Das Recycling in der Kultur
Das Liebieg-Haus zeigt in der Sonderausstellung „Zurück zur Klassik“ die Rückgriffe auf die Kunst der griechischen Antike
Die Epoche der antiken griechischen Klassik des fünften Jahrhunderts v. Chr. gehört heute unbestritten zu den kulturellen „Weltwundern“, auch wenn sie formell nicht zu diesen gehört. Die für diese historisch frühe Phase der Menschheit einmalige Qualität der künstlerischen Produktion hat sie in den Rang eines Synonyms für Schönheit, Ausgewogenheit und Zeitlosigkeit erhoben. Wir alle kennen die Begeisterung Goethes, Winckelmanns und ihrer Zeitgenossen für das antike „Arkadien“, und die Rückbesinnung auf die griechische Klassik bildete auch die Grundlage für die „Weimarer Klassik“. Allerdings pflegte nicht nur diese Epoche eine ausgeprägte Liebe zur griechischen Antike. Vor und nach ihnen nahmen auch andere historische Phasen und Bewegungen das alte Griechenland für ihre Ziele in Anspruch. Dabei war der Neo-Klassizismus des 19. Jahrhundert, eigentlich eine epigonale Erscheinung der Weimarer Klassik, noch ein bieder-naiver Zug der Geschichte, der sich gerne mit dem „Wahren, Schönen, Guten“ der Antike schmückte und in der hohlen Repräsentation der wilhelminischen Ära endete. Dagegen usurpierten der italienische Faschismus und der deutsche Nationalsozialismus das Gedankengut der alten Griechen schamlos und auf einfachste Weise für ihre bombastische Omnipotenz-Architektur.
Das Frankfurter Liebieg-Haus geht der Rezeption der griechischen Antike durch die einzelnen Epochen in einer chronologisch inversen Anordnung nach. Die Zeitreise beginnt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit nur wenigen Exponaten aus der Zeit des italienischen und deutschen Faschismus, die zwar ein Zeichen setzen, die Ausstellung aber nicht dominieren. Ähnlich steht es mit dem 19. Jahrhundert, das mit den „Reparatur“-Versuchen antiker Skulpturen des Dänen Thorvaldsen – auf Geheiß des bayerischen Königs Ludwig I. – vertreten ist, die schon damals grundsätzliche Kritiker auf den Plan riefen. Auch die pompöse Doppelskulptur der auf dem Panther reitenden Ariadne wirft ein deutliches Licht auf die Selbstverliebtheit dieser Epoche, die sich mit den Federn der Antike schmückte und sich der Abgeschmacktheit dieses plagiatorischen Vorgehens nicht einmal bewusst wurde.
Die erste ernsthafte Beschäftigung mit der Antike fand in der Renaissance statt. Die Ausstellung zeigt dies mit einigen bemerkenswerten Exponaten, so einem Bild des Evangelisten Markus aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, einer bemerkenswerten Apollo-Statuette von Bonacolsi, auch „Antico“ genannt“, oder der Statuette einer „garstigen Alten“, die in satirischer Absicht der berühmten Aphrodite-Staue nachgebildet ist.
Der größte Teil der Ausstellung betrifft jedoch die griechischen Originale selbst oder ihre römische Kopien. Die Römer waren über längere Zeit historische Begleiter der Griechen. Ihre Stärken lagen jedoch nicht in der künstlerischen Kreativität sondern in der Kriegskunst, der Politik und der Verwaltung. Wie auch heute noch haben die Politiker damals die Griechen wegen ihres künstlerischen Niveaus beneidet. Da sie ihnen auf diesem Gebiet nicht Paroli bieten konnten, haben sie die Gunst der Stunde – das heißt die politische Schwäche der zerstrittenen Griechen – genutzt, sie besiegt, ihrem Imperium einverleibt und das Land nach Herzenslust geplündert. Das ist der Grund, warum man im Laufe späterer Jahrhunderte griechische Statuen und Tongefäße auf dem italienischen Festland oder auf dem umliegenden Meeresboden gefunden hat und dies immer noch tut. Doch die Römer haben nicht nur für den Exodus griechischer Kulturgüter nach Italien gesorgt, sie haben diese auch in wachsender Zahl kopiert und damit eine eigene, sozusagen griechisch-römische Kultur geschaffen. Plagiate waren damals noch nicht verpönt, und der Sieger hat historisch sowieso Recht.
