Die Deutsche Oper Berlin präsentiert Giacomo Puccinis wundersame Opernkomödie
Der Weg Puccinis zu „La Rondine“ war ein langer und beschwerlicher Akt. So begann es mit dem Auftrag für das Carlstheater in Wien, wobei er gebeten wurde, eine Operette musikalisch zu untermalen. Hiergegen wehrte sich Puccini jedoch vehement – vor allem in seiner Korrespondenz mit Angelo Eisner im Winter 1914/15. So diskreditierte er den ersten Librettovorschlag als schlampig und banal, ohne Charakterstudien, ohne Originalität und letztlich ohne Belang. Er wolle aber ein Sujet einer komischen oder lyrischen Oper, das ihr Geld und seine Musik wert sei. Neben den Verhandlungen über Vermarktungsrechte und -beteiligungen über Kontinentaleuropa bis nach Russland und Argentinien entwickelte sich schließlich auch das Libretto in eine Richtung, die Puccini zunehmend von erträglich bis zuletzt „einer Oper voller Leben und Melodie“ bezeichnete. Und so erwuchs „La Rondine“, die Schwalbe, als eine neuartige Oper, mit kontinuierlicher theatralischer Intensität als eine Verschmelzung von klassischer Oper und Operette. Sie präsentiert sich als eine leichtfüßige Erzählung auf der Grundlage komplexer Charaktere in der Kunstform einer hochanspruchsvollen schauspielerischen Leistung, deren in musikalischen Samt gehüllter Handlung leicht und mit einem Schmunzeln im Gesicht zu folgen ist.
Rolando Villazón tritt als weltbekannter Opernsänger in neuer Rolle auf und inszeniert uns „La Rondine“ an der Deutschen Oper Berlin. Hierbei versetzt er das Geschehen kurze Zeit später als in den Punkt seiner Entstehung, nämlich in die 20er Jahre. Die Rolle der Frau hat sich mit dem 1. Weltkrieg gestärkt und aus der unabdingbaren Abhängigkeit vom Mann gelöst. Die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben haben sich deutlich fortentwickelt, so dass Entscheidungen für ein individuelles soziales Auftreten nun möglich erscheinen.
La Rondine präsentiert sich in drei Akten. Es beginnt in der vorherrschenden Konstellation des damaligen Paris, wo sich Magda als Kurtisane vom reichen Bankier Rambaldo aushalten lässt und die Annehmlichkeiten einer Zofe und ihre Freiheiten genießt. Villazón zeigt das Geschehen vor einem Bühnenbild einer antiken weiblichen Schönheit, die nackt, nur die Scham bedeckend, in Chaiselonguepose das vorherrschende Frauenbild widerspiegelt. Während ein Dichter die elitäre Gesellschaft mit Erzählungen zur aufkommenden romantischen Liebe belustigt, tritt der provinzielle Ruggero als Sohn eines Bekannten Rambaldos ein. Man überzeugt ihn, dass seine erste Nacht in Paris zum besonderen Ereignis werden muss, und empfiehlt ihm den Club Bullier als Vorgänger des Moulin Rouge. Magda, noch immer aphrodisiert vom zart keimenden Traum ehrlicher Liebe, nutzt die Gelegenheit der abendlichen Abwesenheit von Zofe und Rambaldo und begibt sich ebenfalls ins Bullier. Der zweite Akt beginnt mit der ekstatischen Feier getragen von viel Glitzer und Bächen aus Champagner, in der Gruppen junger Frauen und Männer aller Couleurs sich wild durcheinander mischen. Es taugt durchaus als lebendes Abbild der „Great Gatsby“-Feierlichkeiten auf Long Island. Auch Ruggero ist bereits eingetroffen, erscheint aber wie der Puma im Affenstall und beäugt das Geschehen geduckt von einem Platz in der Ecke. Der Hintergrund hat sich in drehende Dreieckssäulen gewandelt, die zum einen Spiegel und teils aber noch die Fragmente der antiken Schönheit tragen. Es ist ein Schmelztiegel aus Mondäne und Aristokratie, wobei letztere offensichtlich restlos zerfallen ist. Als Magda den Saal betritt, stürzen sich die betagten Studenten auf sie wie Hyänen auf ein von der Herde getrenntes Lämmchen. Doch auch sie erscheint seltsam sittsam für das Etablissement, was Ihren trunkenen Schwarm natürlich nicht abhält. Mit Mühe kann sie sich an den freien Platz neben Ruggero retten, unter der Behauptung, sie sei doch verabredet gewesen. Der Samen wahrer Leidenschaft ist gesetzt und wird mit reichlich Prickelndem vom kleinen Trieb zur ersten Blüte befördert. Zum Endes des Abends taucht plötzlich noch Rambaldo zum eigenen Vergnügen auf, das beim Anblick seiner Geliebten ein jähes Ende findet. Ihre Aufkündigung nimmt er allerdings mit ungewöhnlicher Fassung hin, und so zieht Magda als Paulette mit Ruggero Ihrer Wege.
