Puccinis „Tosca“ in der Deutschen Oper Berlin
In der römischen Kirche Sant’Andrea della Valle widmet sich der Maler Cavaradossi (Marcello Giordani) gerade einem Madonnenbildnis, als er, von Lärm aufgeschreckt, herumfährt und den in Lumpen gekleideten Angelotti (Ben Wagner) erblickt. Der ehemalige Konsul der Republik Rom ist aus dem Staatsgefängnis entflohen und hat sich in einer Nebenkapelle der Kirche versteckt. Als Schritte nahen, entschwindet er rasch wieder im Dunkel, und Tosca (Tatjana Serjan) tritt mit erstauntem Gesicht in die Kirche. Ob der seltsamen Geschäftigkeit Ihres Geliebten Cavaradossi vermutet sie eine heimliche Geliebte in der Umgebung und lässt ihrer Eifersucht freien Lauf. Als sie schließlich noch entdeckt, dass die gemalte Madonna mit ihrem blonden Haar und blauen Augen nicht Ihr, sondern einer anderen nachempfunden ist, entstürmt sie der Szene. Ein plötzlicher Kanonenschuss kündigt das Bekanntwerden von Angelottis Flucht an. Da Cavaradossi sein Bekenntnis zur Freiheit lebt, hilft er Angelotti und rät ihm, sich in seiner Villa „Brunnen“ vor den Fängen des berüchtigten Polizeichefs Scarpia zu verstecken.
Scarpia (Sergey Murzaev) taucht kurze Zeit später mit seinen Schergen in der Kirche auf und findet mit einem Fächer ein Artefakt, das ihm seltsam vorkommt. Mit der Nachricht einer verlorenen Schlacht Napoleons ruft der Messner seine Kantorei zusammen, und Tosca erscheint erneut, denn sie soll mit ihrer glockenhellen Stimme der Siegesfeier die gefühlte Fröhlichkeit geben. Jedoch erstarrt sie bei dem Anblickt des Fächers – es ist der der Marchese Attavanti, Angelottis Schwester, die dem Madonnenbild so ähnlich sieht. Sie lässt Scarpia ihren Zorn erkennen und begibt sich, unter den Augen von des Polizeichefs finsterem Gefolge, auf den Weg zu Cavaradossi.
Der 2. Akt zeigt als Örtlichkeit Scarpias weitläufiges und düsteres Gemach. Neben seinem großen Schreibtisch vor dem Fenster ist in einer anderen Ecke zum Diner gedeckt, und Kerzen verbreiten eine warme Stimmung. Man berichtet Scarpia, dass Angelotti weiterhin flüchtig sei, man allerdings stattdessen Cavaradossi verhaftet habe, da es den Verdacht gebe, er verstecke Angelotti. Dieser verweigert jegliche Aussage und wird als Folge in den Nebenraum zur Folter verschleppt. Scarpia lässt Tosca hereinführen. Unter den hörbaren Folterqualen Cavaradossis erzwingt er ihre Aussage zu Angelottis Aufenthaltsort. Aber nicht genug damit, verlangt er für ihres geliebten Malers Leben noch, dass sie mit ihm diniere und sich im hingebe. Im Moment des Näherkommens jedoch treibt sie ihm eines der gedeckten Messer ins Fleisch. Scarpia sinkt zu Boden. Tosca ist durch ihr Aufwachsen im Kloster sehr religiös, platziert vorsichtig zwei Kerzen zu den Seiten Scarpias und legt mit äußerst möglicher Distanz ein Kreuz auf dessen Brust ab.
Der dritte Akt: auf Toscas verbale Zusage zur Hingabe an Scarpia hatte dieser angewiesen, Cavaradossi solle nur scheinbar erschossen werden und Tosca und er könnten im Nachhinein fliehen. Im Morgengrauen wird der Maler auf das Dach der Engelsburg, dem Staatsgefängnis, geführt. Tosca erscheint zu seiner Verwunderung und berichtet ihm von seiner folgenden Scheinexekution und der darauffolgenden Flucht. Es kommt zur Aufstellung der Soldaten und der Salve. Cavaradossi bricht zusammen und die Soldaten verlassen das Plateau. Als Tosca zu dem Gefallenen eilt, erkennt sie, dass dieser tatsächlich tot ist. Im Moment der Erkenntnis, dass sie hintergangen wurde, wird Scarpias Mord bekannt. Tosca stürzt sich vor den Augen der wiedererschienen Soldaten in die Tiefe.
