Künstlerin, nicht Witwe!
In der Frankfurter „Schirn“ eröffnet Yoko Ono persönlich ihre Ausstellung „Half-A-Wind Show“
Den meisten Angehörigen der Generation 60+ ist Yoko Ono, geboren 1933, bekannt als Lebensgefährtin von John Lennon, „spiritus rector“ der Beatles. Ende der 60er Jahre überdeckte Lennons weltweite Berühmtheit die Tatsache, dass Yoko Ono damals bereits eine allerdings nur in Insiderkreisen bekannte Künstlerin war. Zusätzliche auf John Lennon bezogene Bekanntheit erhielt sie, als sie nach dessen gewaltsamem Tod im Jahr 1980 die Erinnerung an ihn quasi sakralisierte und eine Art geistiger Deutungshoheit für seinen Nachlass einforderte. Nachdem sich die Wogen der medialen Erregung gelegt und John Lennon in der Erinnerung verschwunden war, wurde es öffentlich auch um Yoko Ono wieder etwas ruhiger. Sie verstand es jedoch, sich immer weider in Erinnerung zu bringen, anfangs noch mit Verweisen auf den großen Beatles, später vorwiegend mit eigenen Arbeiten.
Die Kunsthalle Schirn hat sich jetzt der Künstlerin Yoko Ono angenommen und ihr eine eigene Ausstellung gewidmet. Ausgangspunkt war dabei – unausgessprochen aber eindeutig -, dass Lennon dabei keine oder höchstens eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Doch die Pressekonferenz widersprach dieser Absicht. Vergleicht man die Veranstaltung mit den entsprechenden zu Ausstellungen anderer lebender Küsntleren der amerikanischen Avantgarde, etwa Jeff Koons oder George Condo, so muss man von verschiedenen Welten des medialen Interesses reden. Schon beim Betreten des Schirn-Foyers hatte man den Eindruck, der Papst habe in Frankfurt seine Abschiedsreise angetreten. Bereits lange vor Beginn der Veranstaltung waren alle Sitzgelegenheit im Foyer, in dem erstmals eine Pressekonferenz stattfand, belegt, und das Pressepublikum stand dichtgedrängt um die Stuhlreihen. Vor dem noch leeren Podium warteten ein Dutzend Pressefotografen mehr oder minder geduldig auf das Erscheinen der Künstlerin, und die Galerie im ersten Stock war rundum von Besuchern zum zusätzlichenm Zuschauerraum umfunktioniert worden.
Als dann Yoko Ono, im schwarzen Hosenanzug, mit schwarzem Hut und Sonnenbrillen, eingerahmt von Schirn-Direktor Max Hollein und Kuratorin Ingrid Pfeiffer, erschien, fuhr ein Blitzgewitter auf sie nieder, und die zusätzlichen Sicherheitsmänner – „Bodyguards“ mit kahlgeschorenen Schädeln und kaltem Profiblick – mussten die Fotografen mit sanfter Gewalt vom Podium abdrängen, damit die Pressekonferenz beginnen konnte. Soviel zum Kultstatus von Yoko Ono.
Nach der Einführung in Werk und Wesen der Künstlerin durch die Kuratorin kam Yoko Ono selbst zu Wort und trug frei auf Englisch vor. Wenn auch nicht alles an allen Orten des Foyers verständlich war – der Hall in dieser nicht für solche Ereignisse vorgesehenen Eingangshalle verzerrt die Sprache und Yoko Onos Aussprache war etwas von ihrer japanischen Herkunft beeinflusst -, so fiel doch die geistige Präsenz und Wachheit der immerhin achtzigjährigen Künstlerin auf. Mit einfachen aber klaren Worten wies sie auf ihr künstlerisches Motto der Partzipation des Betrachters hin. Sie sieht jeden Menschen als potentiellen Künstler, der sich in die Kunst einmischen kann und soll. Ihre Kunst beinhaltet immer wieder die konkrete Aufforderung, etwas zu tun, Werke anzufassen, zu befühlen oder an Performances teilzunehmen. Man kann natürlich darüber streiten, ob jeder beliebige Mensch durch eine punktuelle, eher zufällige Teilnahme an einem Produktionsprozess oder durch die Handhabung eines Kunstwerks quasi automatisch selbst zum Künstler wird, aber zumindest ist es ein Ansatz, die klassische Trennung von Produktion und Rezeption partiell aufzuheben. Man merkte Yoko Ono bereits in der Pressekonferenz an, dass sie die Öffentlichkeit nicht nur gewohnt ist sondern auch liebt. Ungezwungen und ausgiebig referierte sie über ihr Kunstverständnis, fast wie eine Professorin während eienr Vorlesung. Auf Fragen aus dem Publikum antwortete sie engagiert und umfassend, stets mit einem Schuss Humor und auch etwas Selbstironie. Erstaunlich und im Grunde genommen angenehm fiel der Umstand auf, dass keine Fragen zu John Lennon aufkamen. Das Publikum missbrauchte diese Veranstaltung nicht dazu, diesen Aspekt ihres Lebens in den Mittelpunkt zu rücken, obwohl Gespräche mit und zwischen den Besuchern durchaus bewiesen, dass sie sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst waren.