Im dritten Akt nach der Pause befinden wir uns an der Côte d’Azure in mediterraner Lässigkeit unter strahlend blauem Himmel und mit dem Rauschen des Meeres in den Ohren. Wieder greift Villazón sein originäres Bühnenbild auf, es bleibt allerdings nur der Scherenschnitt der liegenden Figur im blauen Himmel. Eine Idee von „wo kommst Du her“ und „wer bist Du“, aber eben auch ein nahezu vollständiges Loslösen von einem archaischen Rollenbild. Die wohlige Romantik der gelebten Liebe stören nur einige finanzielle Sorgen, deren sich Magda zuvor nie aussetzen musste und deren Existenz sie auch nicht wirklich versteht. Als ihre ehemalige Zofe mit dem Dichter als Mann zu Besuch kommen, stellt sie diese sogleich auf eigenes Verlangen wieder ein, obwohl jegliche Mittel dazu fehlen dürften. Plötzlich sind diese wie Eintagsfliegen aber auch wieder entschwunden. Letztlich ist es der Brief Ruggeros Mutter, der den Schnitt setzt. Sie wünscht ihrem Sohn alles Gute für die Hochzeit mit seiner Auserwählten, so sie tugendhaft und rein sei. Entgegen dem ursprünglichen Libretto entschließt sich Puccini, Magda den Bruch der Beziehung einleiten zu lassen, da Gegenteiliges gesellschaftlich weder damals noch heute Freude beim Publikum auslösen würde. Ganz besonders für La Rondine verabschiedet sich Magda aus dem Hintergrund mit einem leuchtendend, klaren, langgezogenen A, bevor die Bühne in Dunkelheit versinkt.
Wirklich ausgezeichnet erscheint die unsichtbare Verwebung schauspielerischen Könnens mit gesanglichem Talent vor allem bei Magda (Dinara Alieva), Ruggero (Charles Castronovo), Prunier dem Dichter (Álvaro Zambrano) und Lisette der Zofe (Alexandra Hutton). Dies wurde vom Publikum auch mit außergewöhnlichem Applaus belohnt. Durch diese Symbiose gelingt es eben, eine unglaublich zarte und genussvolle Oper zu kreieren, die vollständig wie ein Traum erscheint und dabei trotzdem inhaltlich keine Kompromisse eingeht. Natürlich ist auch in dieser Oper die Handlung einfach und klar gestrickt, dafür sind aber die Charaktere punktgenau gezeichnet und erringen ein Maß an Glaubwürdigkeit, das Vergleiche suchen muss. Die musikalische Bühne für das Schauspiel wird vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Roberto Rizzi Brignoli sehr zart und dennoch mit viel Kraft und Leidenschaft dargeboten. Auch wenn die Dynamik nachdrücklich das szenische Geschehen unterstützt und treibt, bleibt das gesamte Werk frei von exzentrischen Amplituden oder aufkochenden Emotionen, sondern umspinnt den Zuhörer mit einem hauchdünnen seidenen Faden in einer unendlichen Anzahl an Umdrehungen. Man fühlt sich wohlig verpackt und das Geschehen gleitet in der Traumästhetik einer fallenden Feder in zarten Schwüngen seinem Schicksal entgegen.
Malte Raudszus
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