Diese Inszenierung von Puccinis Tosca durch Boleslaw Barlog ist eine der sehr wenigen, die zwei Pausen bietet. So gibt es einen deutlichen Kontrast zu Aufführungen, die gänzlich auf diese Unterbrechungen verzichten und die Zuschauer bestenfalls gebannt über zwei Stunden an Ihre Sitze fesseln. Sicherlich ist dies aus künstlerischer Perspektive verständlich, jedoch ist es in dieser Aufführung allein schon der Aufwändigkeit der Bühnenbilder geschuldet, dass die Zuschauerschar sich mehrmals erfrischen darf. Je Akt wird ein gewaltiges Bild präsentiert, dass durch Plastizität und Realitätsnähe beeindruckt. Filippo Sanjust zeigt hier eine sehr klare Form des Verismus auf, in dem er die Realität möglichst nah abbilden möchte. Im ersten Akt begeistert die Kirche mit ihren schmiedeeisernen Toren, die Nebenkapellen abtrennen, und einer übermenschlich großen Madonnastatue, die das Treiben beobachtet. Im zweiten Akt ist es Scarpia weitläufiges, baulich schlichtes aber böse Macht ausstrahlendes Gemach, wo auch die hellen Scheine der wenigen Fenster durch das Dunkel der Gemäuer aufgesogen werden. Und im finalen Akt ist es das Plateau einer Burg mit dem Blick in die unendliche Ferne der dunkeln Nacht, in die sich langsam aber beständig die Sonne hervorkämpft. Eine große Statue eines heroischen Kämpfers überstrahlt still das Geschehen. Die Aura der Bühne ist einzigartig – man meint sogar, die kühle Morgenluft und den niedergehenden Tau auf den Händen zu spüren.
Das spannende an Tosca ist mitunter, dass sich das ganze Geschehen tatsächlich in nur sechzehn Stunden vollzieht. Von fröhlicher Liebe einer im Kloster aufgewachsenen Sängerin und ihrem Kirchenmaler über Verrat, Folter, Mord und Tod aller Hauptfiguren vergeht gerade mal eine Nacht. Pucchini verzichtet auf lange Liebeszenen, komplexe und fiktive zwischenmenschliche Beziehungen und eine unnötig in die Länge gezogene Handlung. Geradezu imposant erscheint es, wie ein schmales Libretto eine ganze Oper ausfüllen kann, wenn sich der Schaffende doch einfach auf die Darstellung des Wesentlichen konzentriert. Und das Wesentliche ist hierbei der Kampf um die Freiheit, Liebe und Integrität der eigenen Person. Bis aufs Letzte widersteht Tosca Scarpia in dem Wunsch Angelottis Versteck preiszugeben – ein ewiges Hin und Her mit dem gequälten Cavaradossi im Nebenzimmer. Erst als der Maler vor todesnahem Schmerz in Ohnmacht fällt, unterliegt Tosca dem Willen des allmächtigen Polizeichefs.
Tatjana Serjan als Besetzung für Tosca zeigt sich authentisch zwischen Liebe, Eifersucht, Mitleid, Hass und Traurigkeit zerrissen. Sie umgarnt Cavaradossi in der Kirche aber kämpft gleichzeitig für ihren Anspruch der Einzigartigkeit in seinem Leben. Tosca leidet unter Cavaradossis Folter stärker als dieser selbst, widersteht aber der schnellen Aufgabe. Aufbrausend erwehrt sie sich gegen Scarpias Niedertracht und Gier nach ihrem Körper, bis dahin, dass sie sogar ihren frühzeitigen Tod mit einem Sprung aus dem Fenster androht. Nach dem Mord fällt sie zurück in das Sinnbild ihrer Kindheit, der gottesfürchtigen Madonna, die dem Toten noch ein ehrenvolles Erscheinungsbild verleiht.
Marcello Giordani als Cavaradossi begeistert zuallererst durch seine gewaltige Stimme. Man möchte kaum glauben, dass eine einzige Person ohne audiotechnische Verstärkung einen ganzen Opernsaal ins Beben versetzen kann. Mehrere kürzere Arien donnert er geradezu hinaus – eine, als Scarpia ihn zum wiederholten Male das Geständnis nach Angelottis Aufenthaltsort entreißen will. Der Klangkörper, den Giordani entfaltet, ist Weltklasse, und nichts könnte besser den Drang und unbändigen Willen nach Freiheit verkörpern.
Schließlich steht an diesem Abend Sergey Murzaev als Scarpia auf der Bühne, denn der eigentlich dafür vorgesehen Thomas Hampson war kurzfristig erkrankt. Seit 1991 ist Murzaev Solist am Moskauer Bolschoi-Theater und gehört damit ebenfalls zu den größten Opernsängern der heutigen Zeit. In der Rolle des Scarpia agiert er glaubwürdig scharf und zynisch. Er spielt mit Tosca wie mit einer eingefangenen Tigerdame im Dompteurkäfig – jedes Fauchen saugt er genussvoll in sich auf und treibt sie erregt vor sich durch den Raum. Jedoch begeht er schließlich den Fehler, sich von ihr abzuwenden, worin sie instinktgetrieben ihre Chance erkennt und ihren Peiniger niederstreckt.
Malte Raudszus
Alle Bilder © Bettina Stöß
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