Das Berliner Kabarett „Distel“ präsentiert das Programm „Die Kanzlerflüsterer“
Das Kabarett-Theater „Distel“, selbst nennt es sich auch „die Stachel am Regierungssitz“, liegt unmittelbar neben dem Bahnhof Friedrichstrasse. Sollten sie also nicht an einer geführten Busreise teilnehmen, ist die Hin- und Wegfahrt mit der S-Bahn über diesen historisch bekannten Bahnhof unbedingt zu empfehlen. Südlich des Bahnhofs laden noch einige Geschäfte zum Bummeln ein, nördlich folgen auf die „Distel“ der „Admiralspalast“ sowie das herrliche Spreeufer, das zum Spazieren einlädt.
Die „Distel“ selbst ist ein historisches Gebäude, in dem man sich zuerst mittels Fahrstuhl oder – die Fitness unterstützend – zu Fuß auf den Weg in den zweiten Stock machen muss. Die Treppe ist auch deshalb zu empfehlen, da hier viele Plakate zu vergangen Aufführungen das Publikum begrüßen. So kann der intellektuelle Geist die politischen Themen der letzten Jahre in Kürze Revue passieren lassen. Es sei eines genannt, das mit rotem Hintergrund und einer schwarzen Kalaschnikov mit den dicken Buchstaben RAFF überschrieben ist intelligent wird dieses bekannte Ensemble von den Markennamen verschiedener Finanzinstitute bezugnehmend auf die Finanzkrise flankiert. Wenige Schritte später grüßt freundlich der Herr Bundespräsident a.D. mit dem amüsanten Titel Der VorGaukler.
Nun steht man direkt im beschaulichen Vorraum des Vorführungssaals. Links die Garderobe, für die hier 80 Cent genommen wird – also 20 Cent gespart gegenüber herkömmlichen Garderoben, allerdings ist diese in vielen anderen Theatern auch kostenfrei. Zentral lädt nun die Theaterbar noch auf eine einstimmende Erfrischung ein. Im Vorhinein und gerade aber in der Pause würde sich der Besucher etwas mehr Bewegungsfreiheit wünschen, um einige Schritte zu gehen oder das Treiben der Anderen aus der Distanz zu beäugen. Dies ist hier eher weniger möglich. Wer also nicht unbedingt den Saal in der Pause verlassen möchte, dem kann man raten, dort im angenehmen Plausch während des Intermezzos zu verweilen.
Der Saal ist überraschend schön und barock anmutend für ein Kabarett. Es kommt etwas Theater Flair auf wie auch immer man das genau beschreiben könnte. Eine Zweimann-Combo untermalt die Aufführung musikalisch. Wirklich talentiert, erfrischend und mit viel Witz schafft es das Klangduo, die Aufführung zu pointieren und die kurzen Pausen angenehm zu bereichern. Die drei Kabarettdarsteller Caroline Lux, Edgar Harter und Timo Doleys bilden aber den echten Mittelpunkt des Abends. Eine attraktive junge Dame, eine grau melierter Dandy und ein gewissenhafter Mittelklassedeutscher so kann man das Trio wohl auf den ersten Blick gut beschreiben.
Die erste Episode spielt im Kanzleramt Angela Merkels Berater debattieren darüber, wie sie bestenfalls die Pressemitteilungen um eine mögliche Rettung des nun ebenfalls angeschlagenen Belgiens formulieren sollen. Der Vorschlag, den Belgiern generell südeuropäische Mentalität unterschieben zu wollen, wird mit lautem Getöse aus dem Publikum offensichtlich nicht recht begrüßt. Verwunderlich? Wohl kaum, wenn eine ganze Busreisegruppe aus Brüssel die ersten vier Reihen des Kabarett für sich beansprucht hat. Mit gelungener Spontanität und Schlagfertigkeit ist der Dandy in der Lage, die Situation witzreich einzufangen und das Theater mit Lachen zu füllen. Darum geht es ja schließlich im Kabarett: Spaß muss es machen nichts ist schlimmer als eine steife Veranstaltung!
