Das Staatstheater Darmstadt inszeniert „Loriots gesammelte Werke“.
Der im Jahr 2011 gestorbene Vicco von Bülow, nach dem Wappenvogel der Familie auch „Loriot“ genannt, ist vor allem der älteren Generation als herausragender Humorist der achtziger und neunziger Jahre bekannt. Sein feinsinniger aber stets treffgenauer Humor und seine ausgefeilte Beobachtungsgabe waren die Grundlage vieler Sketches, die typische menschliche Eigenarten und Schwächen mit einem ganz eigenen Witz auf den Punkt brachten. Nahezu zwanzig Jahre lang setzte er im Fernsehen den Standard für anspruchsvollen Humor, war sich aber auch für gekonnte Slapstick-Einlagen nie zu schade. Alle seine Sketche blickten den Menschen in ihrer oft nur mühsam kaschierten Unsicherheit tief ins Herz und denunzierten die Protagonisten selbst in den groteskesten Szenen nie. Loriot verstand die Menschen und ihre Schwächen und ließ auch den „Opfern“ seiner szenischen Karikaturen stets ihre Würde. Eine ganze Generation saß bei Loriot-Abenden vor dem Fernseher und amüsierte sich köstlich.
Im Staatstheater Darmstadt ist nun eine Auswahl dieser Sketches in einem abendfüllenden Programm zu sehen. Dazu hat sich die Initiatorin und Regisseurin Iris Stromberger, selbst externe Theatermacherin und eng verbandelt mit der „Datterich“-Historie, etwas besonderes einfallen lassen. Da sie keinen Zugriff auf das Schauspielensemble hat – und dieses wahrscheinlich auch nicht verfügbar war -, aktivierte sie einfach die nach der letzten Spielzeit in den Ruhestand gegangenen „Helden“ der Ära John Dew, als da wären: Margit Schulte-Tigges, Sigrid Schütrumpf, Aart Veder und Klaus Ziemann. Dazu stießen noch Hans Weicker und Mathias Renneisen, und damit war das Ensemble perfekt. Für die Musik vom Klavier konnte Iris Stromberger den ehemaligen musikalischen Leiter Michael Erhard gewinnen, und die vierstimmigen „Comedian Harmonists“ lieferten den Vokalsound dazu.
Loriots Humor den Stempel „unverwüstlich“ aufzudrücken sträubte sich das Gefühl des Rezensenten anfangs. Doch genau das zeichnet diesen Humor aus: gerade seine Feinsinnigkeit und seine Distanz zum plakativen „Schenkelklopfen“ machen ihn in der Tat zeitlos und „unverwüstlich“. Obwohl man mittlerweile alle Sketches kennt, kann man jedes Mal erneut aus ganzem Herzen über sie lachen. Natürlich ging es an diesem Abend nicht um die existenziellen Bedingungen der menschlichen Gesellschaft, und weder politische noch gesellschaftliche Fehlentwicklungen oder gar Skandale standen zur dramaturgischen Debatte. An diesem Abend ging es ums befreite Lachen, wie es gerade Loriot so meisterlich entfachen konnte.
Loriot hat sich mit Vorliebe des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern angenommen, vor allem bei eingefahrenen Ehepaaren. Die unterschiedlichen psychologischen Grundierungen von Mann und Frau kommen dabei ungeschminkt zum Vorschein: die Bequemlichkeit und Konfliktscheu der Männer und der Kontrollzwang sowie die plötzlichen logischen Volten der Frauen. Deutlich wird dieser Kontrast an den Sketches um das – angeblich missglückte – Frühstücksei und um die Beschäftigung des Ehemannes, welch letzterer Sketch mit der berühmten Frage der Ehefrau „Was machst Du?“ beginnt und fast in einer Katastrophe endet. Das Zusammentreffen zweier gegensätzlicher nicht denkbarer Ehepaare im Bettenhaus bringt typische Befindlichkeiten und Eigenarten ebenso treffend auf den Punkt wie der Schnellkurs zur Ess- und Konversationskultur, der in einen alkoholbedingten Kontrollverlust mündet.
Das Ehepaar Hoppenstedt ist mit seiner Betulichkeit und biederen Bürgerlichkeit geradezu zu einer „Loriot“-Ikone geronnen. Man begegnet den beiden sowohl bei dem grotesken, nahezu surrealistischen Jodelkurs ebenso wie beim tragikomischen „Anzugkauf“. Ein weiterer Höhepunkt ist das Fernseh-Interview mit dem Rentner und Lottogewinner Erwin Lindemann, der im Interviewstress schließlich alles durcheinanderbringt. Nicht weniger grotesk ist das gemeinsame Abendessen zweier vom Campingurlaub befreundeter Ehepaare, die sich über die Verteilung eines Kosakenzipfels gründlich zerstreiten. Auch das Fernsehen mit seinen Auswirkungen auf das Familienleben bekommt sein Fett weg , und in einem anderen Sketch kann ein Restaurantgast nicht in Ruhe seine Kalbshaxe essen, weil alle geradezu obsessiv wissen wollen, ob es ihm schmeckt.
Natürlich darf auch die berühmte Nudel auf der Nase nicht fehlen, mit der Vicco von Bülow und Evelyn Hamann die Leute von den Stühlen rissen. Im Theater funktioniert dieser Sketch jedoch nicht so gut wie im Fernsehen, weil erstens die Nudel aus Gründen der Sichtbarkeit übergroß drapiert wird und weil zweitens Klaus Ziemann eben diese Nudel immer wieder manuell umplatzieren muss. Den Schluss bildet dann der Sketch, bei dem ein Versicherungsvertreter im Haus des potentiellen Kunden während einer Wartezeit ein schiefes Bild umzuhängen versucht und dadurch wegen Tolpatschigkeit, wackliger Möbel und dummer Zufälle die Wohnung zerlegt. Iris Stromberger hat diese Szene etwas umgearbeitet, indem sie einen Schauspielschüler auf das Vorsprechen beim Intendanten warten lässt. Das gibt Intendant Karsten Wiegand die Gelegenheit, als Schlusspointe selber aufzutreten, wenn auch ohne Text.
Die Schauspieler gehen diesen Abend trotz Ruhestand mit professionellem Elan und ausgeprochener Spielfreude an. Man merkt ihnen an, welchen Spaß ihnen diese Szenen bereiten und wie sie im letzten Jahr die Bühne vermisst haben. Vor allem Hans Weicker und Klaus Ziemann gehen in ihren Rollen förmlich auf und ernten viele Lacher. Doch das heißt nicht, dass die anderen Darsteller gegen sie abfallen. Aart Veder gibt Vicco von Bülow mit „naturgetrauer“ Frisur und künstlichem Mops an seiner Seite auf dem obligatorischen Sofa, Margit Schulte-Tigges und Sigrid Schütrumpf spielen die verschiedenen Frauenrollen mit ihren jeweiligen „Macken“ überzeugend, und Mathias Renneisen ist sozusagen für den jugendlichen Kontrast zuständig. Die „Comedian Harmonists“ sorgen zwischen den Sketches mit alten Schlagern für nostalgisches Flair, und Michael Erhard zaubert am Klavier mit und ohne die vier Sänger. Rundherum ein vergnüglicher Abend, der sicher über längere Zeit ein volles Haus garantiert.
Frank Raudszus
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