Das Städelmuseum thematisiert in der Ausstellung „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“ die kurze Eruption eines provokanten Malstils.
Im 20. Jahrhundert wurde die gute alte, akademisch unterfütterte Malkunst erst durch den Expressionismus und dann durch die geometrisch-abstrakte Malerei aus den Angeln gehoben und aufs Altenteil geschickt. Doch frei nach dem Motto „Die Revolution frisst ihre Kinder“ fanden sich auch diese Stilrichtungen bald auf dem Abstellgleis wieder, als die informelle Kunst sämtliche Formen auflöste. Als es schon beinahe peinlich war, wenn ein Maler noch identifizierbare Objekte oder gar Personen auf die Leinwand bannte, brach sich plötzlich in den späten Siebzigern eine neue, figurative Art des Malens Bahn, die das Publikum und die Kritik ratlos zurückließ. Viele Experten, die der Entwicklung der Kunst einen teleologischen Sinn unterstellt hatten, der natürlich in Richtung allgemeiner Abstraktion zielte, betrachteten die neue Richtung als Rückfall in die ästhetische Barbarei oder zumindest als pubertären Akt.
Denn es waren meist junge Leute, die sich nicht um Kunstrichtungen, Schulen und Stilfragen kümmerten, sondern geradezu besessen drauflos malten. Dabei unterliefen sie auch die politische Stoßrichtung der 68er-Generation, die soviel auf ihren emanzipatorischen, aufklärerischen Impetus gab. Plakative politische Kunst spielte hier keine Rolle, und auch die Weltverbesserung und -rettung stand nicht auf dem Programm dieser sich zu losen Gruppen zusammengeschlossenen Künstler. Ihr Credo lautete zwar „man sollte mal etwas gemeinsam machen“, aber nicht im Sinne einer politischen oder gesellschaftlichen Stoßrichtung sondern einfach nur, indem man gemeinsam malte und ausstellte.
Die Liste der Namen dieser „wilden“ oder „heftigen“ Kunstepoche ist lang, und die meisten finden sich in der Ausstellung wieder, die das Städelmuseum sowohl aus dem eigenen Bestand als auch durch Leihgaben der meist noch im vollen künstlerischen Leben stehenden Maler bestückt hat.
Ein wichtiger Ort für neue Kunstströmungen war damals Berlin. Als geteilte Stadt, aber ohne Sperrstunde und Wehrpflicht, zog Berlin viele junge, kreative und widerborstige Leute aus dem Westen an. In Berlin herrschte im wahrsten Sinne des Wortes „Ausnahmezustand“, denn die mehr oder minder gewaltsame Übernahme durch den Ostblock stand zumindest als latente Option ständig im Raum. Man lebte daher intensiv in der Gegenwart und erlebte jeden weltpolitischen Windhauch besonders intensiv.
Die Berliner Künstler, unter ihnen Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer, hoben für wenige Jahre die Kreuzberger „Galerie am Moritzplatz“ aus der Taufe, wo sie ihre Werke ausstellten. Diese Werke handelten vom Alltag der Künstler und ihrer Umgebung. Hier sah man zum ersten Mal die (Homo-)Sexualität in einer Direktheit auf die Leinwand gebracht, wie man es vorher nicht kannte. Tabuthemen gab es für diese Künstler nicht, und sie brachten den Berliner „Untergrund“, der wahrscheinlich in anderen Städten ähnlich aussah, ungeschminkt ans Tageslicht ihrer Bilder. Dabei folgten sie keinem vordergründigem politischen oder aufklärerischem Programm, sondern malten einfach „was war“. Dass diese Kunst angesichts der öffentlichen Eingrenzung des Tabuisierten provozierte, lag dabei auf der Hand. Dazu kam noch die Technik des hingeworfenen Pinselstrichs, des dicken Farbauftrags, der kontrastierenden Farben und des bewussten Verzichts auf korrekte Proportionen und naturgetreue Abbildungen.
Wie die das Feld bis dahin beherrschenden Abstrakten und Informellen legten auch sie keinen Wert auf Realitätsnachbildung, doch das Wesentliche dieser Realität und die darin handelnden Figuren wollten sie schon vermitteln, und das recht drastisch. So sind Stadtbilder ebenso erkennbar, wenn auch in drastischer farblicher und figürlicher Verfremdung, wie Personen, die durch diese Stadt hasten, ihren Süchten frönen oder ihre Mitmenschen quälen. Auch politisch inkorrekte Themen werden eher lakonisch als anklagend gezeigt, so etwa in dem Bild „Goldener Mann schlägt Schlampe“ von Albert Oehlen, das so mancher Feministin damals das Blut in den Adern gerinnen ließ. Bei diesem – im wahrsten Sinne des Wortes – grenznahen Bildern weiß man nie, ob dahinter künstlerisch überhöhte Kritik oder sarkastischer wenn nicht gar zynischer Realismus steckt. Ähnliches gilt für das Bild „KDW“, auf dem nackte Männerkörper wie Schweinehälften am Laufband einer Metzgerei hängen. Dann wieder zeigt ein anderes Bild die Berliner Mauer, aber eben nur als Blick aus dem Fenster des jeweiligen Ateliers und ohne jeglichen politischen Kontext. So wirkte eben der „Blick nach Osten“.
Die anderen Räume zeigen ähnliche Gruppen der achtziger Jahre in anderen deutschen Städte, etwa in Hamburg oder in Köln, wo die „Mülheimer Freiheit“ Künstler wie Hans Peter Adamski, Peter Bommels oder Walter Dahn zusammenführte, um nur drei zu nennen. Jede geographische Gruppierung pflegte dabei ihre eigenen lokalen stilistischen Eigenarten, und lediglich die Ablehnung aller kunsttheoretischen Erkenntnissen des 20. Jahrhunderts bildete den gemeinsamen Untergrund dieser „wilden“ Gruppen der frühen Achtziger.
Wer bereit ist, sein künstlerisches und kunsthistorisches Weltbild einmal zu hinterfragen und auf den Kopf stellen zu lassen, sollte sich diese Ausstellung unbedingt anschauen. Die Bilder erfüllen nicht immer die ästhetischen Ansprüche eines gebildeten Kunstfreundes, geben aber einen erhellenden Überblick über ein verrücktes Jahrzehnt, das mit einem weltpolitischen Paukenschlag endete.
Die Ausstellung ist vom 22. Juli bis zum 18. Oktober 2015 dienstags, mittwochs und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen sind auf der Webseite des Städelmuseums erhältlich.
Frank Raudszus
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