Klanggedichte des Impressionismus

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Das deutsche Sinfonieorchester Berlin und Janine Jansen spielen in der Berliner Philharmonie Werke von Debussy, Chausson, Ravel und Prokofjew.

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit Violinsolistin Janine Jansen in der Berliner Philharmonie

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit Violinsolistin Janine Jansen in der Berliner Philharmonie; (c) Kai Bienert

Der Konzertabend in der Berliner Philharmonie verspricht außergewöhnliche Kontraste. So beginnt er literarisch inspiriert mit einer klanglichen Entführung in die Traumgärten des Gottes der freien Natur Faunus. Hierauf folgt eine pralle symphonische Dichtung im Wechselspiel von Violine und Orchester, deren Wuzeln in Paris liegen. Die Violinliteratur setzt sich schließlich im dritten Werk parkettfremd im Südosten Europas in einer Hommage an die traditionelle Musik der Sinti und Roma fort. Nach der Pause konsolidiert sich als Abschluss des Abends eine transatlantische Lebensgeschichte in einer Symphonie höchster Güte.

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO Berlin) unter der Leitung von Tugan Sokhiev stellt an diesem Abend gemeinsam mit der Violinsolistin Janine Jansen die herausragenden musikalischen Künstler. Das DSO Berlin entstand im amerikanischen Sektor Berlins und zählt heute zu den renommiertesten der Bundeshauptstadt. Die Leitung übernahm bereits im Jahr 2012 der 1977 in Russland geborene Tugan Sokhiev, der am Konservatorium in St. Petersburg studierte und zurzeit ebenfalls die Position des Musikdirektors des Bolschoi-Theaters in Moskau inne hat. Janine Jansen ist gebürtige Niederländerin und präsentiert Ihre Künste auf einer Violine, die direkt auf Antonio Stradivari zurückgehen soll und das Baujahr 1727 aufweist.

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Janine Jansen; (c) Harald Hoffmann

„Pélude á l’après-midi d’un faune“, das Vorspiel zum Nachmittag eines Faunes, des altitalischen Gottes der freien Natur, ist es, wozu uns Claude Debussy (1862-1918) einlädt. Debussy wächst in einfachsten Verhältnissen auf und hat nicht einmal die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Nur durch Glück wird die wohlhabende Madame Mauté de Fleurville auf ihn aufmerksam, nimmt sich seines Talentes an und schickt ihn schließlich auf das Konservatorium in Paris. Hier entwickelt sich der junge Debussy vom Pianisten zum Komponisten und bildet mit seinen Werken die Brücke zwischen Romantik und Moderne. Das genannte Werk ist sein bekanntestes und geht auf eine Dichtung Stéphane Mallarmés  zurück – mit diesem Werk hat sich Debussy als musikalischer Impressionist einen Namen gemacht. In der Tat hinterlässt die Komposition sehr viele bildhafte Eindrücke und lädt zum Träumen ein. Der Harfe kommt hier eine selten prominente Rolle zu, indem ihre Klänge das Stück zu leiten scheinen, wie ein kleiner Gebirgsbach einer verwunschenen Wiese ihre Form und Dynamik verleiht. Man fühlt sich an einen lauen Sonntagnachmittag in einem zart blühenden Frühsommergarten versetzt und atmet die leichte Pracht einer noch frühlingshaften Natur ein.

Ernest Chausson (1855-1899) kommt in einer sehr wohlhabende Familie zur Welt und genießt von Beginn an eine exzellente Ausbildung. Neben Paris zieht es ihn aber auch in das abgelegene Bayreuth, wo er sich durch Richard Wagner inspirieren lässt. „Poèm“ ist eines seiner Hauptwerke der symphonischen Dichtungen, die er neben Opern, Kammermusik und Orchesterwerken schrieb. Janine Jansen findet in der Komposition für Violine und Orchester eine distinguierte Plattform, ihre Energie, Leidenschaft und klangliche Präzision unter Beweis zu stellen.

Das außergewöhnliche Klangerlebnis des Abends ist aber eindeutig „Tzigane“ von Maurice Ravel (1875-1937), der schon mit dem Titel seines Werkes in der Fassung für Violine und Orchester auf die heute als despektierlich bekannte Bezeichnung „Zigeuner“ anspielt. Gemäßigt im Verhältnis zu seinen Vorkomponisten an diesem Abend wächst Rival in bürgerlichen Verhältnissen auf und entwickelt sich zunächst im Windschatten von Debussy zu einem weiteren Vertreter der musizierenden Impressionisten. Mit seiner Komposition „Tzigane“ wollte Ravel aber gar nicht abwertend polarisieren, sondern vielmehr ein romantisches Klischee der ungarischen Musikform der Siniti und Roma zeichnen.

Tugan Sokhiev; (c) David Beecroft

Die Verwandlung der Niederschrift in Ton stellt Janine Jansen vor eine Aufgabe, die echten körperlichen Einsatz fordert. Neben dem widerkehrenden Zupfen sind schnelle Rhythmuswechsel und kurze melodische Einwürfe Herausforderungen, die sie mit großer Leidenschaft meistert. Und tatsächlich kommt eine Freude mit der Musik auf, die in Konzertsälen so ihres Gleichen sucht. Bildhaft gesprochen, fühlt man sich an eine fröhlich tanzende Schar Menschen erinnert, in der Männer und Frauen unter großer Ausgelassenheit, sich in den Armen hängend, über die Tanzfläche wirbeln. Wir springen also einmal von der piekfeinen ersten Klasse der „Titanic“ hinab in die Dritte, wo die Stimmung himmelhochjauchzend ist. Einen Untergang müssen wir heute glücklicherweise nicht fürchten!

Den Abschluss des Abends bildet die Symphonie Nr. 7 cis-Moll op. 131 von Sergei Prokofjew (1891-1953). Der im heutigen noch-ukrainischen Donezk geborene Komponist besuchte schon mit 13 Jahren das Konservatorium in St. Petersburg. Später siedelte er in die USA über, wo er aber erfolglos blieb und sich schließlich finanziell angeschlagen nach Paris zurückzog. Seinen Lebensabend verbrachte Prokofjew in Moskau, und die öffentliche Trauer um seinen Tod fiel wohl nur deshalb so knapp aus, weil dieser auf denselben Tag wie Stalins Ableben fiel. Die Symphonie Nr. 7 komponierte Prokofjew zunächst für ein Jugendorchester, was ihre klare und schlichte Klangstruktur erklärt. Hinzu kommt etwas Orientalisch-Märchenhaftes, das dem viersätzigen Werk eine sinnliche und träumerische Note verleiht.

Das Publikum zeigte mit überwältigendem Applaus seine Begeisterung über die Darbietung dieses Abends. Janine Jansen, die in der ersten Konzerthälfte auftrat, beglückte die unaufhörlich applaudierenden Zuhörer sogar mit einer reizenden Zugabe ihres Könnens.

Malte Raudszus

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