Das Opernensemble des Staatstheaters Darmstadt verabschiedet sich mit der Gala „Besenrein“ von seinem Publikum.
Es liegt in diesen Tagen nahe, in der Kultur Parallelen zum Sport – natürlich Fußball! – zu ziehen. An diesem Wochenende fand auch in Darmstadt ein großes Finale statt, und zwar sozusagen die zweite Halbzeit. Nachdem am Donnerstag, dem 10. Juli, das Schauspielensemble ihr „Wir haben fertig“ präsentiert hatte, folgten nun das Opern- und Tanzensemble sowie der Intendant John Dew persönlich mit ihrer eigenen Abschiedsgala. Dazu hatte John Dew nicht nur ihm besonders wichtige Operninszenierungen der letzten zehn Jahre herausgesucht, sondern sogar ehemalige leitende Mitarbeiter seines Hauses zur aktiven Teilnahme eingeladen. Dazu gehörten sowohl Mei Hong Lin, die bereits seit einiger Zeit die Tanzsparte am Theater Linz leitet, als auch der ehemalige GMD Stefan Blunier, der es sich denn auch nicht nehmen ließ, zum Schluss noch einmal an das Dirigentenpult im Graben zu treten.
Diese Position nahm jedoch vorerst der am Staatstheater verbleibende junge Elias Grandy ein, und er begrüßte das Publikum im restlos ausverkauften Haus – vor der Veranstaltung warteten viele hoffende Opernfreunde an der Abendkasse auf Restkarten – gleich mit der „Toccata“ aus Claudio Monteverdis „L´Orfeo„, mit der John Dew im September 2004 seine Intendanz eröffnet hatte. Nach dem obligatorischen Grußwort aus dem Wiesbadener Ministerium folgte noch der Prolog aus derselben Oper, und dann ging es Stück für Stück mit Auszügen verschiedener Inszenierungen durch das Repertoire der letzten zehn Jahre, wobei jetzt Martin Lukas Meister, Anna Skryleva, Michael Cook und Elias Grandy im Wechsel das Orchester leiteten. Nach Emmerich Kalmans „Gräfin Mariza“ aus dem Jahr 2005 folgte Verdis „La Traviata“ – ebenfalls 2005 – und Puccinis „Madame Butterfly“ in der Inszenierung von 2012. Den Opernreigen des ersten Teils beschlossen „Il trittico“ aus diesem Jahr und Richard Wagners „Walküre“ aus der „Ring“-Aufführung von 2011. Daneben fand auch das Tanztheater seinen gebührenden Platz, das den ersten Teil mit einer temperamentvollen Szene aus „Blind Date“ auflockerte.
Die Opernszenen wurden mit Originalkostümen, aber – vor allem aus älteren Inszenierungen – teilweise mit anderen Interpreten präsentiert. Das Bühnenbild wurde entweder auf überdimensionierten Bildern auf der Bühnenrückwand wiedergegeben, oder es wurden dort alte Bühnenfotos der jeweiligen Inszenierung projiziert. Dadurch entstand fast die ursprüngliche Bühnenatmosphäre noch einmal.
Der zweite Teil setzte das Kaleidoskop der Operninszenierungen fort. Zwischen einer Szene aus „La Bohème“ und einer anderen aus Berlioz´“Trojanern“ gab der Oberbürgermeister ein paar launige Worte zum Besten, dann folgte eine erotische Traumszene aus Mei Hong Lins Tanztheaterstück „Bernarda„. Mit Szenen aus „Die lustige Witwe“ – David Pichlmaier torkelte als Scheinbetrunkener durch die Szene – und Carl Orffs „Die Kluge“ ging es weiter. Dann schmetterte Tito You den Figaro aus Rossinis „Il barbiere die Siviglia“, und den Schluss bildete das tragische Finale aus Alban Bergs „Wozzeck“.
Im dritten und letzten Teil der Operngala, die mit einer Dauer von sechs Stunden jede Wagner-Oper locker in den Schatten stellte, überwogen anfangs die komischen Effekte. In „Cages aux Folles“ zeigten sich die Männer des Tanztheaters noch einmal als neckische Ballettmädchen mit erotischem Flair, und Monte Jaffe präsentierte „Wenn ich einmal reich wäre“ aus dem Musical „Anatevka„. Randy Diamond brachte noch einmal den „Cages aux Folles“ mit seinem melancholisch-trotzigen Chanson „Mascara“ ins Gedächtnis, bevor erst Aki Hashimoto und Stephan Bootz mit einer Szene aus „La Somnambula“ von Vincento Bellini und dann Zurab Zurabshvili und Ralf Lukas mit Richard Wagners „Parsifal“ den Schlusspunkt setzten. Dazwischen war sogar noch etwas Zeit für glücklicherweise kurze aber bewegende Ansprachen von Weggefährten und Freunden des scheidenden Intendanten John Dew.
Bei der Zusammenstellung dieser Retrospektive handelte es sich nicht einfach um eine Nummernrevue aus beliebigen Inszenierungen, sondern John Dew hatte die Abfolge sorgfältig zusammengestellt. Jeder der drei Teile begann mit leichteren Stoffen und steigerte sich dann jeweils bis zum Ende zu schwerer Kost. Nicht umsonst standen Wagners „Ring“ und „Parsifal“ sowie Bergs/Büchners „Wozzek“ an diesen finalen Stellen. Ein zweites Strukturelement betraf die Epochen, die sich vom Barock bis zum 20. Jahrhundert ebenfalls alle wiederfanden. Unverkennbar war eine Vorliebe für die Italiener, während Mozart überhaupt nicht vertreten war. Aber in dieser Gala ging es ja nicht um die Ausgewogenheit der musiktheatralischen Repertoires sondern nur um einen schönen, satten Opernabend mit Erinnerungseffekt. Und all diese Erwartungen des Publikums erfüllte John Dew in hohem Maße. Darüber hinaus gab es noch viele Anlässe für nostalgische Erinnerungen an frühere Sängerinnen und Sänger, die in den jeweiligen Inszenierungen vor Jahren auf der Bühne gestanden hatten.
Das Darmstädter Publikum dankte seinem scheidenden Intendanten durch begeisterten Beifall, nicht zuletzt, weil er sich zum Schluss selbst als Laiensänger – ganz allein! – auf die Bühne begab und das Finale mit einem melancholischen Lied einleitete. Dazu lieferte Stefan Blunier am Dirigentenpult mit dem Orchester seinem ehemaligen Chef hilfreiche Akkorde. Wehmut und Abschiedsstimmung breiteten sich auf und vor der Bühne aus, und so mancher Besucher dachte skeptisch an die vor uns stehende Zeit des Umbruchs, genau, wie es vor zehn Jahren der Fall gewesen war. Dennoch gilt der alte Satz: „Der König ist tot, es lebe der König!“.
Frank Raudszus
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