Das Varieté „Da Capo“ präsentiert in Darmstadt seine neue Show „Tölpel“.
Die Varietés, vor allem diejenigen, die jedes Jahr an denselben Orten auftreten, müssen sich stets etwas neues einfallen lassen, um das Publikum anzulocken. Das gilt auch für das „Da Capo“ von James Jungeli, das schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Dezember jedes Jahres die Vorweihnachtsfreude der Darmstädter mit spannenden und unterhaltenden Shows hebt.
In den letzten Jahren ist das typische „Zirkus“-Ambiente mit Sitzreihen für ein Publikum, das hauptsächlich Vorführungen sehen will, einer eher gastronomischen Atmosphäre gewichen. Wie schon im letzten Jahr gibt es auch in diesem Jahr keine einzelnen Sitze mehr, sondern nur noch bestuhlte Tische, die in erster Linie zum Essen gedacht sind. Die Logik dahinter ist so einfach wie zwingend: angesichts der Eintrittspreise zielt man eher auf eine gehobene Klientel – vor allem Firmen -, die einen Varieté-Besuch als „Erlebnis“ mit kulinarischem Schwerpunkt gestalten möchte.
Diesem Wunsch hat James Jungeli dadurch entsprochen, dass er die Tore seines Zeltes bereits ab 18 Uhr öffnet und den Zuschauerraum zu einem gepflegten Restaurant umgestaltet hat: eingedeckte Tische mit ausreichend Abstand zum Nachbartisch und rundherum guter Sicht auf die Bühne, die als kleine – aber feine – Arena im Zentrum des kreisrunden Zeltes angesiedelt ist. Bereits um halb sieben ist das Zelt denn auch gut gefüllt, und die Menüs von Chefkoch André Großfeld finden offensichtlich reißenden Absatz. Die zwei Stunden vor Beginn der Show sollten für ein Dreigang-Menü reichen, und das Personal tut auch alles, um den Zeitrahmen nicht zu überschreiten. Dass sich dann der Beginn wegen des Servierens des Nachtischs doch noch um zehn Minuten verzögert, fällt unter die Rubrik „unvermeidliche Verzögerungen“, stört jedoch offensichtlich niemanden. Zu dem gastronomischen Schwerpunkt passt dann auch, dass James Jungeli und der Küchenchef das Publikum gemeinsam begrüßen, bevor das artistische Programm beginnt.
Das zeigt dann einen Mann, der mit traurigem Gesicht vor dem Spiegel einer Künstlergarderobe sitzt und vor sich hin sinniert, bis ihn eine junge Frau in rotem Kleid an die Hand nimmt, um ihn mit Gesang durch die Traumwelt der Sinne zu führen. Dieser „Tölpel“ (Klaus Loch) wird dann als erstaunter Zuschauer und verträumt-tolpatschiger Künstler das gesamte Programm begleiten. In seinem zu kurzen Anzug sieht er weltfremd und lebensuntüchtig aus, aber das Staunen hat er nicht verlernt. Nebenbei führt er – sozusagen als Zwischenspiele – kleine Kunststücke auf, die vordergründig dilettantisch aussehen, in Wirklichkeit aber von hoher artistischer Kunst und Konzentration zeugen. Dazu gehören die kleinen Fingerspiele mit unglaublich beweglichen Fingergelenken ebenso wie der unübertroffene Kampf mit dem herzförmigen Luftballon, der ihn entweder in die Luft zu entführen droht oder den er auch mit größter Kraftanstrengung nicht von der Stelle bewegen kann. Hier zeigt Loch die hohe Kunst der Körperbeherrschung und einer fast surreal anmutenden Körpersprache.
Das Gegenstück dieses Träumers ist der weltgewandte „Master of Hellfire“ (Hubertus Wawra), der sich außer durch seine Feuerschluckerkünste durch die Fähigkeit auszeichnet, aus jeder Situation etwas zu machen. Wawra kommt als eine Mischung aus „Hans Dampf in allen Gassen“, Clown, Entertainer und Hochstapler daher. Dazu gehören natürlich auch Kunststücke, die er mit großem Brimborium ankündigt und die in einer komisch-trivialen Pointe münden. Mit Vorliebe treibt er pyrotechnische Spielereien, die schließlich in eine großem „Showdown“ mit einem veritablen Flammenwerfer und einer jungen Dame aus dem Publikum münden. Während man bei dem „Tölpel“ melancholisch schmunzelt und an eigene Unzulänglichkeiten denkt, lockt der „Master of Hellfire“ ein befreiendes – und bisweilen ein wenig schadenfrohes – Lachen hervor, das er dem Publikum umgehend vor die Nase hält….
