Im 6. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt intoniert das „Alliage Quintett“ große Oper auf vier Saxophonen.
Als Adolphe Sax in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts sein neues Instrument vorstellte, dachte er sicher nicht im Traum daran, dass es einmal eine große Karriere in der damals noch unbekannten Gattung der Jazz-Musik feiern würde. Er sah es als vollwertiges Mitglied des klassischen Sinfonieorchesters – und irrte sich. Bis heute hat das Saxophon nicht seinen Platz zwischen Oboe und Horn gefunden, obwohl es an Versuchen nicht gefehlt hat. So berichtete auch Sebastion Pottmeier, seines Zeichens Barioton-Saxophonist des Alliage-Quintetts, dass selbst Rossini von dem neuen Instruemnt angetan gewesen sei – und nichts dafür komponiert habe. Die Saxophonisten der Welt können sich jedoch damiot trösten, dass dieses Instrument einen ungeahnten Siegeszug im Jazz gefeiert hat und dort nicht mehr wegzudenken ist.
Dennoch gibt es auch heute noch Spitzen-Ensembles, die diesem Instrument seinen Weg in die Konzertsäle der E-Musik bahnen wollen, und das Alliage-Quintett ist eines davon. Der Franzose Daniel Gauthier am Sopran-Saxophon ist nicht nur ein Virtuose „par excellence“, sondern begrüßt auch das Publikum in fließendem Deutsch. Die Polin Magdalene Lapaj füllt den nächsten Klangraum mit dem Alt-Saxophon, und die Ukrainerin Asya Fateyeva schließt sich mit dem Tenor-Saxophon an. Sebastian Pottmeier rundet das Bläserquartett mit dem voluminösen Bariton-Saxophon ab. Es sind also alle Klangfarben vom flöten- oder oboenähnlichen Sopran bis zum sonor brummenden Bariton vertreten. Für mehr Fülle und zusätzliche Klangfarben sorgt in einzelnen Arrangement die koreanische Pianistin Jang Eun Bae.
An diesem Abend zeigte Daniel Gauthier mit seinen eröffnenden Worten gleich einmal, dass es an diesem Abend neben dem Genuss hochwertiger Musik auch um den Spaß gehen würde. Dieser Humor deutete sich nicht nur in seinen launigen Worten an, sondern auch in dem ersten Stück, der Overtüre zur Oper „Candide“ von Leonard Bernstein. Damit hatten die fünf Musiker – im ersten Teil spielten sie durchgehend mit dem Piano – bereits in gewissem Sinne die Brücke vom Jazz zur sogannnten „E-Musik“ geschlagen. Denn wohl kaum ein moderner Komponist stand dem Jazz näher als der Amerikaner, der nicht nur mit der „West Side Story“ und anderen bekannten Stücken Elemente des modernen Jazz in den Konzertsaal brachte sondern auch als Dirigent immer wieder den Brückenschlag zwischen den Welten wagte.
Bereits in diesem Arrangement zeigte sich die breite Klang-Palette der vier Blasinstrumente, die der kontrastierende Klangraum des Flügels gezielt ergänzte. Doch dann gaben die Musiker „dem Affen Zucker“, wie man so schön sagt, wenn die Erwartungshaltung mit einem „Aha“-Effekt beantwortet wird. Die Fantasie über Mozarts „Zauberflöte“ zog wirklich alle Register bezüglich Auswahl der Themen und Arrangement. Natürlich durfte die Ouvertüre nicht fehlen, die Arie der „Königin der Nacht“, das Lied vom „bezaubernd schönen Bildnis“, die neckischen Mono- bzw. Dialoge von Papageno und Papagena: alles das hatte Platz in der Fantasie, und hier glänzten die Musiker vor allem mit musikalischem Witz, denn die technische Perfektion war ja geradezu eine Selbstverständlichkeit. Nach diesem Fest der Wiedererkennungseffekte präsentierten die fünf vor der Pause noch Rimsky-Korsakows „Scheherazade“, ein opulentes Orchesterwerk mit viel orientalischem Flair, arrangiert für vier Saxopohone und ein Klavier, die dank ihrer vielfältigen Klangfarben ein ganzes Orchester simulierten.
Nach der Pause ging es weiter mit Opern, anfangs in reduzierte Aufstellung ohne Klavier. Zu Beginn stand wieder ein „Renner“ auf dem Programm, Rossinis „Barbier von Sevilla“. Man kennt ja die Melodien und kann fast mitsingen. Die vier Musiker taten auch alles, um den „Mitsing-Impuls“ zu stärken. Das lag aber eher an ihrem musikalischem Temperament als an dem tatsächlichen Wunsch, das Publikum zum Mitsingen aufzufordern. Natürlich tut das bei einem Kammerkonzert niemand, aber so manches Bein und so mancher Kopf wippten schon mit. Danach wurde es dann etwas moderner. Die „Tosca-Fantasie“ schwelgte nicht in bekannten Melodien, sondern bearbeitete das Thema mit ganz eigenen, eher modernen Tonfolgen. Der Grund für diese eher verhaltene Komposition lag wohl darin, dass die Musiker das Publikum nicht mit einer dichten Folge von Repertoire-Rennern erschlagen wollten, sondern den Zuhörern vor dem Finale noch eine kleine Verschnaufpause gönnen wollten.
Denn das letzte Stück hatte es dann wieder in sich, und was hätte man besseres wählen können als – „Carmen“. Noch einmal blitzten die bekannten Melodien in den verschiedenen Stimmen auf, und die vier Saxophonisten, nun wieder verstärkt durch die Pianistin Jang Eun Bae, packten noch einmal alles aus, was sie techisch und musikalisch auf Lager hatten. Die bekannten Motive wechselten durch die Stimmen oder ergänzten sich gegenseitig in einem feurigen Wettkampf von Flamenco und Torero-Themen. Daniel Gauthier leistete auf dem Sopran-Saxophon Schwerstarbeit, die sich aber stets leicht und locker anhörte, und seine Kollegen standen ihm in nichts nach.
Das Publikum zeigte sich begeistert über diese abwechlsungsreichs und humoristische Reise durch die Opernwelt und spendete begeisterten Beifall. Die fünf Musiker ließen sich nicht lange bitten und lieferten noch drei Zugaben: einen Ausschnitt aus Leonard Bernsteins „Westside Story“, Dmitri Schostakowitschs bekannten Walzer und Aram Chatschaturjans „Säbeltanz“, noch einmal drei echte „Rausschmeißer“, die das Publikum von den Sitzen rissen.
Frank Raudszus
No comments yet.