Das Städel-Museum zeigt die Ausstellung „Lichtbilder. Fotografie im Städel-Museum von den Anfängen bis 1960“.
Die Erfindung der Fotografie im Jahr 1839 revolutionierte nicht nur die Kunst sondern auch die Gesellschaft und vor allem die Publizistik. Konnten sich vorher nur wirklich begüterte Bürger Bilder oder gar Selbstportraits leisten, standen diese Abbildungen jetzt einer wesentlich breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Um berühmte Gemälde überhaupt sehen zu können, musste man jetzt nicht mehr weit reisen, sondern konnte sich preiswerte Fotoabzüge davon kaufen. Ähnliches galt für ferne Länder und Städte, von denen sich bald auch normale Bürger einen Eindruck verschaffen konnten. Und schließlich konnten Zeitungen ihre Berichten über politische und gesellschaftliche Ereignisse mit aktuellen Bildern anreichern. Für die Kunst war das neue Medium erst einmal eine Herausforderung und sogar eine heftige Konkurrenz, denn die naturgetreue Abbildung von Gegenständen und Menschen, bisher Domäne der Malerei und der Grafik und auch Basis vieler Geschäftsmodelle, war jetzt wesentlich schneller und preisgünstiger möglich. Da verwundert es nicht, dass die Fotografie lange nicht als Kunst gesehen und sogar angefeindet wurde.
Das Städel-Museum nimmt auf dem Gebiet der Fotografie eine Pionierstellung ein. Bereits sechs Jahre nach der Erfindung des neuen Mediums, im Jahr 1945, fand im Städel eine Ausstellung über die Fotografie statt. Diese Tatsache geriet bald in Vergessenheit, kam erst bei der Vorbereitung der aktuellen Ausstellung wieder zum Vorschein und lieferte natürlich einen geradezu idealen Ausgangspunkt für die Ausstellung. Und so verwies Direktor Max Hollein bei der Pressekonferenz fast genüsslich auf diese Pioniertat des Museums. Des weiteren fand man im Archiv des Museums eine Reihe von Fotografien aus der Frühzeit dieser neuen Technik, da bereits der Direktor Johann David Passavant (1787-1861) die Bedeutung der Fotografie erkannt hatte und früh mit dem Sammeln von Fotografien begonnen hatte. Diese eigenen Bestände hat man bereits in den letzten Jahren gezielt für verschiedene Ausstellungen eingesetzt, die das Medium in einen jeweils punktuellen Kontext zu anderen Stilrichtungen der darstellenden Kunst brachten. Darauf aufbauend begann das Städel-Museum, die Fotografie als eigenständigen Bereich in das eigene Programm zu integrieren. Zwei größere Schenkungen bzw. Anschaffungen in den Jahren 2011 und 2013 vergrößerten den Bestand in einem Umfang, der schließlich die aktuelle Ausstellung ermöglichte.
Die Ausstellung ist chronologisch in neun Bereiche unterteilt, durch die der Besucher in der zeitlichen Reihenfolge geführt wird. Im Eingangsbereich begrüßen den Besucher Fotografien von Raffael-Grafiken, die das Städel-Museum bereits in den Jahren 1859 und 1860 in Ausstellungen zeigte. Damals konnten die Bürger der Stadt Frankfurt diese Kunstwerke zum ersten Mal mit eigenen Augen begutachten, sofern sie nicht ausreichend begütert waren, um sich eine Reise nach London leisten zu können. Man kann sich die Bedeutung dieser neuen Möglichkeit heute, im Zeitalter der ubiquitären Bilderflut im Internet, gar nicht mehr vorstellen. Genauso, wie damals „normale“ Bürger keinen unmittelbaren Eindruck von großen musikalischen Werken wie Opern oder Sinfonien gewinnen konnten, kannten sie auch die großen Kunstwerke der Malerei und der Bildhauerei nur aus Beschreibungen und vielleicht aus einfachen Grafiken in Zeitungen oder Büchern. Nun sahen sie diese Werke plötzlich quasi im „Original“; auf sie müssen diese Fotografien jedenfalls wie Originale gewirkt haben. Im Anschluss daran zeigt die Ausstellung Fotografien von Gebäuden, Städten und Landschaften aus der Frühzeit der Fotografie. Wegen der langen Belichtungszeiten waren Fotos von größeren Menschenansammlungen noch so gut wie unmöglich, es sei denn, sie waren arrangiert, wie man es gerne mit Aufnahmen italienischer Lebensart machte, die das Klischee des einfachen aber glücklichen Lebens im Süden Europas hervorriefen. Dafür waren Portraits bekannter und weniger bekannter Menschen damals sehr „en vogue“, da der wesentliche Aufwand im Stillsitzen bestand.
Nach der naiven Euphorie des Anfangs entwickelten sich dann verschiedene Stilrichtungen der Fotografie. Nach ersten Versuchen mit – noch sehr rudimentären – Bewegtbildern entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts der Piktoralismus, der versuchte, der scheinbar seelenlosen Fotografie durch Weichzeichner und andere Techniken die künstlerische Ausdruckskraft des gemalten Bildes zu verleihen. Daraus entwickelten sich später verschiedene Klischees, die auch politisch missbraucht wurden, wie etwa die Heldenpose im Ersten Weltkrieg, so dass die Fotografen in den 20er Jahren zu einer neuen Sachlichkeit fanden, die man auch im Bauhausstil und in der Kleidung dieser Zeit wiederfindet. Der Zweite Weltkrieg und vor allem die Propaganda der faschistischen Staaten missbrauchten die Fotografie wiederum zu ihren Zwecken. Aus dieser Zeit zeigt die Ausstellung éine kurze Fotostrecke eines wild gestikulierenden Adolf Hitler und ein pompöses Foto von Mussolini in seinem Palast. Nach dem Krieg startete dann die Gruppe „fotoform“ wieder mit einem neuen Credo zur Sachlichkeit und zum subjektiven Blick des Fotografen.
Die Ausstellung vermittelt einen facettenreichen Eindruck der Fotografie von den Anfängen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Film und der Einfluss des Fernsehens und schließlich des Internets auf die Bedeutung der Fotografie bis hin zur Manipulation von scheinbar authentischen Bildern – Retuschen von Personen und Ereignissen – sind nicht Gegenstand dieser Ausstellung, weil sie letztlich zu einer Überfrachtung geführt hätten. Aber das sind ja Stoffe, denen sich zukünftige Ausstellungen widmen könnten. Eine davon läuft derzeit in der Kunsthalle Schirn unter dem Titel „Paparazzi“.
Die Ausstellung ist dienstags und mittwochs sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet und läuft noch bis zum 3. Oktober 2014.
Frank Raudszus
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