Das Frankfurter Städel-Museum hat sich zu seinem 200. Jubiläum aus aller Welt Leihgaben als Geschenk erbeten und erhalten. Diese Leihgaben haben die Kuratoren des Museums unter dem Titel „Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum“ ausgewählten Werken aus dem eigenen Bestand im Kontext der Dauerausstellungen gegenübergestellt.
Im Jahr 1815 brachte der Frankfurter Kaufmann Johann Heinrich Städel seine Kunstsammlung in eine Stiftung ein und legte damit den Grundstein für das heute weltweit renommierte Städel-Museum. Direktorium und Kuratoren des Städels gedachten, dieses Jubiläum in angemessener und vor allem origineller Form zu würdigen. In einem Museum geschieht dies üblicherweise durch eine Ausstellung, etwa eine Jubiläumsausstellung. Das ist auch in diesem Fall nicht anders, doch die Verantwortlichen dachten sich eine ganz besondere Variante einer solchen Ausstellung aus, die dem Publikum nicht eine begrenzte Auswahl von Werken präsentieren sollte, wodurch man andere, nicht ausgewählte Werke in gewissem Sinne degradiert hätte. Die Ausstellung sollte einerseits einen besonderen Reiz ausüben, andererseits jedoch die gesamte Bandbreite des Städel-Angebots widerspiegeln.
Die Lösung für diese Herausforderung lag darin, ausgewählte Werke je nach ihrer Gattung oder Entstehungszeit an passenden Stellen der Ausstellungsfläche zu platzieren, sie aber gleichzeitig mit Leihgaben zu flankieren, die jeweils einen engen Bezug zu dem ausgewählten Bestandsbild aufwiesen und damit einen reizvollen Vergleich ermöglichten. Das führte zu zwei Herausforderungen: einerseits die „richtigen“ Bilder aus dem Bestand zu wählen – was immer „richtig“ bedeutet – und andererseits Pendants dazu auf dem weltweiten Markt der Galerien und Museen zu finden – und sie auch zu erhalten! In einigen Fällen mag das dazu führen – und vielleicht auch konkret dazu geführt haben -, dass man den eigenen Bestand nach einem Werk durchsucht, das zu einer zugesagten Leihgabe passt……
Die „Jubiläumspunkte“ ziehen sich durch das gesamte Haus – von der „Graphischen Sammlung“ über die Moderne bis zu den „alten Meistern“ – und sind durch goldfarbene Sockel mit dem jeweiligen Text gekennzeichnet. Dabei handelt es sich mal um ein Paar von Bildern, mal um eine ganze Strecke zusammengehöriger Bilder. Da es in der „Graphischen Sammlung“ keine Dauerausstellungen gibt, ist sie ganz der Sonderausstellung gewidmet.
Der hohe internationale Stellenwert des Städel-Museums zeigt sich darin, dass die internationalen Leihgéber nicht nur „erste Adressen“ sind, sondern auch ohne zu zögern die erbetenen Werke zur Verfügung stellten. Man könnte daraus schließen, dass die angesprochenen Institutionen es für eine Ehre hielten, zur Jubiläumsausstellung des Städels einen Beitrag leisten zu dürfen. Zu diesem erlauchten Kreis gehören die „Albertina“ in Wien, das „Museo Thyssen-Bornemisza“ in Madrid, das Londoner „Victoria and Albert Museum“, das „Musée d´Orsay“ in Paris, die „National Gallery of Ireland“ in Dublin, das Den Haager „Mauritshuis“, die „Tate Gallery“ in London, das Vatikanische Museum sowie die „National Gallery of Art“ in Washington. Die Leihgeber haben unter anderem Werke von Jan van Eyck, Fra Angelico, Johannes Vermeer, Adam Elsheimer, Rembrand van Rijn, Edgar Degas, Pablo Picasso, Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann und Martin Kippenberger zur Verfügung gestellt, die jeweils dazu passenden Werken aus dem Städel-Bestand gegenübergestellt werden.
