Flip’ster – ein Grüppchen kanadischer Hüpflinge in großer Heiterkeit

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Das neue Programm im Berliner Varieté „Chamäleon“.

Ein Wiedersehen nach langer Zeit. Klassenclown trifft süßestes Lächeln, Feierdiva steht plötzlich vor „Klein Klugscheißer“ und Torschützenkönig fällt Mister Knackarsch in die Arme. Sehnen wir uns nicht alle nach dem Moment, das Abibuch nochmal aufzuschlagen, um zu schauen, was aus ihm, ihr, dem und der da geworden ist? Das ist der witzige und leicht gehässige Aufhänger des Ensembles „Companie FLIP Fabrique“ aus Québec, das im Frühsommer die Gäste des Berliner Chamäleon-Theaters amüsiert. Wie zufällig läuft sich ein Pärchen nach dem anderen über den Weg, und plötzlich liegt das Abschlussbuch in den Händen. Es wird geschaut, gesucht, gezeigt und herzhaft gelacht, und der ein oder andere schiebt auch mal beleidigt die Unterlippe nach vorne. Schon in diesen ersten Sekunden der Quasi-Pantomime springt der Funken auf das Publikum über – viele können sich direkt hineinfühlen. Statt wirklicher Sprache hat man sich auf Urwaldgeräusche verständigt – Quiecken, Lachen, Schnattern, Brabbeln und Jauchzen erfüllen im Wechsel und sich überlagernd den Saal. Die Fröhlichkeit ist da!

1404_chamaeleon_2Alles geht schnell und ist im dauernden Fluss. Auch das erinnert an den Dschungel. Es wirkt kaum gespielt oder arrangiert. Viel mehr bietet sich dem Zuschauer ein Naturschauspiel, wobei er dem emsigen Treiben einer kleinen Kolonie kanadischer Seilhüpflinge, balzender Bällchenwerfer und flatternder Hula Hoop’adus, den nach Sonnenaufgang werdenden Tag begrüßend, beiwohnen darf. In Harmonie zischen die Gestalten der Akrobaten aneinander vorbei, und die Bewegungen fließen über Körper hinweg quer durchs Gewusel.

Sehr oft tritt das eigentliche Kunststück kaum in den Vordergrund und stellt seine Leistung nicht selten unter ein kleines Licht. Umso erstaunlicher sind die vollbrachten Leistungen. Sicher ist das Publikum bereits viel aus Film, Fernsehen und Vorführung gewohnt, und so verwischt sich auch vor unserem Auge das real Mögliche mit dem technisch Überhöhten und bildet eine nicht leicht zu übertreffende Erwartungshaltung. Statt durch absolute Extreme überzeugt das Ensemble durch scheinbare Beiläufigkeit und Leichtigkeit, so dass viele Tricks erst kurz nach dem Geschehen als irreal erscheinen, weil sie total komplex sind.

1404_chamaeleon_1So wird aus einem einfachen Seilhüfen mit großem Seil, das an gummitwistabhängige Drittklässlerinnen erinnert, ein mehrdimensionales, gegengerichtetes Schauspiel aller sechs Akteure. Die beiden Äußeren schwingen das Seil so, dass es mittig einen Knick wirft und sich zwei Augen heben und senken. In einem Auge befinden sich zwei hüpfende Seillinge, die ihres gegenläufig schwingen, worin die Dame des Trüppchens ein „doppelt durchziehendes“ Seilspringen vollführt. Und springt im zweiten Auge der übrige Hüpfler gerade kopfüber auf einem Arm? Man weiß es nicht mehr genau, aber es könnte das sein, was man gerade meinte gesehen zu haben.

Das Bühnenbild ist eine Wand mit vielen Fenstern und Öffnungen, die den eidechsenähnlichen Akrobaten als Schlupflöcher und Verstecke dienen. Wie an einer von der Sonne aufgeheizten mallorquinischen Felswand flitzen die Schausteller an der Steilwand entlang oder kleben sekundenlang reglos an einer Stelle. Die nächste Assoziation ist ein Korallenriff mit all seinen unterschiedlichen Bewohnern, die in Grüppchen ihre Kreise drehen und das Geschehen bestimmen und selbst beäugen. Kein exotisches farbenfrohes Kunststück wird ausgelassen. Selbst mit großen knallroten Gymnastikbällen wird kabarettistisch gruppenweise jongliert – dann kommen noch kleine Meisterschaften im Hallenjojo in nahezu Schwarzlichtatmosphäre, und Diabolos fliegen wie Heuschrecken durch die Luft. Zur Steigerung der Spannung wartet man eigentlich nur noch auf Raubkatzen, die durch die Mauer springen, oder echte brennende Hula-Hoop-Reifen, durch die der Clown mit der Kanone geschossen wird. Nun, das gib es dann heute leider nicht. Aber wer weiß schon – so eine Show befindet sich ja auch immer in der kontinuierlichen Weiterentwicklung – vielleicht wird diese Kritik als neuer Denkanstoß gesehen. Viel Vergnügen!

 

Malte Raudszus

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