Die Türkei im Spannungsfeld zwischen modernen 5-Sterne-Hotels und mittelalterlichen Bauernmärkten.
„Reisen bildet“ oder „wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“ – so lauten zwei gängige deutsche Redensarten. Auf unserer einwöchigen Reise durch die südwestliche Türkei zwischen Izmir und Marmaris besuchten wir verschiedene antike Stätten, die jeder Europäer zwar vom Hörensagen kennt, aber nicht unbedingt auch persönlich gesehen hat: Ephesus, Pamukkale, Aphrodisias – und ein zweitägiger Abstecher führte sogar auf die nahe gelegene griechische Insel Rhodos, die ebenfalls antike und mittelalterliche Sehenswürdigkeiten aufzuweisen hat. In Ephesus beeindruckte uns neben anderen Ausgrabungen vor allem die weitgehend wiederhergestellte Fassade der antiken Bibliothek, in Pamukkale sahen wir uns die Kalkterrassen an, die von weitem wie eine Schneelandschaft wirken, und in Aphrodisias sollte man den Aphrodite-Tempel (daher der Name) und das Theater nicht verpassen. Rhodos hat dagegen neben antiken Ausgrabungen auch die mittelalterlichen Befestigungen und die Altstadt aus der Zeit der Tempelritter zu bieten. Daneben erlauben kleine Orte wie Sirince nahe der türkischen Stadt Selcuk oder Lindos auf Rhodos einen Einblick in die ländliche Lebensweise.
Durch die antiken Stätten zu laufen heißt sich bewusst zu machen, dass schon 300 v. Chr. Menschen hier großzügige Städte mit Märkten, Bibliotheken, Tempeln, Theatern, öffentlichen Toiletten und sogar Etablissements mit „leichten Mädchen“ angelegt haben. Der Blick zurück in eine sehr lebendige und hoch zivilisierte vorchristliche Zeit, als etwa in Ephesus schon 80.000 Menschen lebten, ist faszinierend. Dennoch möchte man auch die heutige Türkei erleben und etwas über die Menschen, ihre Kultur, ihre Philosophie und ihren Humor erfahren.
Unser Reiseleiter Celal Firat versorgte uns auf humorige Weise mit vielen Details über die heutige Türkei jenseits der „Teppich-Leder-Schmuck“-Programme. Für uns Deutsche, die wir die Türken oft als direkte Nachbarn haben, hat diese Reise zu vielen neuen Erkenntnissen geführt und unsere Neugier geweckt.
„Anatolien“ heißt übersetzt „Mutterland“ und nimmt vier Fünftel der heutigen Türkei ein, nämlich den gesamten asiatischen Teil südlich des Marmara-Meeres und des Bosporus. Wer die richtige Türkei kennenlernen will, sollte dorthin fahren. Die Türkei ist ein Vielvölkerstatt mit 28 verschiedenen Volksgruppen. Was die Demokratie betrifft, so gibt es im Volksmund eine handfeste Definition: „Wenn zwei Wölfe und ein Lamm entscheiden, was abends in den Topf kommt“.
Da es in der Türkei so viele Ethnien gibt, ist die Verständigung nicht immer einfach. Deshalb besagt eine türkische Weisheit, „die Sprache eines Menschen zu verstehen, ist nicht so wichtig. Man kann sich auch über Emotionen verständigen“. Konrad Adenauer meinte dazu „Wir leben alle unter dem selben Himmel, aber mit verschiedenen Perspektiven. Das ist gut für die Demokratie“.
„Ana“ ist die Mutter in der türkischen Familie und wird auch als „Muttersäule“ bezeichnet. Sie ist stark, stützt und trägt den Familienclan. Allerdings schultert sie auch die Hauptlast der Arbeit. Während sie am Markttag auf dem Boden hockt und die Früchte des Feldes anbietet, sitzen die Männer im Café und genießen den türkischen Mokka – sade (ungesüßt), orta (mittelsüß) oder schekerli (süß). Oben drauf muss der Kaffee so schaumig sein, dass eine Fliege darauf gehen kann. Man rührt den Kaffee nicht mehr um, sondern schlürft ihn so wie er kommt und kann dann aus dem Kaffeesatz die Zukunft lesen.
