Das Rheingau Musik Festival präsentiert im Weingut Robert Weil „Fahrende Musiker“.
Im Mittelalter zogen die „fahrenden Musiker“ mit ihren Liedern und Geschichten von Burg zu Burg und unterhielten ihre Gastgeber nicht nur mit abwechslungsreicher Musik auf verschiedenen Instrumenten sondern brachten ihnen auch die neuesten Nachrichten aus der Welt der Ritter und Burgfräulein in ihre abgelegenen Wohnsitze. Letztere Dienstleistung entfällt heute dank Internet und Twitter, doch die Musik bevorzugen die meisten Menschen immer noch in der Originalform direkt vom Künstler. Also dachten sich die Veranstalter ein Format aus, das der historischen Variante zumindest ansatzweise nahekommt. Man nehme vier renommierte Weingüter im Rheingau, die nicht allzu weit auseinanderliegen, und lasse vier Bands in zyklischer Vertauschung nacheinander an allen Standorten spielen. Je eine halbe Stunde Musik, dann Weiterfahrt zum nächsten Weingut. Heute brauchen die fahrenden Musiker den Weg jedoch nicht mehr auf dem Pferd oder gar zu Fuß zurückzulegen, sondern werden in standesgemäßen Karossen samt elektrischer Ausrüstung transportiert.
Für die Veranstaltung am 19. Juli hatte man vier Bands ausgesucht, deren Musikstile viel mit südlicher Hitze zu tun hatte. Ob die Veranstalter geahnt hatten, dass an diesem Tag bei stahlblauem Himmel 35 Grad im Schatten herrschen würden, sei dahingestellt, aber das Wetter passte auf jeden Fall zu der Musik – oder umgekehrt. Denn Blues, Soul und New Orleans Jazz, die alle mehr oder minder aus den heißen Südstaaten der USA stammen, standen im Mittelpunkt des Repertoires.
Auf dem Weingut Robert Weil in Kiedrich ergab sich dabei eine Reihenfolge, die man dramaturgisch als optimal bezeichnen könnte. Zur Einstimmung gepflegter Blues, dann eine richtig fetzige „Südstaaten-Gruppe“, die für Stimmung sorgte. An dritter Stelle folgte anspruchsvoller Jazz im Stil Django Reinhardts, bevor eine „Revival“-Band mit Dixie und New Orleans das Publikum noch einmal richtig aufmischte.
Das Weingut Robert Weil liegt oberhalb von Eltville am Rand des kleinen Orts Kiedrich inmitten von Weinbergen. Das Anwesen besteht aus einem alten Gebäudekomplex, der aufs sorgfältigste restauriert ist und gediegene Vornehmheit ausstrahlt. Eine großzügige Gartenanlage mit altem Baumbestand und viel Rasen umgibt das Gut und bietet den Gästen die Möglichkeit, zwischen den Auftritten der einzelnen Bands zu flanieren, einen Blick in den Innenhof zu werfen und auch einmal die Rezeption mit dem kühlen Brunnen und den Verkostungsutensilien zu besuchen. Auf dem Vorhof hatte man glücklicherweise ein weiträumiges, luftiges Zelt aufgestellt, dass ursprünglich wahrscheinlich gegen den Regen schützen sollte, an diesem Tage aber auch die Sonne ein wenig fernhielt. Trotz der offenen Seitenwände des Zelts verdichtete sich die warme Luft unter dem Zeltdach, so dass die meisten Besucher vor und zwischen den Musikdarbietungen die schattigen Plätzchen unter den Bäumen aufsuchten. Genereller Tenor war jedoch: besser ein wenig zu heiß als kalt und regnerisch!
Den Anfang machte die Gruppe „Häder & Verstärkung“ mit Manfred Häder an der Gitarre, Thore Benz (Bass), Michael Hoffmann (Schlagzeug) sowie der Sängerin Jessica Born. Diese vier Musiker boten klassischen Blues und Dauerbrenner wie „Route 66“. Manfred Häder war immer wieder für einen trockenen Witz gut, und Jessica Born interpretierte die Blues-Klassiker im Stil der großen Jazz-Sängerinnen. Doch eine halbe Stunde war schnell vorbei, und schon packten die vier ihre Koffer und machten sich auf zur nächsten Station, während die Besucher wieder nach einem Luftzug außerhalb des Zeltes suchten.
