Auf Schotterpisten über Rehoboth und Solitaire zum Sossusvlei.
Heute heißt es früh aufstehen, denn uns steht eine Fahrt von etwa vierhundert Kilometern bevor, drei Viertel davon auf Schotterpisten, über die wir bereits verschiedene Geschichten gehört haben. Angeblich baut dort jeder zehnte Autrofahrer einen Unfall, woran wohl sowohl der unebene Untergrund als auch die langen Staubfahnen schuld sind, die die Wagen hinter sich herziehen.
Nach einem kräftigen Frühstück verlassen wir bereits gegen acht Uhr morgens das gastfreundliche „Tamboti“ und besteigen unsere Geländewagen bei noch angenehmen morgendlichen Temperaturen. Etwa fünfundvierzig Minuten lang geht es auf einer guten Straße nach Süden durch das hügelige, kaum besiedelte Land bis nach Rehoboth, dem ersten größeren Ort auf der Strecke, der früher einmal eine weitgehend autonome Gemeinde für eine Mischlingsbevölkerung war. Man sieht diesem Flecken seine kurze Geschichte deutlich an, denn es fehlt ein gewachsener Ortskern. Neben der Straße reihen sich kleine Holzhäuser aneinander, und eine asphaltierte Hauptstraße führt im rechten Winkel von der Überlandstraße B6 durch die „Einkaufsmeile“ von Rehoboth. Wir tanken unsere Wagen voll, obwohl wir erst ein Viertel der Tankfüllung verbraucht haben, denn angesichts der großen Distanzen und der äußerst dünnen Besiedelung kann man so schnell nicht wieder auf eine Tankstelle hoffen. Im stark gesicherten „Bottlestore“ erwerben wir noch Wasser für die lange Fahrt in der heißen Mittagssonne, und dann verlassen wir den kleinen Ort.
Wenige Kilometer hinter Rehoboth zweigt die Strecke nach Solitaire und Sossusvlei ab, die wir nehmen müssen. Vorerst sind diese beiden Ortsnamen für uns nur „Schall und Rauch“, das heißt, wir können uns noch nichts darunter vorstellen und sehen sie nur als Stationen auf unserem Weg. Nach einigen hundert Metern geht die Asphaltstraße in eine grauweiße Schotterpiste über, die gut drei übliche Fahrspuren umfasst und uns für mehrere Stunden begleiten wird. Eine lange Staubfahne hinter uns herziehend rollen wir mit 80, manchmal 90 und manchmal 60 km/h dahin, sodass der zweite Wagen bald zurückfällt, um nicht permanent in der Staubwolke fahren zu müssen. Eine weite Landschaft begleitet uns beiderseits der Piste, eine flache Savanne mit vereinzelten grünen Bäumen und gelbgrünem Grasbewuchs prägt das Gesicht der ringsum von nackten braunen Bergzügen begrenzten Ebene. Stunden geht es so voran, ohne große Veränderungen der Landschaft, abgesehen von farblichen Nuancen der Berge oder der Flora. Hin und wieder tauchen rechts und links der Piste Pavianherden auf, dann wieder prägen die voluminösen Nester der „Webervögel“ auf abgestorbenen Bäumen oder Telefonmasten das Bild. Ansonsten herrschen Weite und endlose Einsamkeit unter blauem Himmel.
Nach einiger Zeit führt die Schotterpiste in die Berge hinauf und windet sich in auf- und abführenden Kurven durch die nackte braune Felslandschaft. Das Fahren wird jetzt etwas schwieriger, da am Rand und in der Mitte der Straße immer wieder Sandhaufen oder größere Steine die volle Aufmerksamkeit der Fahrer erfordern. Wenn man hier zu schnell in die Kurven geht, kann man durchaus ins Schleudern geraten, und ein größerer Stein kann unangenehme Schäden anrichten. Doch wir bringen die etwas wildere Bergregion unbeschadet hinter uns und erreichen schließlich die Hochebene, in der sich unser nächstes Zwischenziel Solitaire befindet. Am Horizont begrenzen ausgedehnte Bergzüge die weite Ebene, und an den Berghängen sieht man zunehmend roten Wüstensand.