Die Ausstellung stellt in vielen Beispielen Original und Kopie nebeneinander und erlaubt den Vergleich. Schon damals zeigte sich der wesentliche Charakterzug aller Kopien: sie sind nicht aus dem Geist und der Geschichte der ursprünglichen Werke entstanden und von ihnen geprägt, sondern sie zeigen eher die Wünsche des Kopisten. Die Römer interessierten sich nicht für die griechische Mythologie und damit für die Geschichte jeder einzelnen Figur, sondern nur für die Wirkung im aktuellen gesellschaftlichen Kontext. „Prestige schlägt Mythos“ – so hieß und heißt immer noch die Devise all derer, die sich mit fremden Federn schmücken. Das schlägt sich in den römischen Kopien der griechischen Skulpturen in größerer Gefälligkeit und geringerer Detailtiefe nieder. Die handwerkliche Kunst der Kopisten war jedoch so groß, dass man diese Unterschiede nur bei genauem Studium entdeckt. Auch das Material spielte eine Rolle: die Römer kopierten viele der griechischen Bronze-Skulpturen in weißem Marmor, weil der vorhanden war, sich einfacher bearbeiten ließ und dem Zeitgeschmack der Römer eher entsprach.
Die Reise in die Geschichte der griechischen Skulpturen endet bei den Griechen selbst. Hier sind die beeindruckendsten Skulpturen zu bewundern, die man ironischerweise im Meer nahe Italien gefunden hat – siehe oben. Darunter ist ein Bronze-Pferd, das in der Detailgenauigkeit bis hin zu den Adern unter dem Fell kaum zu übertreffen ist. Auch die hintere Hälfte eines übergroßen Stieres – ebenfalls in Bronze – zeigt diese Detailtiefe. Noch lebendiger und lebensnaher ist die (über?)lebensgroße Bronzestatue eines Faustkämpfers, der nach dem Kampf ermattet auf einem Stein sitzt. Die blutigen Wunden und das herausgetropfte Blut sind durch spezielle Einlagerungen aus rotem Kupfer naturgetreu nachgebildet worden. Man muss sich das heute allerdings vorstellen, denn die jahrhundertelange Lagerung im Wasser hat sämtliche Farbeffekte verschwinden lassen oder auf ein Minimum reduziert, und die aktuelle Farbgebung ist von der grünen Patina und anderen Verwitterungseinflüssen geprägt. Doch genau wie bei dem Pferd fesselt den Betrachter die Unmittelbarkeit und die Lebenskraft dieser Skulpturen.
Neben den Skulpturen spielen auch Tongefäße – Amphoren u. a. m. – eine wichtige Rolle. Anhand einer Reihe von Exponaten wird die Technik der Bemalung und deren historische Entwicklung erklärt. Als scheinbar kleine Besonderheit sieht man bei einem Krieger den Innenteil seines Hemdes am Hals dunkel unterlegt: das erste Auftauchen einer bewussten Schattengebung in der bis dahin nur flächigen Malerei. Die Amphoren erzählen die Geschichten verschiedener altgriechischer Mythen oder schildern das Alltagsleben.
Über die Malerei im antiken Griechenland kann man nur spekulieren. Man weiß zwar aufgrund technischer Untersuchungen, dass die Statuen früher sehr farbenfreudig gestaltet waren – das klassische Ideal der puristischen Statue ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts aus reinem Nichtwissen -, aber die Bemalungen sind über die Jahrtausende verschwunden. Das Gleiche gilt für öffentliche Gemälde an Gebäuden. Doch in letzter Zeit hat man in alten Königsgräbern – so etwa von Philip II. von Mazedonien – weitgehend erhaltene Wandgemälde gefunden, die einen Eindruck von der antiken Malkunst vermitteln. Wie nicht anders zu erwarten, stehen sie den Skulpturen in nichts nach, auch wenn sie nur in Teilen erhalten sind. Die Ausstellung zeigt ein solches Fresko mit einer Jagdszene, auf der Philip II. und sein Sohn Alexander identifiziert werden konnten.
Der zweite Teil der Ausstellung – im Keller des Liebieg-Hauses – zeigt weitere griechische Skuplturen und beherbergt vor allem das „Haus der Nacht“, das in einem Video Auskunft über die Philosophie des Parmenides gibt und weitere Informationen über die damaligen Techniken des Kunstschaffens vermittelt.
Die Ausstellung ist vom 8. Februar bis zum 26. Mai 2013 dienstags sowie freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.
Frank Raudszus
No comments yet.