernahme durch die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul Anfang des letzten Jahrzehnts als unsinnig und kontraproduktiv an. Trotz der dadurch entstandenen Frontstellungen und der daraus resultierenden Klage der Hereros gegen Deutschland sei das Verhältnis zwischen den weißen Farmern und der einheimischen Bevölkerung im Grunde genommen sehr gut.
Mit dem prächtigen Sonnenuntergang, den wir auf offenem Feld erleben, neigt sich wieder ein erlebnisreicher Tag seinem Ende entgegen. Beim anschließenden Abendessen auf der Terrasse der Lodge ergeben sich viele angregende Gespräche zwischen Gastgebern und Gästen sowie unter den Gästen, die sich hier teilweise neu kennenlernen. Wilhelm Diekmann erzählt Anekdoten aus seinem Leben in Namibia. So musste er einmal eine einheimische Frau entlassen, weil sie mit den anderen Frauen in der Küche nicht zusammenarbeiten konnte. Prompt verhexte der Medizinmann des Herero-Dorfes die Farm durch Vergraben bestimmter Ingredienzien auf dem Boden der Farm. Am nächsten Tag erschien keiner der einheimischen Angestellten mehr zur Arbeit. Erst als Diekmann selbst einen anderen Medizinmann mit der „offiziellen“ Aufhebung des Fluchs durch der Verbrennen der verhexten Erde beauftragte, nahmen seine Leute die Arbeit wieder auf. Er hat sich daraufhin eine dunkle Holzstatue eines Kriegers an die Wand des Hauses gehängt und sie zum Hausgott erklärt, der über das Wohl der Farm wacht. Seine Angestellten machen seitdem um diese Statue einen ehrfürchtigen Bogen. Diekmann meint, man müsse den afrikanischen Aberglauben als Tatsache akzeptieren und in den täglichen Umgang mit den Einheimischen integrieren. Der Versuche eines anderen Farmers, mit purer (westlicher) Logik und arbeitsrechtlichen Methoden vorzugehen, sei kläglich gescheitert. Mit solchen und ähnlichen Erzählungen aus dem afrikanischen Alltag vergeht der Abend bei angenehmen Temperaturen wie im Flug.
Am nächsten Morgen wollen wir die weitere Umgebung der Farm kennenlernen, vor allem den berühmten Waterberg. Das ist ein langgestrecktes Felsmassiv mit senkrechten, schründigen Seiten und einer – von weitem gesehen – fast ebenen Oberseite., ähnlich dem Tafelberg in Südafrika. Vor Jahrmillionen bildete dieses Massiv den Meeresgrund, hob sich jedoch später im Rahmen tektonischer Verwerfungen und widerstand den erodierenden Kräften von Wind und Sand. An seinen Flanken regnen sich gerne Wolken ab, und so gedeiht die Flora rund um den Waterberg prächtig. Der „Waterberg Platopark“ wird staatlich gepflegt und überwacht, und so müssen wir uns erst anmelden und eine Eintrittsgebühr entrichten. Die Autos stellen wir in einem etwas erhöhten Bereich zwischen den Bungalows der zum Park gehörenden Lodge ab und beginnen, den schmalen Pfad zum Plateau auf etwa zweihundert Metern Höhe zu erklimmen. Anfangs geht es noch gemächlich zwischen den Bäumen und Sträuchern aufwärts, nur einzelne rötliche Felsbrocken behindern den Aufstieg. Dann jedoch geht es steil bergan durch ein unwegsames Felsenfeld, und bald müssen wir die Hände zur Hilfe nehmen. Das Bergwandern wird schließlich zum Klettern, und mühsam suchen wir den mit weißen Fußabdrücken gut ausgezeichneten Weg von einem Fels zum anderen oder auf schmalen Tritten, die dem Fuß Halt geben. Dazu brennt die Sonne unbarmherzig senkrecht vom Himmel herunter, und wir sind für jeden Schattenwurf von Bäumen oder Felsen dankbar. Weiter oben führt der Kletterpfad durch eine enge Schlucht, links und rechts erheben sich steile Felswände und lassen nur einen schmalen Durchstieg.
Nach etwa zwanzig Minuten haben wir es geschafft und stehen auf einer vorgelagerten Felsplattform, die einen weiten Blick über das flache Land bis zum fernen Horizont erlaubt. Das Plateau selbst erweist sich aus der Nähe betrachtet durchaus nicht als flache – wanderbare – Ebene sondern als zerklüftete Felslandschaft, die mühsam durchklettert sein will. Wir verzichten auf diese Erkundung des Plateaus – nicht zuletzt aufgrund der Mittagshitze von weit über dreißig Grad Celsius – und steigen vorsichtig denselben Weg wieder zurück zum Auto.
Am Abend folgt die zweite „Sundowner“-Tour auf den Spuren des Vortages, da heute neue Gäste eingetroffen sind. Wir nehmen trotzdem teil, weil eine solche Tour stets unterhaltsam ist und weil heute ein weiterer Programmpunkt ansteht.
Pünktlich zum Sonnenuntergang soll der Chor einer hiesigen Schule für die Gäste aus Europe singen. Wir schaffen es dank Wilhelm Diekmanns haarscharfen Timings kurz vor dem Sonnenuntergang zu der Bühne des Ereignisses, die man wirklich so nennen kann. Mitten in der Savanne liegt ein größeres Wasserbecken, das ausnahmsweise nicht den wilden Tieren als Wasserloch dient, sondern der Farm langgfristig als Rückhaltebecken zur Verfügung steht. Wie ein natürlicher See liegt das eingezäunte und eingedeichte Becken in der Abendsonne, und lediglich die Vögel nutzen ihre besonderen Fähigkeiten, um an dem Wasser ihren Durst zu stillen. Zu dem wie am Vortag spektakulären Sonnenuntergang singen die Jungen und Mädchen der Schule afrikanische Lieder, die von ihrem Rhythmus und einer originellen Melodik leben. Dazu bewegen sich die jungen Leute je nach Ausdruck und Rhythmus der Musik, und hin und wieder gibt es auch einen Grund zum Lachen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit sitzen wir auf Steinen und Baumstämmen und hören dem Chor zu, der am liebsten gar nicht aufhören würde. Am Schluss gibt es viel Beifall und Geschenke der Gäste an die jungen Sängertruppe.
Der zweite Abend in der Hamakari-Farm bringt wieder viele unterhaltsame und informative Gespräche, und wir bedauern, dass wir morgen schon nach Windhoek zurückkehren müssen, um den Rückflug nach Deutschland anzutreten.
Frank Raudszus
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