Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt inszeniert im Büchner-Jubliäumsjahr „Dantons Tod“

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István Vincze (Lacroix), Simon Köslich (Camille Desmoulins), Gerd K. Wölfle (Legendre), Uwe Zerwer (Danton), Hubert Schlemmer (Payne), im Hintergrund Ensemble und Statisterie des Staatstheaters Darmstadt (Sprechchor)

Der Schrecken als Ausfluss der Tugend  

Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt inszeniert im Büchner-Jubliäumsjahr „Dantons Tod“
Das letzte Mal hat man „Dantons Tod“ in Darmstadt vor zehn Jahren aufgeführt, damals in einer grotesken Inszenierung mit gemischter Publikumsreaktion. In der diesjährigen Inszenierung von Malte Kreutzfeldt ist jedoch wieder der historische Ernst zurückgekehrt. Gleich zu Beginn setzt er ein so unmissverständliches wie düsteres Zeichen: noch ehe die Gestalten auf der Bühne richtig zu sehen sind, bricht sich ein schneidendes, fast explosives Geräusch Bahn, so wie es ein schweres, aus einigen Metern Höhe herabfallendes Metallstück hervorrufen mag. Die Guillotine setzt hier gleich zu Beginn die dramaturgischen Maßstäbe und wird zum Ende des Stücks wieder in Aktion treten.

Uwe Zerwer (Danton), Thomas Dehler (Robespierre)Nikolaus Porz hat ein kompromissloses Bühnenbild erschaffen. Vor einem bühnenhohen Gitter im Hintergrund dreht sich eine etwa zehn Meter lange Laufbrücke langsam im Kreis. Mit ihr kreisen Danton und seine Anhänger um den längst verlorenen Mittelpunkt der Revolution. Man könnte dieses Bild erweitern um den Sand, der die restliche Bühne bedeckt und auf den die revolutionären Illusionen aufgebaut sind. Längst haben die eiskalten Technokraten der Macht St. Just und Robbespierre die Macht übernommen, während der „authentische“ Revolutionär Danton an den Gewaltorgien der Jakobiner verzweifelt. Das Volk steht hinter den Gittern in deutlicher Distanz zu den führenden Revolutionären und wird von diesen je nach Interessenlage manipuliert. Bereits in dieser anfänglichen Trennung scheint die arrogante Differenzierung zwischen Volk und Revolutionären auf. Schwarz ist die vorherrschende Farbe auf der Bühne, und die Beleuchtung entspricht eher der eines dunklen Kerkers. In einem solchen befinden sich nämlich längst alle Beteiligten: Danton, dem die Schuld an dem Tod vieler Unschuldiger auf den revolutionären Schultern lastet, sitzt im Gefängnis des eigenen Gewissens, Robbespierre in dem Gefängnis einer krankhaft-egomanisch übersteigerten Ideologie und das Volk im Gefängnis der Revolution, ohne es zu merken.

Ensemble und Statisterie des Staatstheaters Darmstadt (Sprechchor)Einen sinnvollen Ausweg gibt es für Danton nicht mehr, da er seine eigenen Ideale durch sinnlose Gewalt selbst verraten hat. Nur so ist zu verstehen, dass er dem sich über ihm zusammenziehenden Verhängnis nicht zu entfliehen versucht. Als ursprünglicher Anführer und sogar „Retter“ der Revolution versichert er seinen Anhängern Lacroix (István Vincze), Desmoulins (Simon Köslich) und Legendre (Gerd K. Wölfle) zwar immer wieder, dass man es nicht wagen werde, ihn anzuklagen, aber offensichtlich glaubt er seinen eigenen Worten nicht. Ganz bewusst zeigt er seine Liebe zum guten Leben – Essen, Trinken, Frauen -, als wolle er damit beweisen, dass er für die schönen Seiten des Lebens und nicht für den Selbstzweck einer kompromisslosen Ideologie gekämpft habe. Dantons psychischer Zustand schwankt zwischen Resignation und Schuldbewusstsein wegen der nicht verhinderten Septembermorde und zwischen Anfällen von kämpferischem Mut. Dieser kommt jedoch erst richtig zum Ausbruch, als das Spiel schon verloren ist. Natürlich hätte Danton wissen müssen, dass ein einmal vor dem Wohlfahrtsausschuss Angeklagter dem Tod nicht entrinnen kann. Als ob er erst diese hoffnungslose Situation abgewartet habe, um dann noch einmal aufzutrumpfen, wächst er noch einmal über sich hinaus und greift während des Prozesses seine Widersacher offen an. Als sein Plädoyer beim Volk positiven Widerhall findet, verbieten ihm die Ankläger um St. Just und Robbespierre gegen alle Prozessregeln das Wort und drehen die Stimmung des Volkes mit demagogischen Parolen gegen ihn. Das ist das Ende.