Doch neben dem humoristischen Part gibt es auch ein umfangreiches artistisches Programm. Da ist einmal die junge Ballartistin, die mit und auf drei großen Gummibällen herumturnt, als sei sie für diese Bewegung geboren. Der farbige Kontorsionist dagegen zeigt, wie weit ein Mensch seinen Körper verbiegen und dabei noch lächeln und kleine Scherze treiben kann. Mal sieht er aus wie eine Spinne, dann wieder wie ein Knäuel aus Gummigliedern. Man muss schon gute Nerven haben, um sich diese Verrenkungen anzusehen, und die Assoziationen an den Schmerz (den man selbst empfinden würde) ausblenden. Eine junge Vietnamesin balanciert auf unglaubliche Weise auf einem nachgiebigen Hochseil, und man mag es nicht glauben, dass ein Mensch quer auf diesem Seil knieen und noch mit dem Mund ein Tuch vom Seil pflücken kann. Zu allem Überfluss balanciert sie dann auf dem Seil – auf einer Leiter stehend! – noch ein Schwert, das auf der Spitze eines vom Mund gehaltenen Messers steht.
Die vier äthiopischen Schlangenmädchen zeigen kontorsionistische Kunststücke in der Formation und aus der Bewegung heraus und lassen diese Kunst etwas gefälliger aussehen als bei dem seinen Körper vollständig verrenkenden Franzosen. Ein Höhepunkt mit Witzbeilage ist die Show der drei „Trampo Brothers“, die als Mafiosi mit schwarzen Anzügen, Sonnenbrille und Hut auf die Bühne kommen und auf eine Trampolin steigen. Der eine von ihnen, klein und drollig, spielt den Trottel, den die anderen nicht ganz ernstnehmen, springt aber in dieser vermeintlichen Trottligkeit mindestens genauso hoch und gelenkig wie die anderen beiden. Der Slapstickanteil dieser Nummer sorgt wieder für viel Heiterkeit beim Publikum, und den Artisten scheint es auch viel Spaß zu machen.
Das Programm wird abgerundet durch eine rasante Rollerskate-Nummer auf einer erhöhten Rundbühne, wobei man bei den rasanten, waagerechtenen Drehungen der Frau um ihren Partner angesichts der dünnen Kopplung durch ein einziges Nackenseil stets einen tangentialen Abflug der Dame auf die Tische rund um die Bühne befürchtet. Ein weiterer akrobatischer Höhepunkt ist die Luft-Akrobatik des kolumbianischen Paares, das sich, hoch am Seil hängend, gegenseitig nur mit dem Mund festhält. Auch hier stellt man sich die Belastung der Gebisse vor und befürchtet sekündlich den Absturz auf den Boden. Doch in allen Fällen handelt es sich um echte Profis, die ihre jeweilige Kunst „aus dem FF“ beherrschen und den Angstschauer der Zuschauer bewusst einkalkulieren. Am Ende stehen sie allen – vermeintlichen? – Gefahren zum Trotz lächelnd auf der Bühne und nehmen strahlend den Beifall des erleichterten Publikums entgegen.
DiePausen zwischen einzelnen Szenen werden überbrückt durch eine weibliche Tanztruppe, die bei jedem Auftritt gewagtere und fantasievollere Kostüme trägt und auch mit der Erotik nicht spart. Die Musik dazu kommt von einer Band, die hoch über dem Eingang der Bühne auf einer Empore spielt und mit ihrer Musik nicht nur die jungen Damen in rhythmische Bewegungen versetzt sondern auch die einzelnen Artisten mit dramatischen Soundeffekten begleitet.
James Jungeli hat auch in diesem Jahr wieder ein attraktives Programm zusammengestellt und erzielt zusammen mit dem gelungenen Ambiente des Zeltes und der ansprechenden Gastronomie beim Publikum das gefühl eines gelungenen Abends, den man gerne weiter empfiehlt.
Frank Raudszus
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