Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: „Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“

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1308_simplicius.jpg Ein Hörspiel nach dem bekannten Roman aus dem Dreißigjährigen Krieg

Die Geschichte des Simplicius Simplicissimus ist jedem historisch und /oder literarisch Interessierten bekannt, da sie quasi zur literarischen Inkarnation des Dreißigjährigen Krieges geworden ist. Grimmelshausen hat diesen Roman, der die Greuel und Rechtlosigkeit dieses bis zum 20. Jahrhundert auf deutschem Boden einzigartigen Krieges beschreibt, als scheinbar naiven Schelmenroman angelegt, da die vordergründige Naivität des Erzählung die Zustände wesentlich schärfer brandmarkt als jegliche moralische Anklage.
Simplicius wächst als Findelkind bei einem Einsiedler im Spessart auf, nachdem marodierende Reiter den Bauernhof seiner Eltern überfallen und ausgeplündert haben. Seinen Namen erhält er von dem Einsiedler, den die Einfalt und Weltfremdheit des bereits zehn- oder zwölfjährigen Jungen erstaunt. Nach dem Tode seines Ziehvaters, der sich viel später als sein leiblicher Vater herausstellen wird, zieht Simplicius in die Welt, ausgestattet mit den Mahnungen des Einsiedlers, stets christlich standhaft zu bleiben und nie zu lügen. Diese Moral führt ihn schnell als vermeintlichen Spion ins Gefängnis und fast zum Galgen, dann als Page zum Gouverneur von Hanau, wo er das Wohlleben der Herrschenden kennenlernt und den Kontrast zum Hunger der Bauern erlebt. Wegen verschiedener naiver Tölpeleien wird er zum Narr im Kalbskostüm degradiert, darf in diesem Kostüm allerdings jedem – bis zum Gouverneur – die Wahrheit ins Gesicht sagen, was er weidlich ausnutzt. Nach einer Entführung kommt er zum Feind und  wird dort „freier Reiter“, das heißt er verdient sich seinen Lebensunterhalt durch Überfälle auf Versorgungskonvois der Gegenseite. Irgendwann wird er von den Schweden gefangen genommen, genießt dort aber bald alle Freiheiten und heiratet schließlich die Tochter eines Offiziers. Als sein zusammengraubtes Vermögen von dem Treuhänder veruntreut wird, zieht er nach Paris zu Nachforschungen, wo er das süße Leben der Franzosen schätzen lernt. Auf dem Rückweg in die Heimat erkrankt er schwer an Blattern und wird wiederum um sein gesamtes Hab und Gut beraubt. Schließlich trifft er einen alten Freund aus Hanauer Pagenzeiten und zieht mit diesem zum Kloster Einsiedel, wo sein Freund ein Gelübde erfüllt und schließlich stirbt.
Bei seiner späten „Inkognito“-Heimkehr zu seiner Frau muss er feststellen, dass er Vater und Witwer geworden ist, wegen verschiedener anderer Vaterschaften jedoch nicht mehr wohlgelitten ist. Er zieht daher in den Schwarzwald, verheiratet sich unglücklich, trifft seine Zieheltern von dem  Spassarter Bauernhof wieder, wird wiederum Witwer und zieht sich – wie sein leiblicher Vater – schließlich als Einsiedler in den Wald zurück.
Grimmelshausen zeigt mit dieser Biographie den Verfall jeglicher Ordnung während des Krieges, die Beliebigkeit von Freund und Feind und die Relaitivität der Begriffe Gut und Böse. Das naive Gemüt des Einsiedlerzöglings muss ferststellen, dass die Guten böse und die Bösen gut sein können, aber nicht müssen; dass die Religion genauso fragwürdig ist wie die Fürstenmoral und das es Treue höchstens auf zwischenmenschlicher Ebene gibt. Tod und Verderben regieren überall, auf nichts mehr ist Verlass, so dass man sich dieser Welt nur noch entziehen kann, in dem man ein eremitisches Leben fern aller Menschen führt.
Dieser Roman wurde im Jahr 1963, also vor fünfzig Jahren, im WDR als mehrteiliges Hörspiel gesendet. Zum Jubiläumsjahr hat der Hörverlag dieses Hörspiel jetzt als Hörbuch herausgegeben. Sprecher sind unter anderem der bekannte Schauspieler Hans Clarin (in der Hauptrolle) sowie Hanns Ernst Jäger und Kurt Lieck, um nur einige bekannte Namen zu nennen. Die meisten  der Sprecher sind heute nicht mehr aktiv oder leben schon nicht mehr. Regisseur Ludwig Cremer hat für das Hörspiel eine Romanbearbeitung von Bastian Müller herangezogen, die versucht, die Sprache des 17. Jahrhunderts wiederzubeleben. Ob und wieweit diese Sprtache authentisch ist, lässt sich nicht beurteilen, weil es aus dieser Zeit keine Tontaufnahmen gibt. Man kann sich also nur auch schriftliche Zeugnisse berufen. Auf jeden Fall ist die Sprache für heutige Hörgewohnheiten geglättet worden, da Originaltexte aus dieser Zeit nur schwer zu verstehen sind, wie ein Blick in den Urtext des „Simplicissimus“ deutlich zeigt.
Diese künstlich auf alt getrimmte Sprache bringt dabei eigene Probleme mit sich. Dem heutigen Leser und Hörer mutet sie artifiziell und altertümlich in dem Sinne an, dass sie unfreiwillig komische Züge annimmt. Dazu kommt, dass die Sprecher den Text nicht als gesprochenen Alltagstext vortragen sondern in Form einer literarischen Deklamation, wie wir sie auch vom Theater der fünfziger Jahre bei der Aufführung klassischer Stücke kennen. Das dichterische Erbe geht dann vor Realitätsnähe. Zwar versuchen die Sprecher, den Texten Emotionen wie Ärger, Freude und Wut einzuhauchen, doch der deklamatorische, theatralische Effekt nimmt diesen Emotionen die Realität des Alltags und macht sie zu dichterisch gestalteten Dialogen. Mit dieser grundsätzlichen Schwäche alter Texte muss man jedoch leben, da eine uns natürlich erscheinende Sprache quasi eine Übertragung in die heutige Umgangssprache erforderlich machen würde. Doch das ist ein andere Geschichte.
Der Text ist gegenüber der Originalausgabe starkt gekürzt und beschränkt sich auf den europäischen Teil von den Abenteuern des Simplicius Simplicissimus, die ihn bis nach Russland und sogar Südkorea führen. Grimmelshausen hat damit offensichtlich die damalige Kenntnis des Weltkreises in den Roman einbauen wollen. Allerdings hätten diese Passagen den Rahmen eines in Fortsetzungen erscheinendes Hörspiel deutlich gesprengt. Dadurch ist eine „handliche“ Version dieses großen Schelmenromans entstanden, die jedoch bereits einen guten Eindruck des Zeitkolorits vermittelt.
Das Hörbuch „Der abenteuerliche Simplicissimus teutsch“ ist im Hörverlag unter der ISBN 978-3-86604-943-7 erschienen, umfasst 6 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 406 Minuten und kostet 25,95 €.

Frank Raudszus

 

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