Die Hamburger Barockspezialisten „Elbipolis“ gastieren beim Staatstheater Darmstadt.
Bach erschlägt alles! So etwa sieht es aus, wenn die Sprache auf Barockmusik kommt. Der große Leipziger Thomaskantor besetzt dieses Gebiet in der Rezeption des breiten Publikums fast vollständig – zusammen mit seinen Söhnen. Vielen ist Georg Friedrich Händel noch ein Begriff, manchem Georg Philipp Telemann, doch dann ist oft schon Schluss mit der Kenntnis der Barockmusik.
Von daher ist es gut, dass ein Barockabend einmal ganz ohne Bach auskommt und dennoch ein lebendiges Bild dieser musikalischen Epoche vermittelt. Die Hamburger Gruppe „Elbipolis“ – Kunstwort für „Stadt an der Elbe“ – hatte eine Abordnung von sechs Musikern nach Darmstadt geschickt, die Stücke von Agostino Steffani, Georg Friedrich Händel sowie anonymer Komponisten vortrugen. Zwei Violinen (Jürgen Groß und Albrecht Kühner), eine Viola (Jochen Grüner), ein Violincello (Hannah Freienstein), ein Cembalo (Jörg Jacobi) und eine Theorbe (Ophira Zakai) bildeten das Orchester. Man hörte an diesem Abend also Barockmusik ganz ohne Blech- und Holzbläser.
Die frühe Barockmusik hat oft etwas Weltverlorenes, Klagendes an sich. Das mag von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges herrühren, der sich in ganz Europa auswirkte und ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Gottergebenheit hervorrief. Die Musik war noch weitgehend von der Religion bestimmt, die den Menschen angesichts der weltlichen Schrecken nur den Trost der jenseitigen Erlösung spenden konnte. Die Fürstenhöfe hatten in dieser Zeit wenig Geld, Zeit und Sinn für höfische Musik.
Ein Vertreter dieser Zeit ist Agostino Steffani. Er kam zwar erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zur Welt, aber seine Musik atmet noch den Geist der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Ein weltflüchtiger Geist durchzieht seine „Ouverture de L´Opéra Henricus Leone“ von 1689, die aus einer Reihe von typischen Liedformen und Tänzen des Barocks wie Air, Entrée, Menuet, Gavotte und Chaconne besteht. Die Beschränkung auf die Streicher und das eher zurückhaltende Cembalo verleiht dieser Komposition einen feinsinnigen, weltflüchtigen Charakter. Selbst in der abschließenden Chaconne kommt keine Lebensfreude auf, sondern überwiegt eher ein bewegter Schmerz. Die einzelnen Sätze dieser Komposition kontrastieren durch unterschiedliche Instrumentierung deutlich miteinander und bringen immer wieder überraschende Wendungen. So beginnt ein Satz mit einem langen Cembalo-Solo, dann wieder spielen 1. Violine und Theorbe ein Solo zusammen. Doch meist tragen die Violinen und die Viola die Melodie und variieren ein vorgegebenes Thema auf verschiedene Weise. Die sechs Musiker betonten den feinen, geradezu fragilen Klang dieser Musik, und brachten den leisen Klageton überzeugend zum Ausdruck, ohne deswegen in ein falsches Pathos zu verfallen.
Wesentlich freier, ja frecher, kommt Georg Friedrich Händels „Sonata IV“ daher. Kein klagender Grundton, sondern Aufbruchstimmung und Freude an der Musik prägen dieses Stück, das ebenfalls aus Barocktänzen wie Passacaglia, Gigue und Menuett besteht, aber auch bereits allgemeine Tempobezeichnungen wie Allegro und Presto enthält. Das mag daran liegen, dass Händel dreißig Jahre jünger war als Steffani und daher einer neuen Generation angehörte. Sicher wird aber auch seine Übersiedlung in das von den Kriegswirren auf dem Kontinent nicht betroffene England eine Rolle gespielt haben, wo Musik einfach Freunde bereiten sollte. Die einzelnen Sätze der Sonate zeigen eine ausgeprägte Dynamik, lebendige Motive und eine originelle Instrumentierung, die immer wieder die Freude an der Musik erkennen lässt. Nach der feinsinnigen Klage des Auftaktstücks konnten sich die Musiker hier wesentlich freier bewegen und ihren Intonationskünsten freien Lauf lassen.
Den Schluss des ersten Teils bildete das „Concert mise en Partition par Mr. Babel à Hanover“ aus dem Jahr 1689. Der Verfasser ist unbekannt, wenn auch manche Experten Charles Babel als Komponisten sehen. Das Stück beginnt mit einem langen Cembalo-Vorspiel, dann entwickeln sich aus diesem Thema Variationen in jeweils anderer Form und Rhythmik. Den Schlusspunkt setzt das Cembalo mit einem kurzen Solo-Auftritt. Obwohl diese Komposition zur gleichen Zeit wie Steffanis Ouvertüre entstand, ist sie nicht von dem gleichen klagenden Grundtenor geprägt, sondern zeigt freiere Charakterzüge.
Der zweite Teil begann mit Händels „Sinfonie B-Dur“, die um 1706 entstand und mit einem langen Vorspiel des Cellos und der Theorbe beginnt. Auch dieses Stück zeigt die Originalität und die Vielfalt der motivischen Verarbeitung und lässt wieder den Geist der Musik sprühen. Nach einem weiteren Stück eines „Anonymus“, der „2. Suite ou Concert mise en Partition par Mr. Barre“ mit den damals üblichen Tanzelementen und ohne Cembalo kam dann noch einmal Agostino Steffani zu Wort. Seine „Ouverture de L´Opéra Glo Triumphi del Fato“ brachte noch einmal den introvertierten Duktus des Frühbarocks zum Ausdruck. Typischerweise endet dieses Stück nicht mit einem markigen Schlussakkord, sondern verklingt eher leise. Erst die deutliche Entspannung der Musiker signalisierte dem Publikum das Ende des Programms.
Die Zuhörer honorierten die Leistung der Musiker mit freundlichem Beifall. Die Tatsache, dass diese Musik nicht die Affekte des Publikums anspricht, sondern eher das Nachdenken über diese Epoche anregt, verhinderte enthusiastischen Beifall. Aber darauf waren die Musiker offensichtlich vorbereitet, denn sie spielten dennoch eine Zugabe, die noch einmal das Wesen der frühen Barockmusik um 1700 auf den Punkt brachte.
Frank Raudszus
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