Israel Galván präsentiert bei den Wiedbadener Maifestspielen seine Choreographie „La Curva“

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Isarel Galván
Flamenco – gegen das Klischee getanzt  

präsentiert bei den Wiedbadener Maifestspielen seine Choreographie „La Curva“
Wenn man das Wort „Flamenco“ vernimmt, stellen sich sofort eine Reihe von festen Assoziationen ein: Frauen in weiten, schwarz-roten Kleidern, mit Fächern in der Hand, sich mit stolz abgewandtem Kopf auf rhythmisch trippelnden Füßen bewegend; dazu Männer in engen, schwarzen Anzügen mit herrischen, von Eitelkeit nicht freien Bewegungen. Das Ganze wird während der Saison in jedem spanischen Dorf mit Vorliebe für die Touristen zelebriert und ist heute leider weitgehend zur kommerziellen Folklore verkommen.

Ausgerechnet diesem traditionellen Volkstanz der Spanier mit seinen maurischen Wurzeln und seinem heute leider folkloristischen Charakter hat sich der spanische Tänzer verschrieben. Sein Ziel ist es, die Elemente dieses Tanzes offenzulegen, dabei von allem nur Gefälligen zu reinigen und die ursprüngliche Kraft und Aussage neu zu beleben. Um von vornherein jegliche Klischee-Vorstellung auszuschalten, verwendet er in den Titel seiner neuen Choreographie auch nicht den Begriff „Flamenco“. Stattdessen steht „La Curva“ über dieser Produktion, und damit bezeichnet Galván etwas Elementares, fast Mythisches. Für ihn ist die Kunst des Flamencos gleichzusetzen mit der Erfahrung des Raumes, der sich durch Tanz und Gesang im Sinne des Künstlers formen lässt. Diese Formung eines unsichtbaren aber erfahrbaren Raumes bezeichnet Galvàn mit dem Begriff der „Kurve“ und verweist damit in gewissem Sinne auf die moderne Physik, die dem Raum ebenfalls eine unmittelbar nicht erfassbare gekrümmte Struktur zuweist. Auch Galváns Kurve soll und kann der Betrachter nicht rational sondern nur sinnlich erfassen.

v.l.n.r.: Inés Bacán, José Jimenez Santiago und Israel GalvánDass hinter Galváns Choreographie keine zu erzählende Geschichte steht, verdeutlilcht bereits das nicht vorhandene Bühnenbild. Links steht ein Flügel, rechts ein Tisch. Neben einzelnen Stühlen fallen noch zwei Türme aus kunstvoll übereinander gestapelten Stühlen auf. Zu Beginn stellen sich die vier Künstler mit dem Rücken zum Publikum auf der abgedunkelten Bühne nebeneinander auf und verharren eine kurze Zeit, bis jeder gemessenen Schrittes seine Position einnimmt: die Pianistin Sylvie Courvoisier am Flügel, die Sängerin Inés Bacán auf einem Stuhl im Bühnenhintergrund, der Rhythmus-Klatscher José Jimenez Santiago, genannt „Bobote“, am Tisch und in der Mitte.

Wer jetzt Flamenco-Musik aus dem „Off“ erwartet, sieht sich enttäuscht. Langsam und mit höchst kontrollierten Bewegungen fängt Galván an zu tanzen; an der Körperhaltung erkennt man die typischen Merkmale des Flamencos: gespannter Körper, leicht herausgestreckter Brustkorb, vorgeschobene Hüfte, gestreckter Kopf. Doch Galván vollführt keine fest einstudierten, sich wiederholenden Tanzschritte, sondern erfindet sozusagen den Flamenco völlig neu aus seinen ursprünglichen Bewegungsmustern. In schnellen Schritten und eleganten, stets betont männlichen, ja herrischen Wendungen durchmisst er die gesamte Bühne vom Flügel zu Bobotés Tisch und zurück. Die gesamte erste Phase dieser Choreographie ist dieser lautlosen Performance gewidmet, die ausschließlich aus improvisierten Körperbewegungen besteht und die Galván nur hin und wieder durch einige Laute anreichert, die keinen verständlichen Text ergeben. Galván zerlegt nach eigener Aussage den Flamenco in seine Bestandteile und präsentiert diese erst einzeln, bevor er sie zusammenfügt.