Malte Kreutzfeldt macht das Stück zum Kampfplatz zweier so charismatischer wie gegensätzlicher Figuren: Danton und Robbespierre. Letzterer unterscheidet sich schon in der Kleidung von Danton und seinen Anhängern. Während diese lockere Kleidung des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit Halsbinden und weiten Hemden tragen, tritt Robbespierre stets in einem geschlossenen, schwarzen Dreiteiler auf, der an ein Priesterornat erinnert. So wirkt er denn auch wie der Inquisitor persönlich, von den schwarzen Schuhen bis zu den glatt nach hinten gekämmten dunklen Haaren. Thomas Dehler verleiht dieser Figur darüber hinaus das Zwanghafte und krampfhaft Verschlossene einer paranoiden Persönlichkeit, die den Panzer der Tugend und des Rechthabens benötigt, um sich gegen die Zumutungen des Lebens zu schützen. Dieser Robbespierre rächt sich mit einer übersteigerten, ins Sinnlose getriebenen Ideologie revolutionärer Reinheit für die Antipathie, die die Menschen für ihn empfinden. In dem zentralen Dialog zwischen Robbespierre und Danton kommen die unterschiedlichen Charaktere deutlich zum Ausdruck. Hier der offene, lebensfrohe Danton, der den Menschen über die Idee stellt – „leben und leben lassen“ -, dort der rationale Robbespierre, der den egalisierten, abgerichteten und „gereinigten“ Menschen als Vision vor sich sieht. Jegliche Individualität ist für ihn Verrat an der Idee, und bei Verrat spielen selbst Freundschaften wie die zu Danton oder Camille Desmoulins keine Rolle mehr.

Doch ein Robbespierre agiert nicht allein. Zu sehr ist er mit seinen eigenen psychischen Problemen beschäftigt, als dass er kühl und beherrscht agieren könnte. Er benötigt einen Katalysator oder Brandbeschleuniger, der die tödlichen Entscheidungen vorantreibt. Diesen hat er in der Gestalt von St. Just zur Hand, der stets aus dem Hintergrund agiert und selbst nicht in den Vordergrund tritt. MIt einigen intriganten Hinweisen und Ideen treibt er Robbespierre zu der Entscheidung, Danton und seine Anhänger zu verhaften; später wird er im kritischen Augenblick die demagogische Rede über den libidinösen Genussmenschen Danton halten, der die revolutionären Ideale des einfachen Volkes verraten habe.

Simon Köslich (Camille Desmoulins), István Vincze (Lacroix), Gerd K. Wölfle (Legendre), Hubert Schlemmer (Payne), Uwe Zerwer (Danton), im Hintergrund: Tobias Gondolf (Barére/2. Bürger)Kreutzfeld arbeitet dieses tödliche Dreieck aus Danton, Robbespierre und St. Juste mit viel psychologischem Gespür heraus. Die effektvollste und prallste Figur ist dabei sicherlich der von Uwe Zerwer mit viel Verve verkörperte Danton, der seine Emotionen in jeder Hinsicht – auf der einen Seite revolutionäres Pathos und Gewissensbisse, auf der anderen Alkohol und Frauen – nicht verleugnen kann und will. Uwe Zerwer zeigt in dieser Rolle, dass Georg Büchner sich mit den zwei Seelen in Dantons Brust identifizierte und in ihm die Ambivalenz jeder Revolutionär verkörperte. Robbespierre ist dagegen als das „reine Böse“ durchaus die interessantere Figur, denn hier gibt es vielfältige psychologische Facetten zu besichtigen, die Thomas Dehler durch sparsame und doch verkniffene Mimik, durch verhuscht-unsichere, verkrampfte Gestik sowie durch ein leicht gebückte, dahinhuschende Laufhaltung aufs Genaueste markiert. Bei aller Macht, über die Robbespierre de facto verfügt, bleibt er doch eine von inneren Zwängen gejagte Figur. Andreas Manz dagegen gibt den St. Just als vordergründig ehrbaren, ja fast jovialen Mann, der keiner Schandtat fähig zu sein scheint. Doch was er mit ruhigem und überzeugendem Ton vorschlägt, beinhaltet stets Intrige, Verrat und Mord. Machttechnisch gesprochen hat St. Just immer Recht, doch er setzt seine Fähigkeiten lieber dazu ein, andere schwerwiegende Entscheidungen treffen zu lassen, um selbst nicht in die Schusslinie zu gelangen. Die Ironie der Geschichte wollte jedoch, dass er gemeinsam mit Robbespierre unter der Guilletine endete.

