Satirische Erzählungen um einen fiktiven Heimatort in Bayern
Titel und Umschlagbild dieses Buches suggerieren eine Reihe komödiantischer Geschichte mit satirischem Einschlag. Doch der heiter-satirische Blick auf die Umgebung weitet sich bald zu einer durchaus tiefer reichenden psychologischen und gesellschaftlicheh Rückschau auf ein halbes Jahrhundert Deutschland.
Südlich Wien liegt der beschauliche kleine Ort Gumpoldskirchen. Zumindest den Namen dieses Fleckens hat Bruno Jonas sich als Vorbild für seinen fiktiven Ort Humboldskirchen gewählt, der allerdings irgendwo in Bayern liegt; wahrscheinlich in der Nähe von Passau, wo auch Jonas laut Fotostrecke seiner Jugend auf seiner Webseite herkommt. Niederbayern also: das ist für viele Nordlichter und sonstige (linke) Preußen schon „per se“ satirisch, liegen doch Vilshofen und ähnliche Ortschaften nicht weit. Doch Bruno Jonas hat sein Humboldskirchen nicht eindeutig lokalisiert, und so kann auch niemand sagen, er sei ja nicht gemeint.
Die meisten Geschichten spielen in diesem kleinen Ort und drehen sich zumeist um die Familie eines Metzgermeisters, den der Krieg aus Ostpreußen hierhin verschlagen hat, der dort eine Einheimische geheirtatet und mit ihr drei Sühne bekommen und großgezogen hat. Das Leben dieses alten Ehepaares beschreibt Jonas in zwei exemplarischen Rückschauen, und zwar als innere Monologe der beiden Protagonisten in hohem Alter, als die Söhne längst in Lohn und Brot stehen. Die alte Mutter sitzt allein zu Hause, nachdem den „Papa“ letzte Weihnachten beim Bier in der Gastwirtschaft urplötzlich ein Herzinfarkt dahingerafft hat. Nun wartet sie auf ihren Sohn, der sie abholen soll, versteht jedoch nicht mehr so recht, warum das Auot nicht in der Garage steht und „der Josef“ nicht kommt. Im Stillen, als „stream of consciousness“, denkt sie über ihr Leben nach. Hier hat sich Jonas offensichtlich Anregungen bei James Joyce geholt. Die Mutter gehört zur Kriegsgeneration und hat Zeit ihres Lebens nur harte Arbeit gekannt. Der „Papa“ hat hinten in der Metzgerei das Fleisch zurechtgehauen, und sie hat vorne verkauft, von sieben in der Früh bis in den Abend. Dann sind sie todmüde ins Bett gefallen. Die Söhne wollten keine Metzger oder Handwerker werden sondern strebten nach Höherem. Der Friedrich ist sogar „Professor“ geworden und verdient sein Geld mit Reden. Kopfschütteln und Unverständnis dieser modernen Zeit gegenüber, in der keine echten Werte mehr gelten.
Ähnlich lautet der letzte innere Monolog des „Papas“ zwei Monate vor seinem Tod, als er schon einmal sterben wolltem, was ihm aber nicht gelang. Er ist das genaue männliche Gegenstück zu seiner Frau, hat sich sein Leben lang in der Metzgerei den Buckel krumm geschafft und versteht seine Söhne nicht, die in der Stadt feine Bürostellen anstreben. Sein politisches Weltbild ist ebenfalls übersichtlich: es war noch nie falsch, die CSU zu wählen. Man kennt sich, und eine Hand wäscht die andere.
Diese beiden Geschichten sind sozusagen der „Kern“ des Buches und von Humboldskirchen. Sie stehen für den Typ des bodenständischen niederbayrischen Dorf- und Kleinstadtbewohners mit protestantischer Arbeitsethik und katholischem Lebenshintergrund. Bruno Jonas schildert das sehr treffend und pointiert, jedoch ohne jegliche Häme oder Dünkel. Er erkennt die Lebenstüchtigkeit und die Selbstgenügsamkeit dieser Generation an und erweist ihr zwischen den Zeilen der durchaus satirisch anmutenden Monologe so etwas wie Ehrerbietung.
Darum herum postiert er weitere typische Mitglieder dieser ländlichen Bevölkerung. Da ist der Landtagsabgeordnete der CSU und ehemalige Lehrer, promoviert, habilitiert und so ehrgeizig wie selbstbewusst, der am Wahlabend zu seinem Entsetzen feststellen muss, dass er sein Mandat verloren hat. In einem weiteren Monolog stellt Jonas dar, wie so ein Karrierist mit dem unerwarteten Verlust der Macht und des besonderen Status umgeht; wie er versucht, mit den üblichen Floskeln das Gesicht zu wahren und innerlich doch wütet.
Eine fast kabarettistische Einlage gelingt Jonas mit dem Monolog des griechischen Tavernen-Besitzers, der seine Gastwirtschaft wegen mangelnder Rendite und einer Erbschaft in Griechenland aufgibt, auf seine Insel zurückkehrt, dort alles nach deutschem Vorbild umkrempelt, von Erfolg zu Erfolg eilt, bis….. aber lesen Sie selber.
Andere Geschichte handeln von den seltsamen Insassen eines Altersheims für Demente, für die Mord und Totschlag zum Leben gehören, von einem unberhofften Lottogewinn für einen kleinen, die kleinbürgerliche Enge gewohnten Busfahrer oder von einem überpeniblen Steuerprüfer, der es sich hoch anrechnet, einem großen Operntenor einmal gezeigt zu haben, wo Bartel den Most holt, obwohl das Gericht leider ein Fehlurteil gefällt hat….
Alle diese Geschichten verweisen zumindest kurz auf die in den anderen Geschichten erwähnten Personen oder den Ort Humboldskirchen, so dass sich so etwas wie ein „Psychogramm“ dieses Ortes ergibt. Nur die erste und letzte Geschichte fallen aus diesem Rahmen und bilden somit einen eigenen. In der ersten Erzählung wird ein zynischer Boulevardreporter, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Prominente mit anscheinend besonders weißer Weste durch Unterstellungen und Gerüchten zu „entlarven“, plötzlich mit zwei seiner Opfern auf eine Weise konfrontiert, gegen die er sich nicht wehren kann. Diese Erzählung ist vom Ansatz her durchaus originell und satirisch, leidet jedoch ein wenig unter dem plötzlichen Schwenk ins Allzupositive.
Am Schluss steht dann wieder ein Nicht-Humboldskirchener, nämlich ein ehemaliger Bankvorstand, der wegen Korruption in Untersuchungshaft sitzt und einem Pfarrer larmoyant von seinen Verfehlungen erzählt. Natürlich sei er schwach geworden, aber wer wäre das nicht…? Jonas nimmt hier die Ereignisse um die Bayern-LB und andere konkrete Korruptionsfälle auf und analysiert in dem Monolog die verbogene Psyche dieses ehemaligen Erfolgsmenschen, der sich bereits in einer Parallelwelt mit anderen Regeln wähnte.
Bruno Jonas beweist in diesem Buch seine Fähigkeit, sich einem Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu nähern. Der Ansatz, sich in die Personen hineinzuversetzen und sozusagen aus deren Herz und Hirn heraus zu erzählen, verleiht den Geschichten Glaubwürdigkeit und Echtheit. Darüber hinaus sagen diese Erzählungen auch viel über die jüngere Geschichte und den Zustand der deutschen Gesellschaft aus.
Das Buch „Bis zum Hals“ ist im Blessing-Verlag unter der ISBN 978-3-89667-370-1 erschienen, umfasst 240 Seiten und kostet 17,95 .
Frank Raudszus
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