Roman über eine späte und nicht ganz freiwillige Selbstfindung
Gerold Plassek, auch „Geri“ genannt, arbeitet als Lokaljournalist bei einem Wiener Anzeigenblättchen und fühlt sich ansonsten als „cooler“, nonkonformistischer Zeitgenosse. Sein Single-Dasein und seine Tätigkeit als freier Jounralist erlauben ihm die freie Einteilung seiner Tage, die meist erst spät am Abend in „Zoltans Bar“ nach vielen Bieren und auch Schnäpsen mit seinen Kumpanen enden. Natürlich ist Plassek kein Alkoholiker, könnte er doch jederzeit mit dem Trinken aufhören, wenn er wollte. Dass er schon mittags das erste Bier aus dem Kühlschrank fischt, liegt nur daran, dass ihm Bier halt besser schmeckt als Wasser.
Seine Tätigkeit als Redakteur für Soziales bei einem Billigblättchen würde Plassek zwar nicht gerade als gehobenen Journalismus bezeichnen, aber er sieht sich weit entfernt von der letzten Stufe eines Sozialfalles, obwohl in manchen frühen Morgenstunden nach einer durchzechten Nacht in „Zoltans Bar“ doch die Zweifel an ihm nagen, zumal er auch in der Redaktion zunehmend gegen jüngere Kolleg(inn)en an Boden verliert. Plassek war auch einmal verheiratet, aber die Ehe scheiterte an den unterschiedlichen Lebensvorstellungen, was sich der Zuhörer nach einigen der in Ich-Form erzählten Geschichten aus Plasseks Alltag leicht vorstellen kann. Die Tochter aus dieser Ehe sieht er nur selten, was ihn jedoch nicht weiter stört.
Als er eines Tages einen Bericht über ein in finanzielle Nöte geratenes Obdachlosenheim veröffentlicht, erhält diese Einrichtung wenige Tage später einen Brief mit zehntausend Euro und einer Kopie seines Artikels. Großes Hallo in der Redaktion, und auch die seriöse Presse erwähnt diesen Fall. Als jedoch nach einem weiteren, ähnlichen Artikel auch bei der nächsten notleidenden Einrichtung das Gleiche geschieht, wächst Plassek zum Lokalhelden mit überregionaler Bedeutung. Daraufhin lässt der Chefredakteur die weiteren Artikel von einer „besseren“ Redakeurin schreiben, auf deren Berichte jedoch keine Spenden erfolgen. Erst aks Plassek vertretungshalber für die erkrankte Kollegin den nächsten Artikel schreibt, läuft wieder eine Spende derselben Art ein. Als der Chefredakteur versucht, die Spendenserie skrupellos kommerziell auszuschlachten und entsprechende Forderungen an Plassek stellt, kündigt dieser in einem plötzlichen Anfall journalistischer Ethik und steht jetzt vor dem Nichts. Der mehr aus Verlegenheit erfolgte Versuch, seinen fertigen nächsten Artikel an eine angesehene alternative Zeitung zu schicken, führt wider Erwarten zu einer Einladung und sogar zur Veröffentlichung dieses Artikels. Als wiederum eine Spende erfolgt, ist Plassek bei diesem Blatt „gesetzt“ und darf dort weiterschreiben.
Parallel dazu steht Plassek plötzlich vor einer völlig neuen privaten Situation. Eine Freundin aus uralten Tagen stellt ihm eines Tages ihren vierzehnjährigen Sohn vor die Tür mit der Bitte, sich nachmittags um ihn zu kümmern, und ergänzt diese Bitte gegenüber dem widerstrebenden Plassek mit der lakonischen Randnotiz, Manuel sei ja schließlich auch sein Sohn. Notgedrungen und ein wenig misstrauisch baut Plassek den Jungen, der von den familiären Verbindungen nichts ahnt, irgendwie in seine nachmittäglichen Redaktionsarbeiten ein. Als ihm Manuel von einem tschetschenischen Sportkameraden erzählt, der mit seinen Eltern kein Asyl erhalten hat und abgeschoben werden soll, schreibt Plassek zusammen mit Manuel einen flammenden Artikel, der nicht nur zu nächsten Spende führt sondern auch die Behörden erweicht.
Der unaufhaltsame Aufstieg des Gerold Plassek und sein Image bei seinem „geheimen Sohn“ erfahren jedoch einen schweren Rückschlag, als das Konkurrenzblatt öffentlich behauptet, die Spenden stammten aus Schwarzgeldern und zudem noch aus der engeren Verwandschaft des gefeierten Journalisten. Jetzt droht alles zusammenzubrechen und Plassek zurückzufallen in die dumpfe Bierseligkeit seiner Billigblattzeit. Schlimmer noch: sein immer noch ahnungsloser Sohn verachtet ihn.
Doch so tief lässt Daniel Glattauer seinen Protagonisten nicht sinken. Die Erfolgsserie hat seinen Stolz und seinen Kampfgeist geweckt, und so geht er der Sache zusammen mit Manuel auf den Grund. Ziel ist es, einerseits weitere Spenden zu akquirieren und damit die Behauptung zu widerlegen und andererseits das Geheimnis der Identität des Spenders zu lüften. Zudem hat er sich noch in eine junge Frau verliebt, der er nicht als Verlierer gegenüberstehen will, und so machen sich Gerold und Manuel an die Arbeit.
Wie es weitergeht und – vor allem – wie es endet, wollen wir hier nicht verraten, um interessierten Lesern dieser Zeilen nicht die Spannung zu rauben. Auf jeden Fall lohnt es sich, dieses Hörbuch bis zum Ende zu hören (oder den Roman zu lesen). Glattauer beschreibt die späte Selbstfindung eines Mittvierzigers, der bereits die schiefe Bahn des Lebens betreten hat und kurz vor dem finalen Abrutschen steht. Lange Zeit beschönigt Gerold Plassek seine berufliche, soziale und private Situation vor sich selbst, doch nicht zuletzt seine eigenen Kinder helfen ihm unbewusst wieder auf die Beine, und er gewinnt Stück für Stück seine Selbstachtung wieder. Daniel Glattauer beschreibt diese soziale Rekonvaleszenz mit viel Ironie und ohne jeglichen Anflug von Abneigung oder Zynismus gegenüber seinem Protagonisten. Dessen Schwächen schildert er zwar ohne Beschönigung, aber gerade die unüberhörbare Ironie zeigt, dass hier nicht eine moralisierende Aburteilung von einer höheren Ebene erfolgt, sondern dass der Autor die typischen (männlichen) Schwächen seines Protagonisten aus der Sicht eines mitleidenden Menschen beschreibt, der sich klar darüber ist, dass in jedem von uns ein Gerold Plassek steckt.
Heiko Deutschmann liest das Hörbuch mit viel Gespür für eben diese mehr oder minder leise Ironie und zelebriert vor allem die Monologe des Selbstbetrugs mit viel Sinn für die zeitweilig groteske Situation.
Das Hörbuch ist im Verlag Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst acht CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 578 Minuten und kostet 22,99 Euro.
Frank Raudszus
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