Commissario Brunettis dreiundzwanzigster Fall.
Montag Morgen in Venedig – Brunetti ist gerade dabei, den täglichen Wahnsinn seines Alltagsgeschäfts zu regeln. Aktuell geht es um den Streit zweier Wassertaxi-Fahrer, der in einer Schlägerei endete, als ihn ein Anruf von Dottoressa Fabbiani, der Chefbibliothekarin der „Bibliotheka Marula“, erreicht. Sie berichtet ihm mit zittriger Stimme, dass aus wertvollen alten Büchern der Bibliothek Seiten herausgeschnitten und entwendet worden seien. Doch schon bald stellt sich heraus, dass darüber hinaus eine Reihe anderer wertvoller Bücher ganz entwendet wurden. Wie konnte das geschehen, wo doch Bibliotheken über ein ausgeklügeltes Kontrollsystem verfügen?
Bei seinen Recherchen stößt Brunetti schon bald auf einen amerikanischen Wissenschaftler, der zu angeblichen Forschungszwecken alte Bücher eingesehen hat. Er war täglich in der Bibliothek, bis er plötzlich von einem auf den anderen Tag verschwand, wobei er sogar seine zuletzt ausgeliehenen Bücher auf seinem Tische liegen ließ. Auch ein ehemaliger Priester war seit einiger Zeit Stammgast in der Bibliothek und beschäftigte sich hauptsächlich mit den alten Kirchenvätern.
Als ausgerechnet dieser Priester in seiner Wohnung ermordet aufgefunden wird, wird Brunetti klar, dass hinter den Bücherdiebstählen nicht schrullige Buchliebhaber stecken, sondern dass es sich um eine knallhartes Geschäft handelt, bei dem Profis auf Bestellung zahlungskräftiger Sammler entsprechende Bücher fleddern oder gleich entwenden.
Jetzt setzt die übliche Suche nach den Verdächtigen ein. Dazu muss erst einmal das personelle Umfeld der Bibliothek untersucht werden; die Spender werden nach Motiven von Sammlern und Kunstliebhabern befragt, und das Umfeld des Ermordeten wird Stück für Stück ausgeleuchtet. Dabei bringt der untröstliche Bruder des ehemaligen Priesters erstaunliche Erkenntnisse über diesen ans Tageslicht. Langsam schält sich heraus, dass nicht jeder Priester ein gottgefälliges Leben führt und dass es Gründe gibt, den Priesterberuf aufzugeben bzw. aufgeben zu müssen.
Stochert Brunetti anfangs noch im Dunklen und Trüben, klären sich die Beziehungen verschiedener Personen im Umfeld der Bibliothek von Befragung zu Befragung, und Brunettis eigene adlige Verwandschaft steuert noch einige Erkenntnisse über die Begierden und Charakterschwächen der (adligen) Kunstsammler bei.
Eine scheinbar unwichtige Kleinigkeiten im Zuge der Befragungen bekommen auf einmal im Zuge anderer Informationen eine brisante Bedeutung, und es dauert nicht lange, da steht Brunetti der Ablauf der Diebstähle und des Mordes glasklar vor Augen. Nun gilt es „nur noch“, diese Zusammenhänge zu beweisen und den Schuldigen Handschellen anzulegen.
Donna Leon thematisiert in diesem Kriminalroman die kriminelle Plünderung alter Kulturgüter zum Zweck der Befriedigung persönlicher Eitelkeiten reicher Leute, und nebenbei bekommt auch die stetige Gefährdung wenn nicht Zerstörung des Weltkulturerbes „Venedig“ und die dahinter stehende verbreitete Korruption ihr Podium. Als positiven Ausgleich für das desillusionierende Thema liefert die Autorin wieder eine Reihe von leckeren Rezepten, die Brunettis Frau Paola für sich und ihn und schöne Abende auf der Terrasse zubereitet. Guten Appetit!
Das Buch „Tod zwischen den Zeilen“ ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 277 seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus
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