Yoko Onos künstlerisches Selbstverständnis ist multimedial; sie nutzt für ihre Arbeiten sowohl darstellende Mittel wie Foto und Schrift als auch den Film und die Musik. Entgegen einer weit verbreiteten weil naheliegenden Annahme hat nicht John Lennon sie zur Musik gebracht sondern hat sie ihn auf dieserm Gebiet inspiriert. Dabei ist sie keine „Song“-Schreiberin oder gar Komponistin im herkömmlichen Sinne, sondern sie betrachtet die Musik als einen Grundbestandteil des menschlichen Lebens und Handelns und hatte sie schon früh in ihre Arbeiten einbezogen. Für sie ist jedoch alles Musik, was Geräusch erzeugt, bis hin zu einer schlagenden Tür oder dem Rauschen des Windes. Wenn der Mensch bewusst Geräusche erzeugt, kann das das bereits künstlerische Züge annehmen. Dabei versteht sich, dass Sprache selbst auch Musik ist.
Theoretische Ausführungen zur Musik wird man bei Yoko Ono jedoch nicht finden. Ihr Kunstverständnis ist spontan und auf die Aktion ausgerichtet. Sie gilt als eine frühe Vertreterin der Konzeptkunst, bei der die Idee das herkömmliche „fertige Werk“ ersetzt. Diese Idee muss auch nicht dem Gedanken eines gezielten, strukturierten Schaffensprozesses folgen, sondern kann aus Anweisungen und gedanklichen Kombinationen bestehen. Bei Yoko Ono stechen vor allem die „Instructions“ hervor. Das sind kurze Anweisungen, sich etwas Ausgefallenes vorzustellen und bestimmte, spontane Handlungen auszuführen. Die kann zum Beispiel darin bestehen, ein Stück Glas mit einem Nagel zu zerschlagen und die Splitter an verschiedene Adressen zu verschicken. Die „Anweisungen“ selbst sind in verschiedenen Sprachen ausgedruckt und nehmen in gewissem Sinne selbst den Rang eines künstlerischen Werks an, ohne dass in diesem „Produkt“ ein besonderes handwerkliches Können realisiert sein muss.
Andere Exponate sollen den Besucher offensichtlich irritieren. So sind vier silberne Löffel auf einer Stele mit „Three Spoons“ untertitelt, und daneben liegen auf einer anderen Stele drei patinierte Löffel – und ein Leerplatz – mit dem Titel „Four Spoons“. Aus einem anderen Blickwinkel weist diese „Vertauschung“ – so mancher Besucher hält es für einen Fehler beim Aufbau – durchaus Kalauerqualitäten auf, nach einigem Nachdenken stellt man jedoch fest, dass gerade die Diskussionen über diese irreführende Titel tatsächlich die Aufmerksamkeit wecken. Die Tatsache, dass der Mensch zu 70% aus Wasser besteht, erscheint Yoko Ono als Metapher für die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, und sie unterstreicht diese Sicht mit einer Regalwand von wassergefüllten Gläsern mit Namen berühmter Männer und Frauen.
Videos stellen einen anderen Schwerpunkt von Yoko Onos Werk dar. Dabei sticht eins besonders ins Auge: Yoko Ono sitzt unbewegt auf dem Boden einer Bühne und lässt sich von Zuschauern Stück für Stück die Kleider vom Leib schneiden – „Cut Pieces“ – und wahrt bei diesem ihrer Haut des Öfteren sehr nahe kommenden Schneidewerk nur mit Mühe die Fassung. Anfangs schaut man irritiert, dann wächst zunehmend die Betroffenheit über dieses extreme Ausgeliefertsein. Andere Videosequenzen bestehen dagegen aus alten Schmalfilmen der sechziger Jahren, mit offensichtlich bewusst schlechter Qualität, um das Alter zu unterstreichen. Zu sehen sind Tische, Stühle, dann wieder Yoko Ono auf einer Bank, in die Ferne schauend, oder ein Blick in den New Yorker Central Park. In ihrer Trivialität scheinen diese Sequenzen anfangs nichts zu transportieren, aber gerade die ruhige Aneinanderreihung unspektakulärer Alltagsszenen entwickelt einen eigenen Ausdruck. Die simplen Szenen werden sozusagen von Yoko Ono geadelt. Dasselbe Video, in der Ausstellung „Privat“ gezeigt, hätte eine ganz andere Aussage entwickelt.
Sicher provoziert Yoko Ono mit vielen Arbeiten den Besucher und bringt das herkömmliche Bild von Kunst ins Wanken. Man muss nicht alles als Kunst ansehen, und Diskussionen sind erlaubt wenn nicht erwünscht. Betrachtet man jedoch die Ausstellung durch die weltanschaulilche Brille von Yoko Ono, dann ergibt alles einen Sinn, der sich mit Worten schwer fassen lässt, seine Wirkung aber nicht verfehlt.
Die Ausstellung „Half-A-Wind Show“ ist vom 15. Februar bis zum 12. Mai 2013 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 22 Uhr geöffnet.
Frank Raudszus
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