Nach einer guten Viertelstunde standen dann die nächsten „Musikanten“ vor dem Zelt – die Gruppe „Hootin´ The Blues“ mit Gerd Gorke (Mundharmonika und Gesang), Rupert Pfeiffer (Gitarre und Gesang) sowie Günter Leifeld Strikkeling (Banjo und Gesang). Diese drei imitierten schon in der Kleidung drei typische Südstaatler – oder wie man sich diese typischerweise vorstellt. Altmodische weite Hosen, dicke Brillen und Strohüte. Sie hatten sich bewusst etwas älter gemacht als sie waren, denn die bekannten Bilder der Südstaaten zeigen gerne skurrile alte Männer, die entweder mit dem Gewehr auf den Knien im Schaukelstuhl auf der Veranda sitzen oder zum Banjo Country-Lieder singen. Und so bestand das Repertoire dieser drei auch aus einer Mischung von echtem Blues und Country-Musik. Das sorgte natürlich schnell für Stimmung, zumal Gerd Gorke seinen diversen Mundorgeln die abenteuerlichesten Töne entlockte und auch schon einmal kurz einen Ausflug ins deutsche Liedgut wagte. Dann wieder ließ er im Lied über die Hennen im Hühnerhof“ unverkennbar das Gegacker der Hühner ertönen. Das Ganze ging in hohem Tempo vor sich, und die drei Musiker feuerten sich dabei gegenseitig an und begleiteten die Musik mit kleinen Slapstick-Einlagen und launigen Sprüchen. Dass sie das Publikum zum Mitsingen einluden, lag bei diesem Auftritt geradezu auf der Hand, und die Refrains waren dafür eingängig genug. Die Zuhörer gingen begeistert mit und begleiteten die Musik der drei „Blues-Akrobaten“ zeitweise mit rhythmischem Klatschen. Als die Band nach einer halben Stunde ihre Sachen packte und weiterzog, bedauerten dies nicht wenige im Publikum.
Nach der obligatorischen Erfrischungspause mit Luftzufächeln kam die dreiköpfige Band von Wawau Adler mit dem Bandleader selbst an der Gitarre, dem Franzosen Marcel Loeffler am Melodeon (diatonisches Akkordeon) und dem Russen Wlad Larkin am Bass, also eine wirklich kosmopolitische Band. Wawau Adler hat sich ganz der „Gypsy“-Musik (politisch korrekt??) à la Django Reinhardt verschrieben. Dazu gehört natürlich üblicherweise die Geige, doch an diesem Nachmittag erschien Wawau Adler nur mit seinem oben erwähnten Trio. Die drei Musiker präsentierten bekannte und weniger bekannte Stücke, jedoch alle in dem typischen „Reinhardt“-Stil gehalten, mit einem virtuosen Gitarristen Wawau Adler. Trotz ihrer Qualität hat diese Musik den Nachteil, dass sie ein Publikum, das nicht in erster Linie aus Jazz-Fans besteht und hauptsächlich Unterhaltung sucht, nicht von den berühmten Hockern reißt. Man muss den Improvisationen der Musiker – vor allem des Gitarristen – konzentriert zuhören, um sie schätzen zu können. So kam es denn auch, dass die Gespräche der Zuhörer nicht abrissen, und dass sich die Aufmerksamkeit nur sporadisch der Musik auf der Bühne zuwandte.
Dafür gab dann die letzte Gruppe – die „Frankfurt Swing All Stars“ – dem Affen wirklich Zucker. Die veritable Dixie-Band mit Trompete (Colin Dawson), Posaune (Joe Gallardo) Klarinette (Wilson de Oliveira), Tuba (Jörg Kuhfuß) und Banjo (Bandleader Bernd K. Otto) ließ es richtig krachen. Ein „Evergreen“ nach dem anderen des guten alten New Orleaans Jazz kam hier mit viel Tempo und strammem Rhythmus zu Gehör. Dazu trieben die einzelnen Musiker zwischendurch allen möglichen musikalischen und verbalen Schabernack und hatten damit die Lacher auf ihrer Seite. Das Publikum blühte bei dieser fetzigen Musik sichtbar auf, klatschte begeistert mit und ging auch auf die Aufforderung zum Mitsingen ein. Die uralte Nummer „I can´t give you anything but love“ spielten zwei der Herren einer einzelnen Dame an den vorderen Tischen mit viel Emphase als Huldigung vor, und zum Schluss ihres Auftritts – der auch ihr letzter war – zogen sie in einer musikalischen Polonaise durch die Tischreihen, ehe sie als begeistert aufgenommene Zugabe noch „Oh when the saints…“ spielten.
Da man als Rezensent an einem Nachmittag nur eine Örtlichkeit besuchen kann, wissen wir nicht, wie dieses Programm in einer notgedrungen anderen Reihenfolge an den anderen Spielorten wirkte. Im Weingut Robert Weil war es jedoch optimal choreografiert, und das Publikum zeigte seine Begeisterung durch lang anhaltenden Beifall.
Frank Raudszus
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