Justus Frantz dirigiert beim Rheingau Musik Festival in der Basilika des Klosters Eberbach Mozart und Bruckner.
Dieser Abend am 31. August hatte aus mehreren Gründen etwas von einem Jubiläum an sich. Die positive Assoziation steuerte der siebzigste Geburtstag des Dirigenten bei. Zwar datiert er bereits vom Mai, war jedoch ein Anlass, um Justus Frantz, den Initiatior und langjährigen Organisator des Schleswig-Holstein Musik Festivals, beim Rheingau Musik Festival als Dirigenten zu präsentieren. Dass die beiden Festspiel-Initiatioren, Justus Frantz und Michael Herrmann, eine lange Freundschaft verbindet, spielte dabei natürlich auch eine große Rolle. Die leider negative Assoziation rührt vom Ausbruch des ersten Weltkrieges vor genau einhundert Jahren und vor allem von der erschreckend ähnlichen heutigen Situation in der Ukraine her. Justus Frantz, der im Kloster Eberbach mit seiner „Philharmonie der Nationen“ auftrat, kam bewusst auf die Situation zu sprechen und präsentierte sein Orchester als ein Frieden stiftendes Element, das Musiker aus vielen Ländern in einem Klangkörper vereint. Um diesen Aspekt zu unterstreichen, stellte er einen russischen und einen ukrainischen Musiker seines Orchesters namentlich vor, die sich nach den einleitenden Worten demonstrativ umarmten, bevor sie wieder zu ihrem Instrument griffen. Doch Frantz wäre kein richtiger Musiker, wenn er eine solche Situation nicht auch durch ein entsprechendes Musikstück unterlegen würde. So präsentierte er ein Stück für Streicher, das man durchaus als „Elegie für Streicher“ bezeichnen könnte, das in diesem Fall auber offensichtlich nicht von Edward Elgar stammte. Leider versäumte es Justus Frantz, dem Publikum Titel und Komponisten des Stücks mitzuteilen, so dass der – der gesamten Musikliteratur nicht mächtige – Rezensent passen muss. Mit einigem Recht kann man das Stück jedoch im frühen 20. Jahrhundert verorten.
Justus Frantz hatte für diesen Abend ein wahrhaft gewaltiges Programm zusammengestellt. Schon Mozarts „Jupiter“-Sinfonie, die letzte in C-Dur mit der Opuszahl KV 551, macht ihrem Namen alle Ehre, bringt sie doch das gesamte sinfonische Schaffen Mozarts auf den Punkt. Insofern war sie an diesem Abend nicht das typische „Einsteiger“-Werk, das die Zuhörer langsam in das musikalische Programm einführen will, sondern bereits ein Hauptwerk. Fast möchte man bemerken, Justus Frantz mache es an einem Abend nicht unter zwei Hauptwerken.
In der Basilika des Klosters Eberbach gibt es leider ein Problem mit der Akustik, die der ansonsten großartigen Wirkung dieses Baus für große Konzerte etwas Abbruch tut. Vor allem feine Klänge höherer Frequenzen verlieren sich leicht in dem hohen Gewölbe, während die tiefen Töne, die ja auch meist die kräftigeren sind, sich ausbreiten und von den steinernden Wänden reflektiert werden. Das führt nicht nur zu einem in guten Konzertsälen unbekannten Hall-Effekt, sondern verdunkelt auch das gesamte Klangbild. So wirkte Mozarts Sinfonie von den ersten Takten an ein wenig düster, da die hohen Töne der Streicher nicht voll zum Tragen kamen. Wir haben diese akustischen Probleme bereits verschiedentlich erwähnt, man muss allerdings fairerweise auch eingestehen, das Ambiente und Fassungsvermögen dieses Anwesens im Rheingau ihresgleichen suchen. Von daher scheint die Wahl der Basilika für große Konzerte auch angesichts eingeschränkter akustischer Qualität gerechtfertigt.
