Die Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt zeigen Wolfgang Hofmanns „Herr Veder und Herr Ziemann reisen nach Arkadien. Madame will nicht mit“.
Aart Veder und Klaus Ziemann sind Mitglieder des Darmstädter Schauspiel-Ensembles, das nach zehn Jahren gemeinsamer Auftritte in großen und kleinen Dramen nun – anlässlich des Intendantenwechsels – vor seiner Auflösung steht. Die beiden werden in den Ruhestand gehen, aber vorher geben sie noch in dieser melancholischen Komödie ihre Abschiedsvorstellung. In dem Dreipersonen-Stück spielen sie die Schauspieler Aart Veder und Klaus Ziemann, die sich auf den Ruhestand freuen, jedoch noch einmal in zwei selbstbezüglichen Rollen auftreten. Von Anbeginn weiß man nicht, ob sie hier eine Rolle spielen oder dem Publikum einfach ihre eigene Befindlichkeit vorstellen. Bis hin zu Namensnennungen sind die Situationen zwischen Fiktion und Realität deckungsgleich, und wenn sie in den ersten Szenen darüber sprechen, entwickelt sich eine rekursive Hierarchie von Fiktionen, wobei sich die Schauspieler sozusagen permanent auf die eigenen Schultern steigen und den Versuch der Subjektivierung der eigenen Rolle wagen. Ein wenig verrückt und hintersinnig, aber durchaus nicht ohne Komik.
Dazu ist das Foyer der Kammerspiele, in der diese melancholische Lebensrückschau spielt – sie räumen sozuagen ihre Arbeitsstätte und sind bereits in den Vorraum vertrieben worden – mit Koffern aller Größenordungen und Patinabeschichtungen vollgestellt. Aart Veder träumt davon, den Ort seiner langjährigen Bühnentaten fluchtartig zu verlassen und sich auf eine exotische Insel mit märchenhaften Lebewesen zu flüchten, und bügelt für diese Reise nahezu ununterbrochen mit theatralischen Gesten und abgeklärten Kommentaren seine Hemden auf einem veritablen Bügelbrett. Klaus Ziemann zieht es eher in die Tiefe der Höhlen, und sein Traum wäre eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. So steigern sich die beiden in Visionen ihres künftigen, theaterlosen Lebens hinein, wobei sie permanent nichts andres tun als – Theater zu spielen: sowohl in der Realität (banal) als auch in der Fiktion. Siehe auch die rekursive Selbstreferenz. Diesem pathetisch-nostalgischen Wettbewerb zweier „gereifter Mimen“ stellt der Autor eine junge Frau (Randi Rettel) zur Seite – innerhalb des Spiels Schauspielerin oder Regisseurin? -, die den beiden Männern Kontra gibt. Für sie ist Theater nicht Pathos, Gefühl, Zwerchfell und Bauch, sondern für sie geschieht alles im Kopf. Sie macht sich lustig über die Reisewut der beiden Rentner und denunziert das Reisen als eine Flucht vor sich selbst und dem Nachdenken. Dagegen setzen die beiden „Alten“ die geballte Lebenserfahrung, die sie schön jovial und gönnerhaft auf die junge Frau herabtropfen lassen. Diese lässt sich jedoch nicht beeindrucken und setzt ihre skeptisch-spöttische Provokation fort.
Die beiden Männer versteigen sich dann in der Diskussion über den Realitätsgehalt von Theater und dem Verhältnis von Realität und Illusion zu wortgewaltigen Zitaten aus dem reichhaltigen Fundus des Theaters. Das beginnt ganz banal mit Karl Valentins Feststellung „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, steigert sich mit Schuberts Winterreise(sic!) zu „Fremd bin ich eingezogen – fremd zieh ich wieder aus“, das Klaus Ziemann sogar mehrstrophig singt, und endet dann in gereimten Theatermonologen der „großen Geister“ wie Goethe oder Shakespeare. Vom ersteren hört man Aart Veder wortgewaltig Iphigenies „Es fürchten die Menschen das Göttergeschlecht“ vortragen, von letzterem folgt dann das mittlerweile platt getretene „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erden,…….“. Auch die junge Dame beteiligt sich an diesem Zitat-Wettbewerb, der fast schon anmutet wie ein klassischer „Poetry Slam“, mit einer längeren gereimten Abhandlung über das Theater und seine Hintergründe, dessen Urheber sich auf die Schnelle nicht ergründen ließ (der Rezensent hat nicht alle Texte der Theaterhelden im Kopf). Das Ganze wird jedoch – vor allem von den Männern – mit einer solchen abgeklärten Selbstironie vorgetragen, dass man des Zuhörens nicht müde wird.
In dem Streitgespräch über das Reisen und das Theater bringen die beiden gestandenen Mimen die junge Frau schließlich zu dem Geständnis, dass ihre ganze intellektuell überhöhte Reisekritik letztlich auf Seekrankheit und Flugangst zurückzuführen ist, was die beiden fast wieder zu tröstenden Gentlemen werden lässt. Doch Randi Rettels Rolle ist die Rebellion gegen das Hergebrachte, Konventionelle, und so setzt sie den Streit um das Wesen des Theaters, um die unterstellte Anhänglichkeit der Schauspieler ans Theater fort und erzwingt sozusagen den erspielten Beweis, dass die beiden Männer sich nicht lösen können von den Brettern, die für sie – doch – die Welt bedeuteten. Noch einmal spielen die beiden voller Inbrunst eine Szene aus Ibsens „Peer Gynt“ nach, und Aart Veder lässt die alte Ase noch einmal einen großen Tod sterben, der selbst die skeptische junge Frau berührt.
Doch die Rührung bleibt immer auf der Ebene einer leicht distanzierten Ironie, und auch nur so ist das Thema des Todes, der am Ende der letzten Reise steht und auch den beiden Schauspielern vor Augen steht, im Rahmen dieses Stückes erträglich, ohne ins Rührselige und Pseudotiefsinnige zu verfallen. Der Gefahr einer zu gr0ßen Ernsthaftigkeit begegnet Regisseur Wolfgang Hofmann auch dadurch, dass er bewusst externe, nicht zur Aufführung gehörende Ereignisse einspielt. So kracht und scheppert es zu Beginn mehrere Male derart laut in angrenzenden Räumen, dass man anfangs an eine mangelnde Abstimmung mit irgendwelchen Handwerkern denkt. Erst als ein junger Mann in Arbeitskleidung hereinplatzt und auf die Anmerkung Randi Rettels, hier finde eine Vorstellung statt,sich umständlich durch die Zuschauerreihen drängt, ist nicht mehr zu übersehen, dass es sich dabei um inszenierte Pannen handelt, wie sie aber im Theater gerne vorkommen.
Wenn alle drei am Schluss in verschiedene Richtungen (sic!) unter der lakonischen Bemerkung „Also Abgang“ von der Bühne abtreten, weiß man immer noch nicht so richtig, ob Aart Veder und Klaus Ziemann ein Stück oder einfach nur sich gespielt haben. Und das ist der Clou dieses einstündigen Einakters und verleiht ihm die lebensnahe Würze.
Frank Raudszus
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