Da hängt dann Jan van Eycks „Verkündigung der Maria“ aus dem 15. Jahrhundert neben der „Lucca-Madonna“ des selben Künstlers; beide Bilder vermitteln einen Einblick in die Zeit der Frührenaissance und verblüffen mit Details, die weit über das religiöse Thema hinaus den Alltag beschreiben. Bis auf das Titelbild dieser Ausstellung haben es die beiden Frauenporträts von Sandro Botticelli und Dante Gabriel Rossetti gebracht. Beide zeigen exemplarisch den weiblichen Idealtypus ihrer jeweiligen Epoche. Botticelli malte im 15. Jahrhundert in dem „Weiblichen Idealbildnis“ eine junge Frau in eher statuarischer Profilperspektive und ließ damit noch das von der Heiligen Maria bestimmte Frauenbild anklingen, während Rossetti im 19. Jahrhundert in „Fazio´s Mistress“ eine selbstbewusste, mitten im Leben stehende und doch auch von diesem gezeichnete Frau portraitiert.
Besonders eindrucksvoll ist die Paarung aus Artemisia Gentileschis „Judith enthauptet Holofernes“ aus dem frühen 17. Jahrhundert und Rembrandts „Blendung Simsons“. Beide Werke sind von seltener Direktheit, ja Brutalität, wobei dies im Falle der jungen Italienerin damit zu erklären ist, dass sie in der Malerwerkstatt ihres Vaters von einem Kollegen vergewaltigt wurde. Dieses Trauma und die verständlichen Rachegedanken hat sie offensichtlich in diesem Bild verarbeitet, das ungeschminkt den Schnitt des Dolches durch den Hals des Opfers, dessen schreckgeweiteten Aufgen und das über das Bettlaken fließende Blut zeigt.
Natürlich darf auch Goethe nicht fehlen, dessen berühmtes Portrait „Goethe in der Campagna“ ( mit den zwei linken Füßen) von Heinrich Wilhelm Tischbein zum Bestandteil des Städels gehört. Gegenüber dieser Ikone hat das Städel einen eigenen kleinen Pavillon installiert, der verschiedene Abwandlungen dieses Bildes zeigt. Die Expressionisten sind durch Badeszenen von Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Erich Heckel vertreten, und in der Sammlung „Gegenwartskunst“ findet man provokante Frühwerke von Georg Baselitz, die in den sechziger Jahre Kunstskandale auslösten.
Die Graphische Sammlung enthält aus naheliegenden Gründen eine Reihe von zeichnerischen Vergleichen durch alle Jahrhunderte, unter anderen zwei Skizzen alter Männer von Rembrand, die durch ihre Lebendigkeit und Detailfülle beeindrucken.
Die hier aufgeführten Konstellationen öönnen nur als Beispiele für das Konzept dieser Ausstellung dienen. Eine detaillierte Beschreibung aller Bildgegenüberstellungen kann nicht Gegenstand einer Rezension sein und schon gar nicht den Besuch ersetzen. Wir hoffen jedoch, hiermit das Interesse der Leser an dieser Jubiläumsausstellung zu wecken, die nicht nur neue Sichtweise auf bekannte Werke der bildenden Kunst eröffnet und Werke aus der ganzen Welt zusammenführt, sondern dies auch im Kontext des Gesamtangebots eines großen Museums leistet. Bei der Rezeption der spezifischen Ausstellungsinhalte schwingen stets die Werke der Dauerausstellungen im Städel-Museum mit und ergänzen die aktuellen Werkpaarungen zu einem Gesamteindruck der Kunst der letzten 600 Jahre.
Die Ausstellung ist vom 7. Oktober2015 bis zum 24. Januar 2016 dienstags, mittwochs und Wochenende von 10 bis 18 Uhr sowie donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.
Weitere Informationen sind auf der Webseite des Städelmuseums erhältlich.
Frank Raudszus
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