Musiktheater – minimalistisch

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Carl Orffs Oper „Die Kluge“ als Sylvestergala des Staatstheaters Darmstadt

Wie gestaltet ein Theater die Sylvestergala, so es denn eine solche anbietet? Und was spielt man, um das Publikum in die richtige Feierlaune zu versetzen? Sicher nichts Trauriges, nichts Konfliktbeladenes – kurz: keine Tragödie. Auch kompakte, gehaltvolle Inszenierungen bieten sich nicht gerade an, da sie zwar das Denken anregen, nicht aber in Champagnerlaune versetzen. Diese Überlegungen haben Intendant John Dew offensichtlich dazu angeregt, die Premiere von Carl Orffs Märchenoper „Die Kluge“ für diesen Termin vorzusehen. Der märchenhafte Stoff lässt sich durchaus als das rezipieren, was er vordergründig zu sein vorgibt, ohne sich deshalb den Vorwurf der Oberflächlichkeit anhören zu müssen. „Die Kluge“ ist ein auf die wesentlichen Elemente dieses Genres reduziertes Märchen, und der Komponist legte ausdrücklichen Wert darauf, den Märchencharakter durch burleske bis grelle Kostüme zu verdeutlichen. Dennoch sind einige Anmerkungen über den Hintergrund der Entstehung angebracht: Die Uraufführung fand Anfang 1943 statt, ausgerechnet kurz nach dem Fall Stalingrads. Also eigentlich keine Zeit des Lachens und der Unbeschwertheit. Andererseits kämpfte Orff bereits drei Jahre mit dem Stoff und bewegte sich mit seiner Musik auf dem schmalen Grat zwischen politisch unbotmäßiger Moderne – „entartete Kunst“ – und opportunistischer Anbiederei. Um in keine dieser beiden Fallen zu gehen, wählte er bewusst das Märchen als Ausgangspunkt. Kann man hier doch mit dem naiven Augenaufschlag durchaus Wahrheiten aussprechen, die in ernster Form sehr gefährlich werden könnten. Um jedoch keine falsche Opernseligkeit aufkommen zu lassen, reduzierte er sowohl Text als auch Musik auf das absolut Notwendige, um die Handlung zu verdeutlichen.

Thomas Mehnert (Bauer)

Dieser fehlt dank des Rückgriffs auf ein Grimmsches Märchen vordergründig jeglicher brisante Zeitbezug: ein Bauer findet einen goldenen Mörser und bringt ihn gegen den Rat seiner Tochter dem König. Dieser, statt sich zu bedanken, rügt das Fehlen des – ebenfalls goldenen? – Stößels und lässt den Bauern wegen Diebstahls ins Gefängnis werfen. Als dieser daraufhin unablässig jammert „Oh, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt!“, lässt der König die offensichtlich kluge Tochter kommen und stellt ihr drei allegorische Rätsel, die diese souverän löst. Daraufhin nimmt er sie zur Frau. Gleichzeitig streiten ein Esels- und ein Mauleseltreiber um ein Eseljunges. Der Mauleseltreiber besticht drei Strolche, die in dieser Oper die Doppelrolle der Hofnarren und des kommentierenden Chors spielen, für ihn auszusagen, und erntet vor dem König dafür einen juristischen Sieg „in erster Instanz“. Doch die Kluge rät dem betrogenen Eselstreiber, auf dem Marktplatz mit einem Netz zu fischen und auf die erstaunte Frage des Königs zu antworten, wenn Maulesel Junge gebären könnten, könne man auch Fische auf dem Trockenen fangen. Der auf diese Weise bloßgestellte König vermutet hinter dieser List zu Recht seine Frau und jagt sie aus dem Haus, mit der Einschränkung, sie könne das ihr Liebste mitnehmen. Daraufhin gibt sie ihm einen Schlaftrunk und nimmt ihn in ihrer Truhe mit. Als er sie nach seinem Erwachen zur Rede stellt, sagt sie wahrheitsgemäß, sie habe nur nach seinen Anweisungen gehandelt. Reuiger König – Ende gut, alles gut!

 

Susanne Serfling (Kluge), Werner Volker Meyer (König)

Dieses Märchen eignet sich wegen einer Besonderheit für die Inszenierung in einem totalitären Staat. Während in den meisten Märchen der widerlegte Herrscher beschämt seinen Fehler eingesteht und sein Fehlurteil rückgängig macht, reagiert hier der König typisch totalitär: die Entlarvung des Fehlers wird kriminalisiert und erst die Liebe einer Frau kann die Verhältnisse wieder ins rechte Lot rücken. Diese letztendliche Wendung ins Gute ist im Märchen natürlich Wunschdenken und im politischen Kontext von Orffs Oper eher Selbstschutz. Doch die zwischenzeitliche Unterdrückung der Aufklärung ist ein deutlicher Verweis auf die Verhältnisse, den man aber im burlesken Kleid des Märchens nicht unbedingt als solchen wahrnehmen muss. Ein weiterers zentrales Element dieser Oper stellen die drei Strolche dar. Da sie als betrügerische Landstreicher eh nicht ernstgenommen werden, das heißt, keine seriösen Identifikationsfiguren darstellen, können sie gerne die Wahrheit sagen. Da sie unter Alkoholeinfluss lallen, wird kaum ein Zensor ihre Worte auf die Waagschale legen, spricht doch schon ihr allgemeines Verhalten gegen sie. Doch wenn sie aus der Ganovensicht über die Schlechtigkeit der Welt – oder besser: über die guten Gelegenheiten – raisonnieren, dann sind das eindeutige Hinweise auf die politischen Zustände. Die Kunst des Komponisten besteht in totalitären Systemen eben gerade darin, Kritik nicht als solche sofort kenntlich zu machen, sondern durch Komik zu kaschieren. Das gelingt Carlf Orff mit den drei Strolchen hervorragend, bieten sie doch eine Steilvorlage nach der anderen für Lacher. Im heutigen Umfeld allerdings kommen die Lacher des Publikums sozusagen aus dem Herzen, ohne Hintergedanken und zwangsläufige Assoziationen, und so kann aus einer versteckten politischen Satire schnell ein Klamauk werden. Daher ist es immer gut, die Hintergründe und den politischen Kontext der Entstehung eines Kunstwerkes zu kennen.