Nach weiterem Debattieren über das Frisieren und Aufbereiten von gewünschten Statistiken sowie Formulierungsspielereien entschließt sich Dr. Dossberg, Angelas erster Mann, in Berlins Wirklichkeit einzutreten, um die Stimmung der Straße aufzunehmen. Seine Kollegen sind dabei umso mehr verdutzt, als sich Dr. Dossberg im seidenen Morgenmantel, dem Geschenk einer Ministerin, auf den Weg machen möchte. Die erste groteske Szene außerhalb des Reichs der politischen Elite spielt sich nun im Taxi ab. Immer wieder duckt sich der Taxifahrer ab, wenn andere Taxen oder die Polizei passieren. Warum? Er ist einer der 600 ehemals stolzen Fahrer, die die Lizenz besitzen, im südöstlich von Berlin liegenden Königs Wusterhausen Passagiere fahren zu dürfen. Wieso braucht eine Gemeinde von wenigen 10-tausend Einwohnern solch eine Flut an Taxen, fragt sich der hauptstadtferne Besucher. Richtig, Wowis Lieblingsprojekt befindet sich in dieser Ecke, und einst dachte man, schon ab Sommer 2012 würden hier täglich tausende Passagiere zum Großflughafen Berlin-Brandenburg pendeln. Pustekuchen! Natürlich haben diese Taxifahrer keine Lizenz für die Berliner Innenstadt. Aber egal, wir sind in Berlin.
Neben der Reise des Sprachkünstlers Dr. Dossberg, der seinen Titel lieber unterschlägt er könnte ja überprüft werden , sind auch die üblichen Probleme der Berliner mit Immigranten zu thematisieren. Wie einst andernorts im Bus der Berliner Verkehrsbetriebe von drei Steglitzer Damen auf der Rückreise aus Prenzlauer Berg wörtlich gehört: Die Schwaben müssen eben noch lernen, dass sie sich in die hiesige Kultur zu integrieren haben. Das war für die Araber und Türken auch kein leichter Prozess. Ebenso werden in der Distel nun umgekehrt dem störrische Berliner und einer Russin in einem wahrscheinlich durch Schwaben bezahlten Kurs beigebracht, auch diese neuen Mitbürger zu respektieren, willkommen zu heißen und – Gott bewahre! – ihre Sprache zu lernen. Eine herrlich pralle Darstellung, bei der man aus dem Lachen kaum noch herauskommt.
Gegen Ende tritt auch noch die Kanzlerin auf die Bühne. Obwohl diese Aussage nicht ganz korrekt ist, denn sie sitzt vielmehr in der Badewanne. Ihr gegenüber Professor Sauer. Ja, das ist Ihr Mann! Man hat natürlich direkt ein Bild vor Augen und fühlt sich an Loriot erinnert. Herausragende Passage an diesem Abend. Herr Sauer beschwert sich, warum denn immer er auf der Seite mit dem Stöpsel sitzen muss. Ab und an stehen beide auf Abstand der Köpfe beträgt dann 2 Zentimeter sie diskutieren ein Problem und setzten sich wieder ab. Am Ende trällert Angela noch eine Art Liebeslied für Herrn Sauer, für die Kanzlerschaft, für die Rettung des Geldes gefühlt so ein bisschen für alles und nichts.
Insgesamt ist die „Distel“ für einen heiteren Abend mit intelligenter Verbalakrobatik unbedingt zu empfehlen. Auch jüngeres Publikum sollte sich verstärkt angesprochen fühlen. Neben tiefgreifendem Witz und sauber recherchierten Details sind auch viele Späße im Bereich der Tiefe der ersten drei Seiten überregionaler Zeitungen dabei. Und ich spreche nicht nur von der Bildzeitung. Ein weinig politisches und wirtschaftliches Interesse ist punktuell hilfreich, um den Abend bis in die Details voll zu genießen.
Malte Raudszus
Alle Fotos © Marcus Lieberenz
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