Israel GalvánObwohl diese Solophase sich über etwa fünfzehn Minuten hinzieht, kommt keinen Augenblick Langeweile auf. Galván beherrscht  Bühne und Raum mit seinen Bewegungsmustern, in die er nicht nur Beine und Körper sondern auch die Arme und Hände einbezieht. Was der gelegentliche Betrachter von Flamenco-Vorführungen als reine Verzierung sieht, wird hier zu einer eigenen Kunstform. Die Hände gewinnen ein besonderes Eigenleben, bearbeiten in rhythmischen Folgen Teile des Körpers oder auch nur die Luft vor diesem, und erzeugen eigene Geräusche. Die Füße in schwarz-weißen Schuhen mit hohen Absätzen erzeugen das typische klackende Geräusch des Flamencotänzers, das hier zu einer eigenen musikalisch-rhythmischen Komposition wird. Galván spielt ausgiebig mit diesem Instrument an seinen Füßen und setzt dabei geradezu dramatische Akzente, die mit den anderen Körperbewegungen sorgfältig synchronisiert sind.

Dann setzt die Musik ein. Dazu setzt sich Inés Bacán an den Tisch und beginnt mit dem typischen Sologesang, der sich wie ein langes Lamento über die Leiden des Lebens anhört. Inés Bacán hat eine voluminöse Stimme, die auch längere Folgen dieses reichhaltig modulierten Gesangs ohne Schwierigkeiten durchsteht. Bobote klatscht dazu den Rhythmus auf dem Tisch oder auch nur mit den Händen, oder hört seiner Künstlerkollegin nur zu.

Nach dem Verstummen der Sängerin beginnt wieder mit dem Tanz, jetzt jedoch begleitet von Sylvie Courvoisier am Flügel und Boboté am Tisch. Sylvie Courvoisier spielt dabei keine süffigen Flamencolieder sondern erzeugt auf dem Flügel hauptsächlich Klang- und Rhythmusflächen. Dabei verlässt sie den gewohnten tonalen Raum und erzeugt völlig neue Muster. Sylvie Courvoisier ist nicht nur eine erfolgreiche Pianistin, sie komponiert auch selber zeitgenössische Musik, die sie in diese Produktion einbringt. Dabei ist vieles improvisiert und aus dem Augenblick geboren. Je nach den Bewegungsmustern des Solotänzers erzeugt sie die entsprechenden rhythmischen, harmonischen und melodiösen Muster. Neben Glissande und Clustern kommen dann auch gedämpfte Stakkato-Folgen auf den höchsten Tasten zum Einsatz, die eher nach Perkussion als nach Piano klingen. Dann folgen plötzlich kurze Melodie-Einschübe, die fast lyrisch wirken. Begleitend dazu greift sie ständig unmittelbar in die Saiten des offenen Flügels und spielt diesen wie eine Gitarre. Dabei tritt die Musik nie in den Vordergrund des Geschehens. Herr und Mittelpunkt der Bühne bleibt stets , der immer wieder Ablauf und Tempo der Choreographie bestimmt.

Ab der Mitte der Aufführung beginnt sich so etwas wie eine symbolische Handlung abzuzeichnen.Galvan tanzt eine sich steigernde Folge von Schritten, an deren Ende einer der Stuhl-Türme effektvoll zusammenbricht. Von nun an wartet das Publikum auf die Anzeichen des nächsten Turmsturzes. Doch Galván weiß die Spannung zu halten und das Publikum auf die Folter zu spannen. Er beginnt, seinen Tanz in eine Fläche aus weißem Material – etwa Mehl – zu verlagern, wobei er anfangs das Mehl nur hin- und herschiebt, dann jedoch immer mehr aufwühlt, bis es in hohen Fontänen hinaufschießt und langsam auf ihn niedersinkt. Die Beleuchtung schafft zusätzliche Lichteffekte, die dem Tanz im Mehl einen geradezu magischen Schein verleihen.

Die vier Künstler variieren dieses Quartett aus Tanz, Klang, Gesang und Rhythmus mit immer neuen Einfällen und Konstellationen. Obwohl keine neuen Elemente hinzukommen, lässt die Spannung nicht nach. fasziniert das Publikum mit seinen so kunstvollen wie kraftvollen und kreativen Bewegungen derartig, dass keinen Augenblick Langeweile aufkommt. Die Zuschauer benötigen auch keine Geschichte, deren Anfang und Ende aus den Bewegungsmustern nachzuvollziehen wären; sie genießen einfach die Körperbeherrschung und den Einfallsreichtum dieses Künstlers. Der hat allerdings in seinen drei Kollegen auf der Bühne ein Team zur Verfügung, das sich blind mit ihm versteht und seine Vorführung zu einem geradezu explosiven Gesamtkunstwerk abrundet.

Das Publikum war nach dieser Aufführung begeistert und spendete lang anhaltenden Beifall sowie „Bravo“-Rufe..

Frank Raudszus

 

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