Opera buffa trifft Stummfilm
Das Staatstheater Darmstadt spielt Donizettis komische Oper „Don Pasquale“
Laut Programmheft schrieb der Librettist Giovanni Ruffini seiner Mutter im Jahr 1843, er habe „das Wenige an logischem Zusammenhang, das ich mich bemüht habe, in meine Stücke einzufügen“, zerstört. Damit meinte er natürlich das Libretto zu Don Pasquale, dessen logische und literarische Qualitäten selbst für den Maßstab der „opera buffa“ bescheiden sind. Doch wie so oft rissen auch hier die Musik und die Amüsierwilligkeit des Publikums die Premiere aus dem Feuer und machten sie wider die Erwartungen aller Musikexperten zu einem großen Erfolg.
Schon der Ausgangspunkt des „dramatischen Konflikts“ ist einigermaßen unglaubwürdig: der reiche Fabrikant Don Pasquale will im vorgerückten Alter noch eine junge Frau freien, hauptsächlich, um seinen lebenslustigen Neffen Ernesto zu strafen, der die für ihn vorgesehene reiche Frau nicht heiraten will. Das sicher geglaubte Erbe würde in diesem Falle der neuen Frau zufallen. Natürlich hätte er Ernesto statt einer eigenen Heirat einfach rauswerfen können, dann aber wäre die Oper nicht zustande gekommen. So streut der Librettist noch ein bißchen die Mär von der hell brennenden alten Scheune, und der eigentliche Heiratsgrund vernebelt sich. Doktor Malatesta, den Don Pasquale als Heiratsvermittler bemüht, bietet ihm seine eigene, angeblich naiv-fromme Schwester Sofronia an, plant aber eine Intrige, die Ernesto sowohl zur Hochzeit mit seiner Geliebten Norina als auch letztlich zum Erbe verhelfen soll. Ausgerechnet Norina stellt er Don Pasquale als Sofronia vor, Don Pasquale verliebt sich „stante pede“ in sie, und der schnell herbeizitierte angebliche Notar fertigt den Heiratsvertrag an. Noch bevor die Tinte darauf getrocknet ist, entpuppt sich Sofronia alias Norina als wahre Xanthippe, stellt beliebig Personal ein, kauft Möbel, Kleidung und Schmuck und treibt Don Pasquale fast in den Wahnsinn. Der Höhepunkt ist eine Ohrfeige, die sie ihm verpasst, als er sie nicht ins Theater gehen lassen will. Als er sie bei einem heimlichen Techtelmechtel im Garten, von dem er durch ein gezielte Indiskretion erfahren hat, „in flagranti“ stellen will, findet er keinen Liebhaber vor. Frustriert und rachelüstern geht Don Pasquale auf Malatestas Vorschlag ein, Ernesto seine Freundin Norina heiraten und die beiden ins Haus ziehen zu lassen, was Sofronia endgültig vertreiben müsste. Diese Zusage kann er auch nicht mehr zurücknehmen, als er merkt, dass Norina und Sofronia identisch sind. „Ende gut, alles gut“, und selbst Don Pasquale stimmt in die Moral der Geschichte ein, dass sich ältere Männer mit jungen Frauen nur lächerlich machen und ausgenutzt werden.
Die Geschichte strotzt von vorne bis hinten vor schnell zusammengezimmerter Boulevardlogik, aber die logische Stringenz des Handlungsgefüges ist bei Opern, vor allem komischen, selten der markanteste Wesenszug. So also müssen Musik und Inszenierung herhalten, um die Gunst des Publikums zu gewinnen. Das war Mitte des 19. Jahrhunderts wesentlich einfacher, als die einzige mediale Zerstreuung des gehobenen Bürgertums im Theater und der Oper bestand. Man ging in erster Linie dorthin, um sich zu amüsieren, nicht aus einem Bildungsimpuls. Die normal-menschliche Schadenfreude spielte dabei eine wichtige Rolle, meinte man doch in den lächerlichen Figuren wie Don Pasquale stets einen Nachbarn, Bekannten oder Prominenten wiedererkennen zu können.
Heute sieht das ein wenig anders aus, da die elektronischen Medien weitgehend den Part der reinen Unterhaltung übernommen haben und der Opernbesuch wesentlich stärker vom Bildungs- und Kulturanspruch motiviert ist. Daher muss sich ein Regisseur schon etwas Besonderes einfallen lassen, um eine Oper wie „Don Pasquale“ erfolgreich auf die Bühne zu bringen. Italo Nunziata hat daher die Handlung der Oper in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts verlegt, als der Tonfilm zwar bereits den Stummfilm verdrängt hatte, aber immer noch von dessen Gestaltungsprinzipien lebte: einfache Geschichten mit klaren Konturen und – im wahrsten Sinne des Wortes – in Schwarz-Weiß gedreht. Die Konflikte spiegelten die Sehnsüchte und Ängste der einfachen Leute wider, die Bösen machten sich lächerlich, und die Guten bekamen einander zum Schluss. Es herrschte auch in beiden Epochen eine ähnliche Aufbruchsstimmung: in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren die napoleonischen Kriege vergessen, und die Industrialisierung versprach neuen Wohlstand; in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte man sich vom Ersten Weltkrieg langsam erholt, und auch die Weltwirtschaftskrise verlor langsam ihren Schrecken – außer vielleicht in Deutschland. So gibt es viele Parallelen zwischen den Filmkomödien dieser Zeit und der „opera buffa“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und Italo Nunziato nutzt sie konsequent.
