Das „Béjart Ballet Lausanne“, choreographiert von Béjart, gehüllt in Versace
Mozart, Queens und Versace – wie würde sich wohl eine Zusammenkunft dieser drei Charaktere gestalten? Gemeinsame Themen scheinen auf den ersten Blick rar. Immerhin teilen alle die Leidenschaft für Musik, der sie ihr Leben gewidmet haben. Doch unterschiedlicher könnten musikalische Passionen wohl kaum sein. Queens als Legende der maßlosen Musik, die ohne Umwege Leib und Seele ergreift und zum Tanzen und Mitsingen anregt. Mozarts Kompositionen hingegen filigran, komplex und gleichzeitig doch sehr eingängig, womit sie auf eine andere Weise ganz eigene Emotionen beim Zuhörer erregen. Versace als Mode-Ikone naher Vergangenheit führt möglicherweise beide zusammen. Einerseits lebte er bis zu seinem Tod 1997 in der gleichen Epoche wie Queens und ist ihm somit im Zeitgeist deutlich näher als Mozart; andererseits sind seine zumeist abstrakten, schlichten und von klarer Schönheit gezeichneten Kostüme ein harmonisches Spiegelbild von Mozarts feinsinnigen Symphonien. Dazu kontrastieren einige farbgewaltige Stoffe und exzentrische Schnitte in „Ballet for Life2, die unumstößlich der Legende Freddy Mercury zuzuordnen sind.
Es ist also das Béjart Ballett Lausanne, welches sich diesem Mixgenre mit „Ballett for Life“ widmet. Das von Maurice Béjart, einem der prägendsten Choreographen des 20. Jahrhunderts, gegründete Ballet, gehört heute wohl zu den berühmtesten Tanzcompagnien. Seit 2007 steht das Ballett unter der künstlerischen Leitung des renommierten Tänzers und Choreographen Gil Roman. „Ballett for Life“ geht allerdings ursprünglich auf den Gründer Béjart selbst zurück. Die Uraufführung fand bereits am 15. Dezember 1996 im Salle du Métropole in Lausanne statt, und das Ballett wurde seitdem weltweit etwa 350 Mal aufgeführt. Maurice Béjart selbst schreibt, dass auch dieses Ballett von Liebe und Lebensfreude getrieben sei. Wörtlich sagt er, er liebe die Musiker und sehe im Niemandsland der Ewigkeit „Freddy Mercury mit Mozart am Klavier. Es ist ein Ballett über die Jugend und die Hoffnung, denn als unverbesserlicher Optimist glaube ich trotz allem ‚The Show must go on‘, wie Queen sagt.“
Wenn der Vorhang sich öffnet, ist die Bühne leer. So scheint es zumindest. Rechts und links rahmen die Bühne schlichte weiße Wandelemente ein, und in der mittigen Fläche ist eine sanft-hügelige weiße Stofflandschaft zu erkennen. Darüber zieht ein zarter Schleier wie ein frühmorgendlicher Nebel, der den stillen See küsst. Vor der Bühne strahlt eine lange Reihe Scheinwerfer ihr pointiertes Licht gen Saaldecke und erinnert dabei an die Morgensonne, die erste Strahlen durch einen Wald, über Wiesen oder entlang eines Strandes wirft. Mit „It‘s A Beautiful Day“ setzt die Musik ein und erweckt das Geschehen zum Leben. Völlig überraschend richten die ersten Gestalten ihre Oberkörper aus dem weißen Tüchermeer auf – erst vereinzelt und einige wenige, die nach und nach ihren noch starren Blick nach vorne richten. Immer schneller werden es mehr, bis alle sitzen und langsam ihre Tücher senken, so dass neben den Gesichtern auch die Körper freigeben werden. Wogend erhebt sich das Ensemble, schüttelt den ewigen Schlaf aus den Gliedern und erfreut sich des Lebens eines neuen herrlichen Tages.
Voller Energie und durch Lebenswillen getrieben, stürmt das Béjart Ballett nun in die kraftvolle Musik von Queens und entfaltet eine wundervolle Blüte optischer Eindrücke. Nicht selten ist etwas Geheimnisvolles oder gar Komisches dabei, das zum Hinterfragen und Schmunzeln anregt. Man könnte es mit einem jungen Trieb vergleichen, der seinen Weg durch die Erdkruste erkämpft und sich der Sonne entgegenstreckt. Noch weiß niemand, was sich dahinter verbirgt, wenn sich kleine Knospen bilden, die urplötzlich an Volumen und Farbe gewinnen. Und brechen sie auf, erhascht man einen kurzen Blick auf die ersten kräftig leuchtenden Farben der inneren Gestalt, bevor die Blüte uns ihre ganze Schönheit entgegen wirft. Zumeist hält Versace die Kostüme der Tänzer in schlichtem Weiß mit schwarzen Applikationen. Dies ist durchaus konträr zur Musik von Queens, ermöglicht es aber, die Musik und den Tanz sehr individuell aufzunehmen. Dabei ist das Ballett auch kein gewöhnlich klassisches, sondern reflektiert mehr schauspielerischen Charakter und höheren Krafteinsatz, der zur Hochexpressivität des Rock passt. Wie es unerwarteter kaum sein könnte, schwenkt die Musik nach „Get Down Make Love“ zu Mozarts Klavierkonzert Nr. 21. Das „Andante“ des Klavierkonzerts schwebt förmlich im Saal und fühlt sich für einen Moment wie Zeitlupe an, wenn Exzess durch Sinnlichkeit ersetzt wird. Ein besonderer Höhepunkt wird präsentiert durch Alanna Archibald, die als Balletttänzerin in außergewöhnlicher Rolle auftritt, denn sie trägt als einzige ein Kleid voller Farbgewalt, wobei sich leuchtende konträre Flächen aneinander schmiegen. In einem „Mozart-Tango“ wird die intime Seite Mozarts umso mehr herausgearbeitet.
Das Béjart Ballett gastiert noch bis zum Sonntag den 27.7.2015 in der Deutschen Oper Berlin. Dann ist es vom 28.7. bis 2.8.2015 in der Kölner Philharmonie zu bewundern.
Malte Raudszus
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