Mit „Gypsy meets the Klezmer“ bietet das Rheingau Musik Festival Virtuosität und Witz gleichermaßen.
Das diesjährige Festival zwischen dem Kurhaus Wiesbaden und Schloss Johannisberg bietet bereits in den ersten Tagen Musik erstklassiger Qualität. Nach dem eher ernsten Eröffnungskonzert im Kloster Eberbach kam am Dienstag, dem 30. Juni, sozusagen das andere Ende des breiten musikalischen Spektrums zu seinem Recht. Das Weingut Allendorf in Oestrich-Winkel stellte als Gastgeber nicht nur eine überdachte Bühne zur Verfügung, sondern bot auch Speisen und Getränke an, wobei letztere wegen des warmen Sommerabends besonders nachgefragt waren. Die Weingüter verbreiten eine besonders familiäre, ja fast intime Atmosphäre und bieten sich daher vor allem als Veranstaltungsort für die leichte Muse an.
Dieser Abend gehörte dem „Gypsy Swing-Trio“ von Joscho Stephan und dem Klarinettisten Helmut Eisel. Dazu ist festzuhalten, dass die beiden ursprünglich verschiedenen Richtungen folgten. Helmut Eisel war einst Mathematiker und Berater, bevor er sich ganz der Klarinette und speziell der Klezmermusik widmete. Joscho Stephan lernte das Gitarrenspiel von seinem Vater Günther, der heute in dem Trio die Rhythmusgitarre spielt, entwickelte sich jedoch konsequent zum Sologitarristen mit dem Schwerpunkt „Gypsy“-Musik, was bedeutet, das kaum ein Konzert ohne mehrere Stücke von Django Reinhardt über die Bühne geht. Der Bassist Volker Kamp komplettiert das Trio, und wie alle Bassisten ließ er die kleinen ironischen Späße des Bandleaders mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Allerdings machte sich Joscho Stephan in seinen launigen Kommentaren zwischen den einzelnen Stücken nie über seine Mitspieler lustig, sondern wusste ihre Stärken und Eigenarten mit gut gemeinten Späßen in den Vordergrund zu rücken.
Auf Eisel kam Stephan anlässlich eines Konzerts eher zufällig, und sie fanden soviel Gefallen an der Spielart des jeweils anderen, dass sie seidem den weiteren musikalischen Weg gemeinsam gehen. In diesen beiden Personen treffen zwei perfekte Virtuosen aufeinander, denen es gelingt, ihr Spiel geradezu traumwandlerisch aufeinander abzustimmen. Joscho Stephans Finger laufen mit einer derartigen Geschwindigkeit und Präzision über die Saiten, dass man sich bisweilen fragt, wie das physisch überhaupt geht. Rasante Läufe, vermischt mit Akkorden, blitzschnelle Lagenwechsel und eine unbändige Musizierlust prägen diesen jungen Musiker, der trotz aller Perfektion nie den reinen, fast kindlichen Spaß an seiner Gitarre und deren Möglichkeiten verliert. Helmut Eisel verleiht dagegen seinen Klarinetten – eine normale und eine Bass-Klarinette – fast menschliche Züge. Die Klezmermusik ist bekannt dafür, dass sie jenseits der konzertanten Musik die menschliche Stimme imitiert. Dabei beschränkt sie sich nicht auf „schöne“ Töne, sondern deckt das gesamte Spektrum menschlicher Stimmäußerungen ab. Helmut Eisel hat diese Art der Musik noch perfektioniert. Seine Klarinette kann nicht nur klagen, sondern auch greinen, schimpfen, schreien, krächzen, dann wieder leise weinen oder auftrumpfen. Auf seinen Instrumenten spielt Eisel das gesamte Spektrum menschlicher Befindlichkeiten ab. Das kann auch in gespielte Zwietracht ausarten, wenn seine Klarinette dem Solo-Gitarristen etwas förmlich ins Geischt schreit, worauf dieser nur mit sparsamen, abwärts steigenden Tonfolgen antwortet, als wolle die Gitarre sagen: „Klarinette, lass mich in Ruhe“. Bisweilen wirken diese kleinen musikalischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Instrumenten wie heftige Ehestreitigkeiten, die sich dann aber wieder in Harmonie auflösen oder gar ins Lyrisch-Sentimentale abwandern. Den beiden Solo-Instrumentalisten schien dieser hochvirtuose Schabernack viel Spaß zu bereiten, was verständlich war, da die beiden bei allem Witz nie das hohe technische und musikalische Niveau verließen. Ihre stupende Technik erlaubt ihnen einfach, solche Späße in ihre Musik zu integrieren.
Ähnliches gilt auch für Joscho Stephan selbst. Bei längeren freien Soli über etwa ein Blues-Thema kann er Reminiszenzen an alte Evergreens, an die Beatles oder andere“Gassenhauer“ der Popmusik aufblitzen lassen, ohne jedoch diese nostalgischen Zitate zu überziehen. Gerade, wenn die Zuhörer die Anspielung verstanden haben, wechselt er wieder ins freie Improvisieren.
Natürlich gab es neben verschiedenen Eigenkompositionen von Helmut Eisel und Joscho Stephan auch eine Reihe von Stücken Django Reinhardts, und man merkte dem Trio an, dass sie diesen Musiker buchstäblich in ihr Herz geschlossen haben. Kein Wunder: wer „Gypsy“-Musik macht, muss von Reinhardt ausgehen und wird ihn wohl nie lassen können. Aber bei aller Reinhardt-Reminiszenz achtete Stephan darauf, nicht zu viele bekannte Stücke zu spielen, weil diese meist in entsprechenden Radiosendungen oder bei anderen Gelegenheiten „zu Tode“ gespielt worden sind. Erst zum Schluss gab er „dem Affen“ Zucker, als die vier Musiker ohne Ansage – zum Raten! – mit langem, die Spannung hochtreibendem musikalischem Anlauf „Bei mir bist du scheen“ intonierten und damit das Publikum zum rhythmischen Klatschen animierten.
Natürlich konnten die Musiker es nicht bei der offiziell letzten Nummer belassen, denn das begeisterte Publikum wollte sie nicht einfach so gehen lassen. Und so ließen sie noch eine längere Zugabe mit drei ausgedehnten Soloeinlagen folgen, ehe sie sich die verdiente Abendruhe gönnen konnten.
Frank Raudszus
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