Der sogenannte „Kümmeltürke“ mit Pluderhose und Fez ist keine abwertende Bezeichnung, sondern war der Gewürzhändler des 17. Jahrhunderts. Er brachte den ersten Kaffee nach Österreich, wo man die Kaffeebohnen für Viehfutter hielt und in die Donau schüttete. Wie haben sich doch die Zeiten geändert, wenn man an österreichische Caféhäuser und ihre lange Tradition denkt. Noch heute wirbt ein Kaffee-Anbieter mit dem Kümmeltürken in seiner traditionellen Kleidung.
Übrigens: Geschenke packt man in der Türkei nicht sofort bei Empfang aus. Bei Kindern unter sechzehn Jahren legen die Eltern die Geschenke auf einen Schrank. Erst am nächsten Tag, wenn die Gäste wieder gegangen sind, dürfen die Kinder die Geschenke auspacken. Denn „Kindermund tut Wahrheit kund“ und könnte die Schenker kränken. Um den Gästen peinliche Situationen zu ersparen, hat man sich für dieses sinnvolle System entschieden.
Schuhe sind die „Behausungen der Füße“, und als Gast zieht man sie beim Betreten des Hauses aus und schlüpft stattdessen in die in jedem Haushalt bereitgestellten Gästeschlappen. Die roten sind für die Frauen, die blauen für die Männer. Diese Farbzuordnung wiederholt sich – leicht verändert – bei den Ausweisen: rosa für Frauen, hellblau für Männer. In den türkischen Haushalten gibt es außerdem sogenannte „Besuchswohnzimmer“. Hier stehen die schönsten Möbel, und viele Häkeldecken und Vasen zeugen von Wohlstand. In Deutschland gab es früher vor allem auf dem Land ebenfalls die „gute Stube“, die nur für Gäste geöffnet wurde.
Die älteren Menschen werden in der Türkei nicht als Rentner, „Alte“ oder „Oldies“ bezeichnet, sondern heißen die „Lebenserfahrenen“. In dieser positiven Bezeichnung steckt der Respekt vor dem Alter und der Lebensleistung. Man schätzt Lebenserfahrung und degradiert sie nicht verbal. Besuchen die Enkel den Großvater, so zeigen sie ihren Respekt unter anderem dadurch, dass sie die Beine nicht übereinanderschlagen. Andernfalls kontert der Großvater: „Kannst gleich die Füße in den Mund stecken!“. Ist man zum Essen eingeladen, wird der Tisch nicht abgeräumt, bis der Gast geht. Die Tischdecke mit den Brotkrümeln wird stets draußen ausgeschüttelt, damit die Vögel auch davon profitieren. Diese Sitte gilt nicht nur in Ostanatolien, sondern wird auch in den Großstädten praktiziert. Der Gast sagt beim Abschied „Allah behüte Dich“, und der Gastgeber antwortet mit „Geh mit einem Lachen im Gesicht“. Dann schüttet er dem abfahrenden Auto einen Becher Wasser hinterher. So schnell, wie das Wasser am Auto abfließt, soll der Gast nach Hause kommen; so schnell, wie das Wasser verdunstet, soll er wiederkommen. Auf die Frage „Wie geht´s“ antwortet der Türke mit „Gott sei Dank – es könnte schlimmer sein“. Wenn es in Strömen gießt, nimmt man es gelassen hin, denn es könnte ja auch Backsteine regnen. Während wir in Deutschland in den „sauren Apfel beißen“, wenn wir etwas Unangenehmes überstehen müssen, beißt der Türke in dieser Situation in die Quitte. Bei uns haben die Wände Ohren, in der Türkei der Boden. In der Türkei spricht man von den deutschen „U-Boot-Christen“, die einmal im Jahr zu Weihnachten auftauchen und dann wieder für ein ganzes Jahr abtauchen. Hat eine Frau schöne, große Augen und lange Wimpern, so sagt man ihr als Kompliment, sie habe Eselsaugen. Ihr Körper sollte „fischfleischig“ sein – nicht so verhungert!
