Witzig, verspielt und temperamentvoll – einfach schön
Das „Les Ballets de Monte Carlo“ gastiert bei den Wiesbadener Maifestspielen mit „Le Songe“
William Shakespeares „Sommernachtstraum“ musste schon für viele Neuinszenierungen und Experimente herhalten. Felix Mendelssohn-Bartholdy hat dafür eine eigene Bühnenmusik komponiert – eins der bekanntesten und beliebtesten Stücke der Musikliteratur -, und Benjamin Britten hat aus dem Stoff eine vollständige Oper gemacht. Da liegt es nahe, dass auch das Tanztheater sich dieser Komödie der Irrungen und Wirrungen annimmt.
Im Rahmen der „Maifestspiele“ des Staatstheaters Wiesbaden treten eine Reihe nationaler und internationaler s aller Sparten auf. darunter auch „Les Ballets de Monte-Carlo“ unter dem Chefchoreographen Jean-Christophe Maillot. Maillot hat mit seiner Truppe Shakespeares Komödie in einer getanzten Version auf die Bühne gebracht. Im Gegensatz zu dem in Deutschland verbreiteten Tanztheater, das die die Handlung eines Stückes gerne stark abstrahiert und sich auf die – je nachdem – psychologischen, sozialen oder politischen Befindlichkeiten der Protagonisten konzentriert, betont Maillot die Erzählung einer Geschichte. Ihm geht es darum, die Handlung des jeweiligen Stücks verständlich und nachvollziehbar wiederzugeben. Seine Choreographie des „Sommernachtstraums“ verstehen nicht nur Zuschauer, die mit dem Stoff bestens vertraut und die einzelnen Handlungsstränge selbst aus einer verdichteten Darstellung zu rekonstruieren in der Lage sind, sondern jeder aufmerksame Besucher, der Augen und Ohren hat. Tanztheater bedeutet für Maillot offensichtlich Theater mit den Mitteln des Körperausdrucks und nicht Tanz, der in einer Art darstellerischen Selbstzwecks Bedeutungsinhalte eigenständig er- und vermittelt. Als Purist des Tanztheaters kann man das durchaus als Rückschritt betrachten, es hat jedoch den Vorteil der unmittelbaren Erfassbarkeit und des genuin Spielerischen.
Bei aller Würdigung der Entwicklung des modernen Tanztheaters in den letzten Jahrzehnten ist vor allem in Deutschland eine gewisse gedankliche Strenge, ja fast Schwere nicht zu übersehen. Die konsequente Weiterentwicklung des Körperausdrucks hat dem Tanztheater, das sich sukzessive aus dem klassischen Ballett entwickelt hat, tendenziell die Leichtigkeit und – vor allem – den Humor genommen. Als müsse diese Sparte ihre Bedeutung ständig gegen Skeptiker verteidigen – vielleicht ist es auch so -, vermeidet sie das Leichte, das schnell als nichtssagend oder bedeutungslos denunziert wird. Jean-Christophe Maillot jedoch legt vor allem Wert auf diese Seite des „Tanz-Theaters“.
Dazu bedient er sich eines eher traditionellen Bewegungskonzeptes. Seine Tanztruppe betont die flüssigen, eleganten Bewegungen und verzichtet auf die heute oft vorherrschenden extremen, den Ausdruck bewusst verstärkenden Figuren. Weite Sprünge und Hebungen kommen dabei ebenso vor wie Paarfiguren, die an die Hochphase des traditionellen Ballets erinnern. Im Gegensatz zum klassischen Ballet vermeidet er jedoch dessen Manieriertheit vieler Figuren und betont die Natürlichkeit der Bewegungen. Konsequenterweise lehnen sich die Kostüme von Philippe Guillotel eher an die erzählte Geschichte als an die Bräuche des klassischen Balletts an. Die Tütüs sind bei den Damen entsprechenden „Milieu“-Kostümen gewichen, und auch die Herren tanzen in bewegungsfreundlicher, aber darstellerisch nachvollziehbarer Kleidung.
In den Mittelpunkt der Musik zu dieser Choreographie hat Maillot Mendelssohns Musik zum „Sommernachtstraum“ gestellt, die er im Originalton – ohne jegliche Verfremdung oder Beimischung – den einzelnen Szenen unterlegt. Natürlich beginnt er mit den berühmten vier Akkorden und endet auch wieder mit diesen – wie der Komponist. Dazwischen kommen Szenenmusiken aus dieser Komposition mit Originalgesang in deutscher Sprache. Als Gegenpart dient Musik der zeitgenössischen Musiker Bertrand Maillot und Daniel Teruggi, wobei es sich dabei um Lautmalerien und Geräuschkulissen handelt, die zeitweise an Begleitmusik zu Kinothrillern und dann wieder an „minimal music“ à la Philip Glass erinnern. In typisch französischer Manier streuen die beiden Musiker dazwischen kurze Sequenzen aus gängigen Schlager-Ohrwürmern oder bekannten Gassenhauern. Diese kurzen Zitate wirken jedoch lediglich als humoristische Einschübe und lockern damit das strenge Gefüge der Klangflächen auf. Dabei kommentieren diese Trivialpassagen jeweils die gerade auf der Bühne sich abspielende Szene. Das ist typisch französischer Witz: subtil und stets intellektuell angehaucht, jedoch nie aufdringlich.