Justus Frantz arbeitete die komplexen Strukturen des ersten Satzes hörbar heraus und achtete vor allem auf die Verschränkung der einzelnen Themen und ihre Verarbeitung im Verlauf dieses Satzes. Dem zweiten Satz – ein „Andante cantabile“ – verlieh er, vor allem in dem nach c-Moll gewendeten Part, den Hauch einer Todesahnung, die ja Mozart oft schon in relativ frühen Werken nachgesagt wird. Den dritten Satz nahm er in erstaunlich langsamem Tempo, wodurch das Menuett fast ein wenig schwerfällig wirkte. Dafür ging er den letzten Satz mit Tempo und viel Temperament an. Allerdings hatten das Tempo und der Hall des Raumes letztlich eine geringere Transparenz der Stimmen zur Folge, was besonders bei dem intensiven Fugato zum Tragen kam. Doch, wie bereits gesagt, sind diese Umgebungsbedingungen vorgegeben, und es ist nicht die beste Lösung, diesen Verhältnissen mit einer geänderten Interpretation zu begegnen. Man muss mit den Nachteilen leben, und letzten Endes ging das auch bei dieser Aufführung recht gut.
Ganz anders gestaltete sich in dieser Umgebung die Aufführung von Anton Bruckners 8. Sinfonie in c-Moll. Spötter würden sagen, dass ein Werk eines tiefreligiösen Komponisten halt in einer Kirche zwangsläufig gut klinge. Techniker würden es darauf zurückführen, dass die breiten Klangflächen von Bruckners Musik für Schwächen der Akustik nicht so anfällig sind wie die schlankere Musik Mozarts. Bruckners Musik ist für weite Räume konzipiert, wie sie auch selbst weite Räume schafft und sich in diesen ausbreitet. Hier findet man nicht ein oder zwei Themen, die systematisch im Sinne der Sonatenform entwickelt werden, sondern hier entwickeln sich aus einem Thema immer neue Motive, Themen und Melodielinien, wie sich Blüten an einem Zweig bilden. Die einzelnen Sätze unterscheiden sich auch nicht mehr in Tempo und Format so stark voneinander wie in der Klassik, sondern gleichen sich trotz unterschiedlicher Tempobezeichnung aneinander an. Es geht dem Komponisten offensichtlich eher um den großen Gesamteindruck als um die klare Unterscheidung der einzelnen Sätze. Was jedoch nicht bedeuten soll, dass diese nicht jeweils nach einem festen und eindeutigen Strukturprinzip aufgebaut sind. Nur ist dieses Prinzip im Klangrausch nicht mehr so einfach nachzuvollziehen. Bruckners Sinfonie kann man als einzige große Hymne an das Leben und den Glauben verstehen. Das Scherzo des zweiten Satzes drückt eine einzige Suche nach dem Sinn des Lebens aus, und am Ende dieses Satzes ist die Frage nicht beantwortet. Dafür ist das Adagio des dritten Satzes ein Sehnen nach Erlösung, die nach Bruckners Ansicht nur der Glaube bringen kann. Und so präsentiert sich der Finalsatz schließlich als hymnischer Lobgesang, allerdings mit einer gehörigen Prise irdischer Entsagung. Der Lobgesang auf die göttliche Kraft findet in den reichlich vertretenen Blechbläsern eine angemessene Ausdruckskraft, und dieser letzte Satz schwingt sich zu einem mächtigen Klangrausch aller Instrumente auf.
Die 8. Sinfonie füllt mit ihrer Dauer von gut achtzig Minuten fast schon alleine einen ganzen Konzertabend. Zusammen mit Mozarts Jupiter-Sinfonie dauerte das Konzert nahezu drei Stunden. Dennoch verscheuchte Bruckners mächtige Musik jede Müdigkeit, und das Publikum lauschte gebannt bis zur letzten Minute. Erst nach dem letzten Ton löste sich die Spannung, und bei manchem Besucher setzte jetzt sicher die Müdigkeit ein. Doch alle erkannten die hohe Leistung des Orchesters und seines Dirigenten an und spendeten langen, kräftigen Beifall. Nach dieser „Hochmesse“ der Sinfonik gingen dann alle geläutert und hohen Mutes nach Hause.
Frank Raudszus
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