Eine Krankengeschichte mit lakonischer Sprachgewalt
Markus Werner ist literarisch eher ein Geheimtipp, was wohl auch daran liegt, dass er laut Verlagsangabe jegliche tiefere biographische Auskünfte verweigert. Man mag es als bedauerlich erachten, keine näheren Auskünfte über einen Autor zu erhalten, aber jede solchen Nachfrage ist auch ein Stück voyeuristisch. Man kann es durchaus verstehen, wenn ein Schriftsteller diese Annäherungsversuche als Vereinnahmung ablehnt.
In dem vorliegenden Roman berichtet ein Ich-Erzähler einem imaginären Zuhörer von einer einschneidenden Phase in seinem Leben und der Zeit danach. Während einer Urlaubsreise nach Tunesien erleidet der Schweizer Denkmalspfleger einen Herzinfarkt und entkommt nur knapp dem Tod. Die Berufsbezeichnung „Denkmalpfleger“ entwickelt dabei von Anfang an eine ähnlich kryptische Bedeutung wie Franz Kafkas „Landvermesser“. Anfangs erscheint sie als bloß berufliche Einordnung zweitrangig, doch in regelmäßigen Abständen blendet der Autor den beruflichen Bereich kurz ein, erwähnt den Vorgesetzten und den Stellvertreter, die beide den Charakter von Instanzen annehmen, die dem Protagonisten immer fremder werden.
Er selber hat bereits einen schweren Verlust erlitten. Aus der Verbindung mit einer Kollegin ist ein Kind hervorgegangen, das nach drei Jahren an einem Gehirntumor gestorben ist, und daran ist auch die Ehe gescheitert. Wie ein böses Omen oder eine schwere Schuld hängt dieser Verlust über dem Ich-Erzähler. Seit dem Tod des Kindes erfüllt er seine beruflichen Pflichten zwar korrekt, jedoch ohne den inneren Antrieb, der ihn einst zu diesem Studium gebracht hat. Er sieht sich nur noch als flüchtigen Besucher der irdischen Welt. Außer flüchtigen Affären meidet er auch die Frauen und lebt weitgehend für sich allein.
Der Erzähler und sein geheimnisvoller Zuhörer treffen sich in regelmäßigen Abständen, und der Erzähler nimmt bei jedem Treffen den Erzählfaden vom letzten Mal wieder auf. Dem ersten Herzinfarkt ist ein zweiter gefolgt, und dann stellte sich heraus, dass der Erzähler an einer unheilbaren Herzschwäche leidet, die ihm nur noch eine begrenzte Lebenszeit von einem halben bis zu einem Jahr gewährt. Seit dieser Erkenntnis wartet er auf ein Ersatzorgan. Ein spezielles Alarmgerät informiert ihn bei Verfügbarkeit eines Organs unverzüglich, da dann jede Minute zählt. Hier wird zum ersten Mal die makabre Seite dieser Krankengeschichte offensichtlich: da nur Herzen von Spendern unter vierzig Jahren verpflanzt werden, reduziert sich deren Kreis auf junge Unfallopfer, vornehmlich Motorradfahrer. Der Protagonist und sein Arzt müssen also auf das Frühjahr und gutes Wetter hoffen, weil dann junge Männer vermehrt auf ihre Motorräder steigen. Was nicht explizit in dem Buch steht, aber zwischen den Zeilen durchschimmert, ist die Feststellung, dass jede Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit speziell für Motorradfahrer für die Organ-Empfänger nachteilig ist. An einer Stelle äußert der Erzähler lakonisch-verwundert die Tatsache, dass sein Weiterleben vom unfreiwilligen Tod eines jungen Menschen abhängt.
Doch Markus Werner entwickelt daraus keinen moralistischen Roman über die Schattenseiten der Organtransplantation. Er klagt weder die Unwilligkeit potentieller Spender noch die Hoffnung der Empfänger auf einen passenden Unfalltod an. Er schildert lediglich in lakonischem Ton die Situation, und zwar konsequent aus der Perspektive des Betroffenen. Das kann in diesem Kontext nur der Empfänger sein, da der potentielle Spender bis zu seinem Tod nichts davon weiß oder zumindest nicht mit dem Spendenfall rechnet. Wenn dieser eintritt, ist er zwar betroffen, kann sich aber nicht mehr darüber äußern.
Die nüchterne Betrachtung der Situation entwickelt eine geradezu surrealistische Seite und erinnert zunehmend an die Lage der Kafkaschen Protagonisten. So wie diese nicht wissen, warum sie als Opfer ausgewählt wurden und welche Schuld sie auf sich geladen haben, so weiß auch Werners Protagonist nicht, ob er gerettet wird, und, falls dies der Fall ist, wann er eintritt und wer ihn durch seinen Tod rettet. Das Warten auf den Tod eines anderen zur Rettung der eigenen Existenz reicht weit über die gwöhnliche Erwartungshaltung dem Leben gegenüber hinaus. Der Protagonist ist sich dieser makabren, wenn nicht gar perversen Situation durchaus bewusst, und aus dieser Einsicht gewinnt er einen stetig wachsenden Lebensabstand, der mit einem gewissen Zynismus dem alltäglichen Leben gegenüber gepaart ist. Zwar geht er von Zeit zu Zeit noch ins „Amt“, um auszuhelfen, aber die dortigen Abläufe werden ihm immer fremder und der einst kritisch betrachtete Mitarbeiter immer gleichgültiger. Aus seiner näheren Umgehung weiß – außer seinem Arzt – nur die Haushaltshilfe von seiner Lage, und auf sie übt die Situationen einen fast gespenstischen Eindruck aus. Am Ende des Buches hat sich nach einem Fehlalarm immer noch kein Spender gefunden, und die Zeit läuft.
Ähnlich wie Kafka verzichtet der Autor auf ein geschlossenes Ende, da er eben gerade keine in irgendeiner Weise gültige Aussage treffen will. Das Leiden des Protagonisten wird so zu einem allgemein menschlichen Topos des ewigen Leidens oder des unvermeidlichen Zugehens allen Lebens auf den Tod. Die immanente Hoffnung auf Erlösung und die wiederkehrende Enttäuschung sowie die unvermeidliche Vergänglichkeit spielen das uralte menschliche Spiel, das sich über Jahrtausende nicht geändert hat und auch nicht ändern wird.
Markus Werners Stil besticht durch seine Schnörkellosigkeit, die auf jegliche Empathie verzichtet und die „conditio humana“ lakonisch-distanziert nachzeichnet und bilanziert. Dadurch gewinnt das Buch eine Eindringlichkeit, die bei empathischer Tonlage nicht größer sein könnte, eher kleiner. Das Buch nimmt bis zur letzten Zeile gefangen, obwohl im Grunde genommen nicht viel geschieht.
Das Buch „Bis bald“ ist im Fischer Taschenbuchverlag unter der ISBN 978-3-596-19067-6 erschienen, umfasst 236 Seiten und kostet 18,95 €.
Frank Raudszus
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