Sven Ehrke (Strolch), Andreas Daum (Strolch), Olexandr Prytolyuk (Strolch)

Sven Ehrke (Strolch), Andreas Daum (Strolch), Olexandr Prytolyuk (Strolch)

Kostümbildner José-Manuel Vázquez hat Orffs Vorgabe ernst genommen und die Darsteller mit wahrhaft grotesken Kostümen ausgestattet. Der Bauer kommt als Clown mit quergestreiftem Gefängnisdress mit roten Knöpfen und grell geschminktem Gesicht. Seine „schwedischen Gardinen“ muss er in Form eines Holzgitters selbst vor sich hertragen. Die drei Strolche kommen in langen, bunten Clownshosen, Pappnasen und bunten Perücken daher und erinnern an Zirkuskomiker. Der Kerkermeister trägt eine orangefarbige Fantasieuniform, die alles andere als Schrecken verbreitet, die Wachen treten in ihren blauen Schutzmann-Uniformen als neckische Tanztruppe auf. Der König schwebt im silbernen Pumphosenanzug und mit Krönchen auf dem Kopf geziert über dem Geschehen und versteht die Insubordination um ihn herum nur mit Mühe. Die Kluge schließlich trägt anfangs einen braunen Aschenputtel-Kittel und mutiert dann als Königin zur feenhaften Puppe ganz in Weiß und Rosa.
Dazu hat John Dew mit verschiedenen farbigen Vorhängen eine Art Guckkastenbühne geschaffen. Farbe und Fantasie prägen nicht nur Bühne und Kostüme, sondern die gesamte Inszenierung.

Die Musik passt sich dem reduzierten Konzept dieses Stückes an. Einen vollen Orchesterklang hört man während der gesamten neunzig Minuten nicht einmal, immer sind es einzelne Instrumente, die das jeweilige Geschehen auf der Bühne begleiten, unterstreichen oder konterkarieren. Fast könnte man diese „Oper“ als Schauspiel mit Musikbegleitung bezeichnen, denn die gesprochenen Dialogen werden nur sparsam untermalt. Auch die Gesangspartien finden im Orchester nur einen harmonischen Haltepunkt und nicht einen Klangkörper, gegen den die Sänger bestehen müssten. Die klassische Arie, die den zentralen Konflikt einer Oper emotionell auf den Punkt bringt, gibt es hier nicht. Eher sind es situationsgebundene Lieder ohne den großen Gestus, die eine einzelne Situation beschreiben. Schlagzeug und Blechbläser spielen wegen ihrer lärmenden Klangfarben eine wichtige Rolle in dieser Burleske, während man den weichen Streicherklang des klassischen Orchesters so gut wie gar nicht zu Gehör bekommt.

Das Ensemble zeigte sich an diesem letzten Tag des Jahres 2007 in bester Spiellaune. Als König konnte man – endlich – wieder einmal den lange nicht mehr in einer Einzelrolle aufgetretenen Werner Volker Meyer sehen und hören, der nicht nur stimmlich mit seinem warmen, modulationsreichen Bariton überzeugte, sondern auch die Spieluhrfigur des Königs mit viel Spür für Körpersprache glaubhaft auf die Bühne brachte. Neben ihm glänzte Susanne Serfling als puppenhafte „kluge“ Tochter durch die Leichtigkeit ihres Soprans und ihrer Bewegungen. Eine der Höhepunkte des Abends war ihr Schlaflied „Schu-Schuhu“ für den in Tiefschlaf versetzten König. Sven Ehrke, Oleksandr Prytolyuk und Andreas Daum machten sich aus den drei Strolchen eine schauspielerischen und gesanglichen Spaß, wobei man sich fragte, wer hier mehr Spaß hatte: die Sänger oder das Publikum? Markus Durst dagegen hatte als betrogener Eselstreiber wenig Gelegenheit zu humoristischen Ausfällen und malte eher die Befindlichkeiten eines „Losers“ aus, und Bernd Kaiser verlieh mit seinem markanten Bass dem Kerkermeister kräftige Konturen. Thomas Mehnert gab einen aufgeregten und todunglücklichen Bauer mit seiner Dauer-Litanei „Oh, hätt ich…“ und Peter Paul schließlich stellte sich als gerissener Mauleseltreiber mit den Strolchen auf eine Stufe. Alle Darsteller füllten ihre Rollen mit viel Freude am Slapstick und an der Groteske aus. Das Orchester unter der Leitung von Lukas Beikircher folgte dem Bühnengeschehen mit viel Sinn für gutes Timing und dem richtigen Akzent im richtigen Moment.

Das Publikum zeigte sich in bester Sylvesterstimmung und spendete dem gesamten Ensemble kräftigen Beifall mit mehr als vereinzelten Bravos für einzelne Darsteller und das Ochester.

Die nächste Aufführung findet am 17.1. statt.

Frank Raudszus

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