Überhaupt spielt der Witz in dieser Choreographie eine große Rolle. Man fühlt sich immer wieder an die großen französischen Filmkomödien – etwa „Monsieur Hulot“ – erinnert. Die Liebesverwirrungen zwischen Lysander und Hermia einerseits und Demetrius und Helena andererseits kommen hier nicht als elementare Bedrohung der jeweiligen Lebensentwürfe daher sondern als das, was sie sind: die immer gleichen Probleme bei der Partnerfindung. Also spielen und tanzen die Paare diese Situationen auch mit aller möglichen Situationskomik aus, ohne ihre Figuren in existenzielle Zweifel zu stürzen. Anziehung und Abstoßung, Werbung und Desinteresse werden fast als getanzter Boulevard serviert, ohne deswegen platt zu wirken. Allein schon die tänzerische Perfektion verhindert das Abgleiten ins Triviale. Auf der anderen Seite treten Theseus und Hippolyta als würdiges Königspaar mit deutlicher ironischer Brechung auf.
Die Ebene der Geister wird in der Choreographie deutlich von der realen Ebene separiert. Das beginnt schon mit den Kostümen. Titania, getanzt von der groß gewachsenen Bernice Coppieters, trägt ein atemberaubendes Kostüm, das es schafft, nichts zu zeigen und doch nichts zu verbergen, und das vor Erotik geradezu platzt. Oberon (Asier Urlagereka) kommt als Halbteufel mit felliger Behaarung und einem satyrhaften Bart daher. Das seltsame Paar tanzt umeinander her, und Titania hat Oberon dank ihrer Erotik fest im Griff, bis sich dieser durch ihre Verzauberung rächt und sie sich ausgerechnet in den in einen Esel verwandelten Handwerker verlieben lässt. Einer der Höhepunkte ist der – vielleicht etwas zu ausgedehnte – Tanz von Oberon und Titania, der vor allem von seiner mehr oder minder subtilen Erotik lebt. An diesem Tanz erlebt man den ganz anderen, ungezwungenen Umgang der Franzosen mit der Erotik buchstäblich hautnah.
Der erotische Aspekt wird noch verstärkt durch die Elfen, dargestellt durch langbeinige, gertenschlanke Tänzerinnen in Kostümen, die ebenfalls die Frage offenlassen, ob sie mehr zeigen als sie verbergen. Auch hier hat sich Maillot wieder viele witzige Ideen einfallen lassen, so wenn die Gruppe der Elfen auf den frechen Puck losgehen und ihn in die Schranken weisen.
Der Puck ist ein weiterer Glanzpunkt der Choreographie: Der Belgier Jeroe Verbruggen schwirrt wie ein Derwisch über die Bühne, ist stets zu Unsinn oder kleinen Streichen aufgelegt und kommentiert das Geschehen mit deutlichen Grimassen oder Körperhaltungen. Wenn er die Verliebten verzaubert, tut er dies in einem „Segway“-Gefährt, das zu einer Blume mit langem Stempel ausgebildet ist. Wie ein Angestellter der Stadtreinigung fährt Puck mit diesem Gefährt durch den Wald und verzaubert die Liebenden mit dem erotischen Blütenstab.
Einen besonderen Platz nimmt natürlich die Handwerkertruppe ein, die gleich zu Beginn in abenteuerlichen Kostümen auf die Bühne strömt und sich als desorganisiertes Theaterensemble erweist. Im Folgenden ist diese Truppe für den Slapstick verantwortlich, der in eine geradezu groteske Aufführung von „Pyramus und Thisbe“ mündet und eine darstellerisch-tänzerische Pointe nach der anderen liefert. Das kann man kaum mit Worten wiedergeben, sondern muss es selbst erleben.
Das Bühnenbild kann man als minimalistisch bezeichnen, obwohl auch hieran sich wieder die Assoziationen entzünden. Die griechische Säulenlandschaft symbolisiert Bühnenbildner Ernest Pignon-Ernest durch weiße Stelen mit quadratischem Querschnitt, die Waldlandschaft der Elfen und Geister mit zwei gewölbten Gebilden, die – etwas auseinandergeschoben – dezent aber deutlich erotische Gleichnisse bilden. Den Rest bewirken Lichteffekte, vor allem, wenn die Elfen und Geister aus dem Rückraum auf die Bühne streben.
Die Trennung der beiden Welten erreicht Maillot dadurch, dass er die Gruppen sich gegenseitig tänzerisch durchdringen lässt, ohne dass die Menschen die Geister sehen oder spüren. Diese wiederum manipulieren und lenken die Menschen mit ihren Zauberkünsten. Kostüme und Darstellung verdeutlichen dabei unmissverständlich, dass die Geister die Triebe der Menschen verkörpern: Titania den puren Eros und Oberon das männliche, herrschende Prinzipm, das doch immer wieder der Erotik erliegt. Puck ist dabei die unbändige Lebenslust und der scheinbar nie versiegende, oftmals unvernünftige Optimismus der Menschen.
Doch die Komödie rechtfertigt diesen Optimismus, indem sie gut ausgeht und jeder Topf sein Deckelchen findet. Am Ende sind alle glücklich und zufrieden, und die vier letzten Akkorde von Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Ouvertüre verklingen leise bei verlöschendem Licht.
Die Zuschauer im ausverkauften Großen Haus waren auch glücklich und spendeten für diese so witzige wie temperamentvolle Darbietung begeisterten Beifall. So kann man auch heute noch mit gekonntem traditionellen Tanztheater ein breites Publikum begeistern.
Frank Raudszus
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