Shakespeares Tragödie als schrill, schmerzhaft und skurril schreitendes Schicksal im Deutschen Theater Berlin
Das Bühnenbild ist schön. Zumindest auf den ersten Blick. Aus massivem Holz in weich hellem Ton gebaut, verbreitet es eine Atmosphäre von Behaglichkeit und Ästhetik. Dem entgegen scheint nur seine räumliche Formung zu stehen. Beginnend als bühnengroße rechteckige Öffnung, zieht es sich nach hinten in den Fluchtpunkt, wo nur eine briefmarkengroße Öffnung einen Weg nach außen freizugeben vorgibt. Was mag sich also Karoly Risz als Bühnenbildner gemeinsam mit dem Regisseur Tilmann Köhler bei dieser Gestaltung gedacht haben? Auch Shakespeares „Macbeth“ thematisiert die Frage des Determinismus des Menschen versus seines Handelns aus freien Stücken. Und wie so oft liegt die situative Wahrheit vielleicht irgendwo im graunebligen Bereich zwischen den Polen. Wir glauben uns frei bewegen zu können, doch ist dieser Handlungsraum nicht unendlich. Und je weiter das Leben und einzelne Handlungszüge voranschreiten, desto mehr, so erscheint es, verdichtet sich unser Spielraum und es entsteht ein Sog zu einem bereits vorher bekannten Endpunkt. Ob es denn so ist, obliegt sicher der subjektiven Wahrnehmung eines jeden selbst sowie der des Betrachters. So mag sich die eine Person auch mehr mit einem Schicksal abfinden und die vorgefertigten Bahnen abschreiten als andere, die versuchen auszubrechen. Im hiesigen Macbeth springen und schlagen die Akteure in verschiedensten Rollen auf die Wände ein. Doch bis auf ein leichtes Beben zeigen die schweren hölzernen Mauern keinerlei Nachgiebigkeit.
Das Stück beginnt invers. So scheint es, als spucke das Schicksal Menschen in ein Spiel, aus dem sie nur durch den erwähnten Ausgang wieder herauskommen können. Vielleicht auch eine simple Metapher des Lebens. Die Geburt durch eine kleine Öffnung ist mit großem Schmerz für alle verbunden – und zur Zeit von Macbeths waren Tod und Geburt nicht selten eng verzahnt, wenn die entbindende Mutter überschwächt und verletzt verstarb. So zeigt sich also in der Inszenierung, dass die optisch winzige Öffnung wohl doch mehr Raum bietet, denn durch sie pressen sich die Hexen in das Schauspiel. Schreiend, jaulend, kämpfend, immer wieder übereinander herfallend, arbeiten sich die vier männlichen Hexen, nahezu wie Gott sie schuf, zur Bühnenkante vor.
Wir sind in Berlin und wir wollen wohl eine provokative Darstellung alles Zeigbaren, also erhalten wir sie auch hier. Vielleicht lohnt als geistige Kur tatsächlich mal eine Flucht in die ländliche Provinz um klassizistische Darstellungen in althergebrachter Arithmetik zu erleben. Als Neutralisierung überreizter Wahrnehmung kann dies sicherlich einen wohltuenden Effekt haben. Aber dies nur als Randbemerkung.
Zurück zu den Hexen gleiten wir in die nächste menschliche Kernlebensfrage: Wer bin ich? Päckchen mit zusammengebundener Kleidung werden aus einer Öffnung gerissen, und wie ein Rudel Hyänen stürzen sich die menschlichen Neulinge darauf, ohne zu wissen, was eigentlich darin ist. Es scheint, als symbolisierten die gebotenen Trachten bereits Lebensweg und Aufstieg, und ohne Kenntnis, welches Bündel nun das verheißungsvollste ist, muss es wohl darum gehen, möglichst dem anderen nichts Zusammenhängendes zu überlassen. Am Ende des Aktes liegt fast alles in einem Trümmerfeld aus Fetzen, und nur einige wenige Kleidungsstücke haben Plätze an Körpern gefunden. Wichtig ist aber zu bemerken, dass kaum etwas dort ist, wofür es bestimmt wurde: ein Kleid wird links als Schürze getragen, ein Overall als Umhang, Hemden als geknotete Schals. Aber ja, vielleicht ist es auch das, was die Hexen vom guten Menschen unterscheidet: Gier, Neid, Gehässigkeit und Hässlichkeit.
Mit Ulrich Matthes als Macbeth und Maren Eggert als seine bezaubernde Lady Macbeth nimmt das Schauspiel zumindest textuell seinen gewöhnlichen Lauf. Ungewöhnlicherweise in dieser Groteskerie erscheint Lady Macbeth im prächtigen blauen Kleid und zeigt sich erhaben und über den Dingen schwebend. Macbeth selbst kämpft weitestgehend mit sich selbst und schaut schweißgebadet und mit geweiteten Augen seinem dahin schnellenden Schicksal zu. Nach seiner gewonnen Schlacht sagen ihm die Hexen die Beförderung zum Thane voraus, um gleich danach noch nachzulegen und bereits die königliche Perspektive auszumalen. Weiter angestachelt von seiner Gemahlin, sieht sich Macbeth gehetzt, tatsächlich König Duncan zu ermorden, ist dann aber zu schwach, den Mord anderen unterzuschieben. Dies holt sogleich Lady Macbeth nach. Doch nun überschlagen sich die Ereignisse – die vermeintlich mörderischen Wachen des Königs werden sogleich auch von Macbeth erschlagen, um das Thema Aufklärung zu beenden. Macbeth wird König, fühlt sich aber zunehmend eingekreist und verfolgt. So mutiert er zum Tyrannen und lässt auch seinen alten Freund Banquo ermorden, sowie später Macduffs Frau und Kinder, als dieser Widersacher Macbeths nach England flieht.
Die Aufführung bewegt sich im Spannungsfeld der provokativ und laut gewählten Darstellungsform zu den historischen Dialogen. Zudem gibt es eine extrem hohe Mehrfachbesetzung bei den Rollen, indem die Hexen, König Duncan und seine Söhne, Banquo, Malcom, Macduff und Lady Macduff sowie etliche weitere Personen von denselben Schauspielern vertreten werden. Bei der rudimentären Bekleidung auf Basis des anfänglichen Wahnsinns ist es sicherlich auch für den geübten Macbeth-Kenner kein leichtes, die Rollenverteilung durchgehend zu erschließen. Ulrich Matthes als Macbeth bleibt die substanzielle Konstante in der Aufführung. Seine tiefliegenden Augen, die schon in anderen Rollen Authenzität verkörpert haben, versinnbildlichen die Rolle des fremdbestimmten Macbeth, der mit großem Erschrecken seinem eigenes Leben bis zum Tode hinterherhetzt.
Malte Raudszus
Alle Fotos © Arno Declair
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