Eine kristalline Lebensgeschichte
Eva Menasse liest beim Rheingau-Literatur-Festival aus ihrem neuen Buch „Quasikristalle“
Im Nachgang zurm sommerlichen Rheingau-Musikfestival bieten die Veranstalter ein zehntägiges literarisches Pendant in ausgewählten Orten des Rheingaus an. Da Lesungen sich nicht für große Säle eignen, finden sie vorrangig in lauschigen Weingütern statt, wegen der herbstlichen Temperaturen im Inneren und nicht auf den Freiflächen. Am 25. September stellte Ruth Fühner, Moderatorin beim Hessischen Rundfunk, im Weingut Hamm in Oestrich-Winkel die österreichische Autorin Eva Menasse vor, die aus ihrem neuen Roman „Quasikristalle“ las.
Eva Menasse (Quelle: Wikipedia)
Das Weingut Hamm liegt mitten im alten Ortskern von Oestrich-Winkel. Im kleinen Innenhof bot der Winzer Getränke und kleine Speisen an, und im knuffigen Gastraum fand anschließend die Lesung statt. Der Raum war bis auf den letzten Platz besetzt, und die weiblichen Gäste bildeten eindeutig die Überzahl. Ob das typisch für alle literarischen Veranstaltungen ist oder ob es an der Autorin und dem Thema ihres Buches lag, bleibt dahingestellt.
Ruth Fühner stellte Eva Menasse mit launigen aber nie aufgesetzten Worten vor. Als erfahrene Moderatorin fand sie das richtige Maß zwischen zu großer Zurückhaltung und Aufdringlichkeit, beides Gefahren bei dem Duo Autor und Moderator. Eva Menasse dankte es ihr mit einem entspannten Auftritt, der durchaus humorige Züge trug. Von Anfang an erzeugten die beiden eine familiäre Atmosphäre, was nicht nur an der gedrängten räumlichen Situation lag.
Eine Rezension des Buches ist hier nicht möglich, da Eva Menasse nur wenige Auszüge aus den dreizehn Kapiteln des Buches vorlas. Doch im Vorgespräch mit Ruth Fühner erläuterte sie Motive und Herangehensweise bei dem Verfassen des Romans. Die erste Frage galt bereits dem Titel. Der bezieht sich auf die Entdeckung eines israelischen Forschers, dass es neben symmetrischen Kristallen auch asymmetrische gibt. Die wissenschaftliche Gemeinde hat diese Entdeckung fast dreißig Jahre lang buchstäblich verlacht – und den Entdecker gleich mit! -, bis sich vor einigen Jahren die Richtigkeit der These ergab und der Forscher den Nobelpreis dafür erhielt.
Ruth Fühner
Doch dieses Forscherschicksal gab nicht den Ausschlag für den Buchtitel, sondern vielmehr die Asymmetrie. Eva Menasse beschreibt in ihrem Buch das Leben einer Frau aus verschiedenen Perspektiven. Sie will damit zeigen, dass eine Person kein symmetrisches Gebilde ist, das sich in alle Richtungen in gleicher Weise präsentiert. Identität ist nie eindeutig sondern abhängig von dem Betrachtungswinkel. Soziale Stellung, die jeweils aktuelle Situation, politische Konstellationen und charakterliche Disposition des jeweils Betrachtenden können sich jeweils entscheidend auf die Beurteilung eines Menschen auswirken. Eva Menasse beschrieb diesen komplexen Sachverhalt anhand eines eigenen Erlebnisses. Als sie in Berlin eine Parkplatzsuche knapp gegen einen Einheimischen gewann, führte dies schnell zu lautstarken gegenseitigen Beschimpfungen, begonnen von dem Gegenüber. Eva Menasse schloss diese Anekdote mit dem lakonischen Satz: Auch diesen Mann liebt jemand!
In ihrem Roman beschreibt sie Ihre Protagonistin unter anderem aus der Perspektive des Vermieters – eines versteckt rechtskonservativen Ingenieurs -, später aus der Sicht der pubertären Stieftochter, die sich den Erziehungsversuchen der Stiefmutter entziehen will. Weitere Blickwinkel folgen, darunter eine aus der eigenen, subjektiven Sicht. Bei diesen Perspektivewechseln durchläuft sie alle Altersstufen bis zum Alter der Autorin. Die fast schon obligatorische Frage nach dem autobiographischen Anteil beantwortete Eva Menasse vorab mit einer Absage. Wenn, dann trage ihre Hauptperson nur nebensächliche Züge von ihr selbst, wenn es sozusagen gerade passe. Dieser Roman sei ausdrücklich kein Versuch, sich eigene Befindlichkeiten von der Seele zu schreiben.
Das hinderte sie jedoch nicht, ein fulminantes Kapitel über die Benachteiligung der Frau in der Partnerschaft zu schreiben und mit entsprechender Verve vorzutragen. Nach dieser – vor allem von den Frauen beklatschten – Feststellung können sich Männer auch im vorgerückten Alter noch jüngere Partnerinnen nehmen, während das für Frauen nicht gilt, und die gleichgeschlechtliche Lösung hat – Originalton Roman – stets „den Geschmack einer Niederlage“.
Fragen aus dem Publikum waren an diesem Abend nicht vorgesehen bzw. wurden nicht gestellt. Stattdessen signierte die Autorin anschließend Bücher für ihre Zuhörerinnen und vertiefte sich in Einzelgespräche.
Frank Raudszus
No comments yet.