In Aphrodisias gibt es noch ein Stadion aus der Antike. Es fasste bereits damals 30.000 Menschen und galt als das größte Stadion Kleinasiens. Hier finden jedes Jahr im April „Öl-Ringkämpfe“ statt, die viele Einheimische und Touristen anziehen. Es ist nicht leicht, den Gegner zu besiegen, da man seinen eingeölten Körper während des Kampfes im wahrsten Sinne des Wortes nicht in den Griff bekommt. Der Sieger erhält einen schweren goldenen Gürtel, den er auf Lebenszeit behalten darf. Gewinnen ist allerdings so schwierig, dass es in zwanzig Jahren nur zwei Sieger gab. Einer von ihnen – ein „Adonis“ -, groß und stark und sehr gut aussehend, wurde nach seinem Sieg prompt nach Amerika eingeladen, um dort gegen einen berühmten Boxer zu kämpfen. Den hat er zwar auch – ruckzuck – besiegt, doch ging er tragischerweise auf der Rückfahrt mit dem Schiff unter. So grausam kann das Schicksal mit Siegern umgehen.
Der Barbier, auf Türkisch „Berber“, weiß über alles Bescheid. Er ersetzt die Dorfzeitung. Sein Salon ist der Treffpunkt der „Lebenserfahrenen“. Der Lehrbub muss im ersten Jahr Hilfsdienste wie Fegen und Kaffee- oder Teeholen erledigen und Geräte reinigen. Nach einem Jahr darf er dann einen Luftballon rasieren. Wenn er das schafft, darf er anschließend den ersten Touristen rasieren. Die perfekte Rasur muss so glatt sein, dass eine Fliege auf der Haut ausrutscht. Der Barbier beschneidet auch die Augenbrauen und Nasenhaare und flambiert zum Abschluss die Ohren mit einem brennenden Wattestäbchen. Auch die Damen können sich unliebsame Härchen im Gesicht entfernen lassen. Das geschieht mit zwei gekreuzten Garnen, die der Barbier mit einer rasanten Fingerfertigkeit über das Gesicht der Kundin tanzen lässt und dabei die einzelnen Härchen ausreißt. Das ziept zwar ein wenig, aber der Effekt ist sensationell. Beim Barbier erfährt man dann auch, dass Erdogans Palast 1,5 Milliarden (!) Euro gekostet hat , dass er 800 Mann als Personenschützer beschäftigt und dass ein spezielles Labor täglich sein Essen daraufhin untersucht, ob etwa Gift hineingeschüttet wurde.
Während wir Deutschen unser Obst und Gemüse gerne beim „Türken“ kaufen, gehen die Türken in Antalya bei einer Deutschen – „unserer Hannelore“ – Käsekuchen essen. Ist jemand knauserig, sagt man, er habe Skorpione in der Hosentasche. Von einem Mann, der geheiratet hat, behauptet man, er habe sich anketten lassen. Wenn man im Bus eine Tafel Schokolade isst und der Nachbar registriert das, sollte man ihm etwas anbieten, denn das gebietet das „Augenrecht“. Tut man das nicht, verfolgen einen seine Blicke bis in den Schlaf. Ein türkisches Sprichwort lautet: „Wenn einer isst und die anderen zusehen müssen, ist das der Anfang vom Ende“.
Die Türken sind ein humoriges Volk. Es gibt reichlich erheiternde Witze, von denen hier zwei erwähnt werden sollen: Ein Busfahrer und ein Imam kommen in den Himmel. Der Busfahrer wird sofort eingelassen, der Imam muss draußen bleiben. Als dieser empört nach dem Grund fragt, erhält er die Antwort: „Bei deinen Predigten haben alle geschlafen, aber wenn der Busfahrer gefahren ist, haben alle gebetet!“ – Ein Amerikaner, ein Schwabe und ein Türke nehmen an einer Bootsfahrt teil. In der ersten Bucht geht bei 24 Grad warmem, kristallklaren Wasser niemand schwimmen. In der zweiten Bucht ist es trotz noch wärmeren Wassers ebenso, und auch bei der dritten. Da fragt der Schiffsjunge den ratlosen Kapitän, ob er eine Woche Urlaub erhält, wenn er alle drei Gäste zum Schwimmen bringt. Der Kapitän zeigt sich einverstanden, und der Schiffsjunge flüstert jedem etwas ins Ohr, woraufhin alle drei sofort ins Wasser springen und heftig losschwimmen. Auf die Frage des Kapitäns nach dem Grund für diese Sinneswandlung erklärt der Schiffsjunge: „Ganz einfach – dem Ami habe ich gesagt, da vorne sei eine noch unentdeckte Insel, dem Schwaben, das Schwimmen sei kostenlos und dem Türken, das Baden sei verboten“.
Barbara Raudszus
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