Tilman Lucke und Martin Valenske attackieren als Late-Night-Politcomedy im Distel Studio
Direkt, klar, frei heraus – barrierefreie Politcomedy ordentlich gewürzt mit sitzenden Spitzen und einer Prise Zynismus. Dazu gibt es eine Handvoll Sarkasmus, und dann wird alles kräftig mit Ironie durchgeknetet. Das neue Kabarett-Format der Distel „Frisch gepresst“ macht seinem Namen alle Ehre und hebt sich in der Art deutlich vom konventionellen Programm der Distel ab. Schon beim Ort hat man sich für das Distel Studio entschieden, was locker bestuhlt ist und wo die Gäste noch selbst ihre Garderobe aufhängen. Eine kleine Bühne mit Piano empfängt das Publikum. Der Ort ist heimelig und wirkt versteckt – eben wie ein ganz besonderer Tipp im angebotsüberfüllten Berlin.
Die Komödianten werden per Videoclip eingespielt. Zuerst meint man eine Aufnahme zu sehen, da die beiden sich noch Mut antrinken. Doch dann endet das Video plötzlich hinter der Bühnentür und die beiden stolpern hinein – so scheint es zumindest, als sei es eine Live Übertragung. Gelungen spritziger Start! Lucke und Valenske fallen durch ihre Jugendlichkeit auf, was sich durch die, gerade auch für Berlin, konservative Kleidung in Form von Anzug und Sakko mit Krawatte verstärkt. Sie wirken sehr aufgeräumt. Das Publikum hingegen ist sehr leger gekleidet aber ebenfalls jung durchmischt.
In der ersten Szene widmet man sich dem großen Gewinn, den Berlin gerade erlangt hat. Denn die Stadt hat vor wenigen Tagen einige hundert Millionen Euro verdient – durch die gesparten Kosten der Olympischen Spiele 2024.
Die Stimmung war auch in Berlin gelassen – fast jeder schien es den „Muschelschubsern“ (so BZ) gegönnt zu haben, sich nun für Deutschland zu bewerben. Und so wird gewitzelt, dass es nun eben die Hamburger sind, die sich offiziell bewerben dürfen, um dann auch abgelehnt zu werden. Die Analyse der Statuten des IOC führen zu weiterer Erheiterung. So scheint es, als schreibe das Committee der austragenden Stadt tatsächlich vor, die gesamten Werbeflächen der Stadt nur den Sponsoren des IOC zur Verfügung zu stellen. Außerdem zahlt das IOC in der austragenden Stadt keine Steuern, auch nicht im austragenden Land oder sonst irgendwo. Genial! Zu guter Letzt belustigen die Leute noch einige Bilder vom im Verkehrsinfakt strauchelnden London, wo neben kilometerlangen Staus gähnend leere IOC-Spuren den Komfortanspruch des Committees repräsentieren. Es kommt zur kurzen Abstimmung unter den Gästen, wo wohl die größeren Mafia-Strukturen vorherrschen – IOC oder FIFA. Die Stimmung ist tendenziell gegen die FIFA, wobei es dann heißt, ja, hier sei das Entscheidungsgremium kleiner und leichter finanziell auszusteuern – jedoch wird beim IOC die Größe des Committees auch durch den erheblich größeren finanziellen Rahmen aufgefangen. Ob das stimmt? Oder war es doch andersherum? Egal, echte Wahrheit ist nun auch nicht so wichtig!
Immer wieder eingestreut werden die Ansagen in der uns seit neuestem liebenden BVG, die uns ihr neues Herzlogo entgegenstreckt. So wurden in der U2 die tristen Stationsansagen durch B, C und X Promis ausgetauscht. Einige davon müssen sich erst aufwändigst vorstellen, damit sie denn eingeordnet werden können. Da kann die U-Bahn die eigentliche Station schon mal passiert haben. Die Idee ist ja trotzdem ganz süß, möchte man meinen. Am heutigen Abend grüßen dann noch ein paar „alte Bekannte“. Zu zum Beispiel der frühere Reichskanzler, der die Station Holocaustmahnmal ankündigt. Bitterböse. Es folgt Harald Juhnke, der schon in guter Laune die Station Weinmeisterstraße ankündigt. Besonders schön ist auch die Definition von Glück, die Juhnke mal geäußert haben soll: “Keine Termine im Kalender und leicht einen sitzen haben“. Authentisch!
Nun folgt unter anderem noch ein kurzer Exkurs über den kinderfreundlichen Herrn Edathy. So wurde ja groß darüber berichtet, dass der Kinderschutzbund die von ihm gespendete Summe nicht annehmen wollte. Das scheint verständlich. Jedoch müsse man wissen, dass ein erheblicher Anteil an Strafzahlungen aus dem Bereich Jugend- und Kindesmissbrauchs komme und den respektiven Organisationen zugeteilt werde. Dort hat man das wohl immer gerne genommen. Die öffentliche Ablehnung im Falle Edathy führte allerdings zu einem Spendensegen, der dessen Zuwendung um ein Vielfaches überstieg. Als Betriebswirt muss man also die Schlussfolgerung ziehen: Alles richtig gemacht!
Als Resümee des Abends bleibt der Eindruck, dass die Politcomedy wirklich mühevoll vorbereitet ist und sich dabei nicht der Anstrengung unterwirft, bewusst vorsichtig vorzugehen. Nicht jedem Publikum mag der teils zynische Witz und sarkastische Ton gefallen. Aber herausragende Comedy muss anecken, sonst ist sie weichgespült und dient mehr der Seniorenbespaßung. Und auch unter den älteren Herrschaften gibt es sicherlich einige, die noch ein wenig harten Biss vertragen können. Ich würde persönlich noch etwas an der Dissonanz des Auftretens mit den Inhalten arbeiten. Die konservative Kleidung hat etwas Schülerischhaftes, verleiht eine leicht gestellte Atmosphäre und schafft ungewollte Distanz zum Publikum. Hier sollte etwas legerer und somit selbstbewusster ein eigener und authentischer Stil gezeigt werden.
Die nächste Ausgabe von „Frisch gespresst“ findet am Freitag und Samstag (22. und 23. Mai) jeweils ab 21.30 Uhr statt.
Malte Raudszus
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