Peter Sloterdijk: „Reflexionen eines nicht mehr Unpolitischen“
Reden anlässlich der Verleihung des Börne-Preises 2013
Im Juni 2013 erhielt der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk in der Frankfurter Paulskirche den „Ludwig-Börne-Preis“. Hans Ulrich Gumbrecht, Professor für Literaturwissenschaft an der Stanford University und – gemäß Satzung der Ludwig-Börne-Stiftung – alleiniger Juror des Preises, hatte nicht nur Sloterdijk als Preisträger vorgeschlagen, sondern hielt auch selbst die Laudatio. Der schmale Band enthält diese Laudatio sowie Sloterdijks Antwort darauf.
Gumbrecht bezeichnet Sloterdijk in seiner kurzen Ansprache als Deutschlands führenden „öffentlichen Intellektuellen“, der sich zu den wesentlichen Themen der Zeit pointiert und sachkundig äußert, ohne sich in der Tagesaktualität zu verlieren und am Detail zu kleben. Er attestiert ihm die Fähigkeit nicht nur der eigenen intellektuellen „Wachheit“ sondern auch, eben diese in der Öffentlichkeit zu wecken. Vor den beiden fragwürdigen Tugenden „Idealismus“ und „Moralismus“ hüte er sich, das „Ressentiment“ sei ihm fremd. Ansonsten bewundert Gumbrecht Sloterdijks doppelte literarische Fähigkeit der Kompression – Verdichten von Erkenntnissen in Metaphern und Aphorismen – und der Expansion – die Erweiterung eines Gedankenganges um neue Assoziationen.
Sloterdijk antwortet darauf mit einer Dankesrede, in der er sich gleich zu Beginn als ursprünglichen „Elfenbeinturm“-Philosophen bezeichnet. Schließlich hat er in den siebziger Jahren einige Zeit in Indien verbracht und wäre beinahe dort geblieben. Zwei Ereignisse hätten ihn dann aus seiner meditativen Arbeit herausgerissen, in die Öffentlichkeit zurückgeworfen und zum politischen Autor und Menschen werden lassen. Das eine seien die Diskussionen und teilweise polemischen Angriffe auf seinen Vortrag zum „Menschenpark“ im Jahr 1999 gewesen. Aus ironisch besorgten und fast melancholischen Gedankengängen zu Gegenwart und Zukunft der Gentechnologie hätten seine medialen Gegner ein intellektuelles Schlachtfest gemacht, in dem sie ihn als Eugenik-Verfechter dem Publikum zum Fraß vorgeworfen hätten. Die zweite Erfahrung sei ohne sein Zutun am 11. September 2001 zustande gekommen, ein Datum, das weder Sloterdijk in seiner Rede noch wir in dieser Rezension näher erklären müssen. Die Reaktion der gesamten westlichen Welt, vor allem der USA, hätten ihn gelehrt, alle Ereignisse mit welt- oder nationalpolitischer Bedeutung genau zu beobachten und auf die Reaktionen der Beteiligten und der Nichtbeteiligten einzugehen. Dabei gilt für Sloterdijk stets die Maxime „sine ira et studio“.
Am Ende seiner Rede kommt Sloterdijk auf die bedenkliche Entscheidungsschwäche Europas zu sprechen, die für ihn vor allem angesichts der demographischen, ökonomischen und klimatischen Herausforderungen mehr als nur eine – fast sympathische – Schwäche darstellen.
Man sollte diesen kleinen Band unter anderem an dem „Institut für Sozialforschung“ an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität als Pflichtlektüre auslegen.
Das Buch „Reflexionen eines nicht mehr Unpolitischen“ ist als Sonderdruck in der edition suhrkamp erschienen, umfasst 64 Seiten und kostet 7 .
Frank Raudszus
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