Solitaire liegt an einer Wegegabelung, an der wir abbiegen müssen. Dort angekommen, verstehen wir auch den Namen des Ortes. Weit und breit ist dies die einzige menschliche Ansiedlung. Angeblich hat sich hier vor nicht allzu langer Zeit ein Aussteiger mit „Burnout“-Syndrom niedergelassen, eine kleine Tankstelle mit begrenzten Einkaufsmöglichkeiten installiert und das Ganze „Solitaire“ (Einzelstück) genannt. Im Laufe der Zeit hat sich der Flecken zu einer richtigen „Wüstenstation“ mit Restaurant, Café und sanitären Einrichtungen entwickelt. Das hier anscheinend vorhandene Grundwasser erlaubte die Anpflanzung von Bäumen, sodass sich die Station als richtiggehende Oase präsentiert. Ein Autofriedhof aus teilweise ausgeschlachteten „Oldtimern“ aus den vierziger und fünfziger Jahren ziert die Einfahrt zur Tankstelle wie eine künstlerische Installation, und eine deutsche Bäckerei bietet den Reisenden einen hervorragenden Apfel-Streusel-Kuchen. Diese Spezialität genießen wir im Schatten der Bäume an einer rustikalen Bank. Den Schatten benötigt man dringend, denn gegen Mittag sticht die hoch im Norden(!) stehende Sonne doch merklich. Glücklicherweise lässt die niedrige Luftfeuchtigkeit die Hitze erträglich erscheinen.
Bald jedoch geht es aufgetankt weiter, denn uns stehen noch etwa 150 Kilometer Schotterpiste Richtung Süden bevor. Der Weg führt uns wieder hinauf auf ein Hochplateau, das kantige Felsmassive begrenzen. Die Schotterpiste führt durch eine Savannenlandschaft mit wechselnden Farben, mal gelbgrün, dann wieder olivgrün, und dahinter wie dazwischen das rötliche Braun der Felsen und des Wüstensandes. Rechts liegen die Namib-Wüste und der „Naukluft“-Naturschutzpark, links ziehen sich Bergketten in wechselnden Brauntönen entlang.
Kurz nach drei Uhr am Nachmittag erreichen wir schneller als gedacht unsere nächste Station, die „Little Sossus Lodge“, die uns mit einem Einfahrtsportal wie eine texanische Ranch begrüßt. Das Anwesen besteht aus mehreren flachen Gebäuden in einer weiten, offenen Ebene unterhalb der Bergketten. Als Gästezimmer dienen kleine Häuser aus Feldsteinen, die innen für Kühle sorgen. Großzügigkeit und moderne Ausstattung passen erstaunlich gut zum rustikalen Stil dieser Häuser. Ein kleiner Pool mit beschatteten Liegen erlaubt den entspannten Genuss der afrikanischen Nachmittagssonne.
Die Lodge liegt „in the middle of nowhere“: ringsum nur die Weite der blassgelb bewachsenen Savanne, begrenzt und eingekreist von Bergzügen, die jedoch nicht die steile Schroffheit der Alpen aufweisen. Ihr warmes Braun leuchtet in der Nachmittagssonne und nimmt am Abend schärfere Konturen and Farbtöne an, wenn die Sonne tiefer steht und ins Rötlich-Warme changiert. Es herrscht fast absolute Ruhe. Keine Flugzeuge queren den Himmel, und die Straße mit den sehr selten passierenden Autos macht sich auch nicht bemerkbar.
Am Abend zeigt die „Little Sossus Lodge“ ihre kulinarischen Künste und zaubert ein mehrgängiges Menü auf die Tische. Fleisch vom Springbock und von der Oryx-Antilope steht auf dem Speiseplan. Man wird sich hier in Namibia auf einen reichhaltigen Fleischkonsum einstellen müssen, denn Wild ist im Überfluss vorhanden. Für Vegetarier eine gewisse Herausforderung, doch für Fleischliebhaber durchaus ein Eldorado neuer Genüsse.
Bald nach dem Abendessen ziehen wir uns in unsere Unterklunft zurück, denn am nächsten Morgen müssen wir um bereits um fünf Uhr aufstehen und um halb sechs aufbrechen zu den roten Dünen von Sossusvlei.
Frank Raudszus
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