Büchner hat in sein Stück eine ganze Reihe überlieferter Aussprüche von Danton, Desmoulins oder St. Juste eingebaut und damit eine höchstmögliche Authentizität erzielt. Die Interpretation dieser Sätze und die Motive ihrer Autoren musste er natürlich selbst beisteuern, und da die Faktenlagen damals ziemlich dünn war, ist sein Bild der Hauptbeteiligten natürlich sowohl subjektiv als auch fragil. Das tut aber der Wirkung des Stücks keinerlei Abbruch, denn hier verhandeln Büchners Figuren die Revolution untereinander und nicht die historischen Personen. Wenn sie diesen weitgehend entsprechen, umso besser, wenn sie von ihnen abwweichen, fällt das unter die dichterische Freiheit.

Kreutzfeldts Inszenierung lässt am Ende alle fünf „Dantonisten“ unter der Guillotine sterben, mit jeweils dem makaber-schneidenden Geräusch des Beginns. Das stimmt zwar nicht ganz mit den historischen Gegebenheiten und Büchners Text überein, da Legendre und Thomas Payne (Hubert Schlemmer) die Revolution überlebten, spielt aber letztlich keine Rolle. Dagegen übt die konsequente fünffache Wiederholung der Exekutionsszene – hier nur akustisch dagestellt – eine besonders eindringliche Wirkung aus. Die Sinnlosigkeit dieser Hinrichtungen wird mit jedem Fall deutlicher. Parallel zu dieser Szene nimmt sich Dantons Frau Julie (Maika Troscheit) an der Bühnenrampe mit Gift das Leben, und Desmoulins schwangere Frau Lucile (Ronja Losert) bringt vor dem Schaffott ein Hoch auf den Künig aus, was auch sie unter die Guillotine bringt.

Eine Kernszene des Stücks besteht in der Frage nach der Existenz Gottes, die Thomas Payne nach der Festnahme im Gefängnis aufgreift. Im Angesicht des fast sicheren Todes befassen sich die Gefangenen zum ersten Mal mit der Frage des Jenseits´ und der Ewigkeit. Für Büchner war das ebenfalls eine brisante Frage, weil er damit den Konflikt mit der Kirche riskierte. Malte Kreutzfeldt hebt diese Szene aus dem Verlauf der Inszenierung heraus, indem er die Darsteller sich ins Publikum verteilen und von dort mit dem an der Rampe sitzenden Payne diskutieren lässt. Für die Figuren des Stücks stellt sich diese Frage aus dem gegebenen existenziellen Anlass, für Büchner war es offensichtlich ein grundsätzliches philosophisches Problem, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit seinem baldigen Tod rechnen konnte. Er nutzte also eine passende Szene des Theaterstücks für eine Fragestellung, die ihm schon länger auf der Seele lag. Regisseur Kreutzfeldt hat diese Situation erkannt und sie durch eine besondere dramaturgische Behandlung entsprechend gewürdigt.

Eine besondere Erwähnung verdient auch die Statisterie, die dieses Mal in großer Zahl als Volk auftrat und  fast wie der Chor in der antiken Tragödie agierte, und zwar nicht nur per Sprache, sondern auch in szenischer Aktion.

Die Inszenierung besticht durch ihre emotionale Wucht und die Kompromisslosigkeit, mit der die Charaktere und die Motive herausgearbeitet werden. Selbst die Ausflüge in Dantons ausschweifenden Lebensstil – sein Techtelmechtel mit der Prostituierten Marion oder sein Alkoholkonsum – kommen nicht als Farce oder gar Komödie auf die Bühne sondern als Zeichen der Weltverlorenheit und Verzweiflung Dantons. Wo die Menschlichkeit in großem Maßstab verloren geht, spielt auch die bürgerliche Moral keine Rolle mehr. Auch ohne jegliche Anleihen bei der Aktualität, bei konsequenter Beachtung des Zeitkolorits der französischen Revolution, kommen zeitlose Erkenntnisse zum Ausdruck, die man mühelos auf spätere Revolutionen oder egomanische Gewaltherrscher übertragen kann. Die Darsteller trugen dabei entscheidend zu einer Wirkung bei, die das gesamte Publikum über fast die gesamte – übrigens pausenfreie – Dauer gefangen nahm.

Der Beifall setzte dann spontan und geradezu heftig mit „Bravo“-Rufen ein und ging nach einiger Zeit in längeres, rythmisches Klatschen über.

 
Frank Raudszus

 

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