Das beginnt schon mit dem Bühnenbild, das Don Pasquales Büro im spätbürgerlichen Ambiente mit letzten Jugendstileinflüssen zeigt. Viel dunkles Holz und das Firmengebäude auf einem Gemälde im Stil einer neuen Sachlichkeit. Die Frauen tragen blonde Dauerwelle und lang fallende Kleider in Pastellfarben mit schmalen Gürteln, Don Pasquale einen Anzug mit Weste, Ernesto einen großkarierten Anzug. Die Büroumgebung beleben Männer in typischen Bürouniformen der Vorkriegszeit mit Ärmelschonern und ähnlichen Utensilien und junge Frauen an Schreibmaschinen, die sie gruppenweise im synchronen Takt bedienen. Vor allem die Sekretärin Don Pasquales erweist sich dabei als Akrobatin der Tastenkünste. In der Schlussszene läuft parallel zur Bühnenhandlung auf der Rückwand ein alter Film – in etwa die Handlung von „Don Pasquale“ – aus den dreißiger Jahren ab, der punktgenau zum finalen Kuss des Bühnenpaares mit dem langen Kuss des Filmpaares endet.
Die Bühne beinhaltet neben dem Hauptraum in der Mitte linke und rechts Zugangsräume, in denen – mit Blick zum Publikum – Nebenhandlungen stattfinden, die das Geschehen im Hauptraum entweder ironisch kommentieren, so etwas das Lauschen des Personals beim Streit der Eheleute, oder aber heimlich ergänzen. In dieser räumlichen Aufteilung spiegelt sich das Boulvardtheater wider, das ja bekanntlich von Hinterzimmern und deren auf- und zugehenden Türen lebt. Hier sind diese Hinterzimmer für das Publikum geöffnet.
Die Ouvertüre läuft nicht vor geschlossenem Vorhang ab, sondern wird auf der Bühne von einer pantomimischen Zusammenfassung der Handlungsstränge begleitet, wobei weniger die Abbildung tatsächlicher Handlungselemente als vielmehr die Eigenarten und Schwächen der Akteure persifliert werden. Das Ganze ist witzig gemacht und stimmt gleich zu Beginn auf den Boulevardcharakter der Oper ein. Die etwas platte Handlung wird durch die lebendige Darstellung und durch diverse Regieeinfälle aufgelockert und augenzwinkernd relativiert.
Juri Batukov spielt den Don Pasquale als soignierten reiferen Herrn, fast ein wenig zu seriös und vernünftig, weshalb man später eher Mitleid als Schadenfreude für ihn empfindet. Er verfügt über eine sonore Baritonstimme, die weit trägt und sich gut durchsetzen kann. Neben ihm glänzt Oleksandr Prytolyuk als gewiefter, leicht intriganter aber nie unsympathischer Dr. Malatesta. Da er Ernesto und Norina zu ihrem Glück verhelfen will, gehört er zu den „Guten“ dieser Komödie. Prytolyuk füllt diese Rolle nicht nur sängerisch sondern auch schauspielerisch überzeugend aus und besticht durch seine gestische, mimische und stimmliche Beweglichkeit. Gegen diese beiden fällt Randall Bills als Ernesto etwas ab, was aber eher an der Rolle als an seiner Leistung liegt. Dramaturgisch ist er das Objekt der Geschehnisse, das nur reagiert statt zu agieren. Doch in seiner Liebesarie blüht er richtig auf. Die eigentliche Hauptrolle spielt jedoch Julie Davies als Norina. Vom ersten Moment an überzeugt sie durch tempermantvolles, vielseitiges Spiel, und vor allem ihre humoristische Seite kann sich hier voll entfalten. Wie ihre lebenslustige und schlagfertige Norina plötzlich das naive Häschen Sofronia gibt und nebenher noch abfällige Bemerkungen streut, ist schon sehenswert, und wenn sie dann nach der Hochzeit plötzlich zur extravaganten und verschwenderischen Frau des Hauses mutiert, weckt zu Recht die Lachgeister des Publikums. Vor allem ihre Koloraturen sind schon Grund genug, sich dieses Stück anzusehen bzw. anzuhören. Um sie dreht sich alles in dieser Oper, obwohl doch die Hauptperson nominell Don Pasquale ist.
Der Chor ist in dieser Inszenierung vor allem darstellerisch stark eingebunden, so als kopfstarkes Dienstpersonal, das unter Norinas Regiment modisch und fast mondän daherkommt. Hier wird schon fast die Schicki-Micki-Geschellschaft parodiert, die sich um reiche und prominente Gönner schart. Die Statisterie spielt Don Pasquales altersschwaches und buckliges Personal, bevor Norina einzieht. Das Orchester spielt unter der Leitung von Elias Grandy mit viel Spaß an den flotten Melodien auf und untermalt das Bühnengeschehen mit kräftigen Klangfarben. Die „Ohrwürmer“ dieser Oper werden mit besonderer Liebe zum Detail ausgespielt, um den Wiedererkennungseffekt zu verstärken. Das Ganze erfolgt jedoch nie übertrieben sondern mit der typischen Leichtigkeit der unterhaltenden Boulevardkomödie.
Nach dem etwas krausen und plötzlichen „Happy End“ auf der Bühne bedankte sich das Publikum mit kräftigem Beifall bei allen Beteiligten.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Barbara Aumüller
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