Christian Thielemann: „Mein Leben mit Wagner“

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1307_thielemann.jpgEin Hörbuch über den Menschen und Komponisten Wagner aus der Sicht eines Dirigenten

 
Christian Thielemann gilt als einer der renommiertesten Dirigenten des deutschen und internationalen Musikbetriebs. Nachdem ihn das konservative München nach einer längeren Liaison  zu schätzen verlernt hatte (warum auch immer), kehrte er der Stadt den Rücken und zog als neuer Chefdirigent nach Dresden, was man durchaus als weitere Stufe auf der Karriereleiter verstehen kann. Aber München hat auf diesem Gebiet ja einschlägige Erfahrungen: gegen Ende des 18. Jahrhunderts verweigerte die Stadt einem jungen Musiker namens W. A. Mozart die Anstellung als Musikdirektor.

Thielemann gilt als Musiker mit einem breiten Interessenprofil. Beethoven, Mozart und andere Größen der „E-Musik“ sind fester Bestandteil seines Repertoires, doch seine besondere Liebe gilt dem deutschesten aller deutschen Komponisten: Richard Wagner. Und das ohne nationalistischen, mythisch-verklärten oder gar rassistischen Kontext.

In dem vorliegenden Hörbuch liest der Schauspieler Ulrich Tukur Thielemanns Autobiographie zum Thema „Wagner“.Zwar ist Thielemann mit seinen etwa fünfzig Jahren noch etwas jung für eine Autobiographie, aber die Fokussierung auf ein musikalisches Thema lenkt die Aufmerksamkeit des Hörers konsequent vom Autor weg auf seinen Gegenstand. Im Grunde genommen handelt es sich hier um ein populärwissenschaftliches Werk über Richard Wagner, das durch den autobiographischen Tenor zwei zusätzliche Qualitäten gewinnt: es wirkt erstens persönlicher und authentischer, weil nicht trockene wissenschaftliche Analyse sondern persönliches Erleben dahintersteckt; und zweitens redet hier nicht ein – vielleicht musikalisch dilettierender – (Musik-)Wissenschaftler über Wagner, sondern jemand, der dessen Werke bereits mit vielen Orchestern erfolgreich aufgeführt hat.

Thielemann beginnt mit seiner Kindheit, in der er angeblich bereits als Einjähriger Kinderlieder nachgesummt hat. Während der Schulzeit faszinierte ihn die Oper, und auch die Hänseleien der Pop-Anhänger in seiner Schule konnten ihm nichts anhaben. Ein musikalisches Elternhaus, früher Instrumentalunterricht und konsequente  Förderung seiner Begabung waren wichtigte Voraussetzungen seiner Karriere. Bereits als Einundzwanzigjähriger durfte er als Karanajans Assistent dessen Wagner-Dirigate begleiten.

Anhand seiner eigenen Karriere beschreibt Thielemann den Musikbetrieb und speziell das Opernwesen. Ohne sich weiter über andere Komponisten auszulassen, konzentriert er sich auf seinen Zugang zu und sein „Leben mit Wagner“. Auf diese Weise erhält der Zuhörer einen lebendigen Eindruck von Wagners Musik, von den Eigenarten großer Dirigenten wie Toscanini, Furtwängler oder Karajan und von den Besonderheiten verschiedener Orchester und Bühnen, allen voran natürlich Bayreuth.

In diesem Zusammenhang erzählt Thielemann die Lebensgeschichte des Richard Wagner mit dessen schon früh durchschlagendem hochfahrenden Stolz, seinem – musikalischen und politischen – Rebellentum, seinen inneren Widersprüchen, die sozialrevolutionäre Ausbrüche den persönlichen Ansprüchen eines „Grandseigneurs“ gegenüberstellten, und seinen musikalischen Neuerungen, die er gegen eine erstarrte Rezeptionslandschaft durchsetzen musste, für die die musikalische Entwicklung mit Beethoven endete. Wagners Affäre mit Mathilde Wesendonk kommt zur Sprache, ebenso wie die musikalischen Folgen. Man erkennt aus dieser ausführlichen Biographie des „Meisterkomponisten“, dass seine Musik nicht ohne seine Leben zu verstehen ist und umgekehrt.

Eingehend widmet sich Thielemann „Querschnittsfragen“ über Wagner, bei denen es nicht um bestimmte Werke geht. Bei der Stoffwahl für die einzelnen Opern berücksichtigte Wagner laut Thielemann nicht nur den jeweiligen Zeitgeist  – zum Beispiel nationale Mythen -, sondern auch die allegorische, ja: philosophische Wirkung. Der politischen (Miss-)Deutung von Wagners Musik erteilt Thielemann eine erfrischende Absage: „C-Dur bleibt C-Dur“; Missbrauch ist zwar nicht ausgeschlossen, aber der geht nicht zu Lasten der Musik.

Längere Ausführungen widmet der Autor Wagners Ehrgeiz, das „Gesamtkunstwerk“ aus Sprache, Theater und Musik zu schaffen. Die „Nummern-Oper“ hat Wagner danach endgültig auf die Plätze verwiesen und mit der durchkomponierten Oper eine  neue Stufe des Musiktheaters erklommen. Die alliterierende Sprache – vorzugsweise mit „W“-Wörtern – bietet für Thielemann weniger Anlass zum Spott als zur Analyse ihrer gesanglichen Umsetzung und Wirkung. Außerdem spricht er auch den Inhalten in vielen Fällen eine durchaus literarische Qualität zu.

Es versteht sich von selbst, dass Thielemann auch auf den berühmten „Hügel“ in Bayreuth und den Familienclan der Wagners eingeht. Er selbst hat Wolfgang Wagner persönlich in vielen Produktionen und Aufführungen erlebt und spricht in anerkennenden, ja bewundernden Worten von diesem Wagner-Enkel, auch wenn dessen künstlerische Begabung vielleicht nicht besonders ausgeprägt war.

Der letzte Teil des Hörbuchs ist Wagners Werken gewidmet. Detailliert geht Thielemann von den „Feen“ bis zum „Parsifal“ auf Idee, Stoff, Entstehungsgeschichte und musikalische Besonderheiten ein. Besonders wichtige Passagen – so aus dem „Tristan“ oder das Vorspiel zum „Parsifal“ – erklingen als orchestrale Beispiele. Die ausführlichen Beschreibungen geben nicht nur dem Laien einen „Ariadnefaden“ für den Gang durch das Labyrinth der Wagner-Opern an die Hand, sondern bieten auch dem fortgeschrittenen Wagner-Liebhaber immer wieder neue Erkenntnisse.

Ulrich Tukur trägt den Text mit viel Gespür für die jeweilige Situation des Autors oder seines Gegenstandes vor. So verleiht er den Zitaten Richard Wagners eine unverkennbare, aber nie aufdringliche sächsische Färbung, und Thielemanns autobiographische Schilderungen unterlegt er  oft mit einer vom Autor durchaus beabsichtigten Selbstironie.

Fazit: Es ist in jeder Hinsicht ein Genuss, diesem Hörbuch zuzuhören.

Das Hörbuch „Mein Leben mit Wagner“ ist im AudioVerlag unter der ISBN 978-3-86231-228-3 erschienen, umfasst 5 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 349 Minuten und kostet 24,99 €.

Frank Raudszus

 

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