Das Darmstädter „Westside Theatre“ inszeniert Dario Fos satirische Komödie „Bezahlt wird nicht“.
Der italienische Autor Dario Fo – Jahrgang 1929 – hat sich in der italienischen Literatur- und Theaterlandschaft als treffsicherer Gesellschaftskritiker mit einer gehörigen Portion satirischen Humors etabliert. Langjährige Gegner und Zielscheiben seines Spottes sind neben Silvio Berlusconi andere Vertreter von Politik und Behörden sowie der Wirtschaft. Seine Stücke siedelt er gerne im Milieu der einfachen Leute an, und er benutzt ausgiebig die Mittel der Farce und der Satire, um die Zuschauer über das Lachen an die Kritik der Verhältnisse heranzuführen.
Die Farce „Bezahlt wird nicht“ entstand im Jahr 1975, als Sozialismus und sogar Kommunismus noch als echte Alternative zur westlichen freien Marktwirtschaft galten. Daher wird hier auch noch eine anarchistische Vision gefeiert, in der die Volksmassen allen Institutionen bis hin zu den Gewerkschaften und sogar der kommunistischen Partei die Gefolgschaft versagen und die Dinge selbst in die Hand nahmen. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass selbst die italienische KP ihre Taktik an der Machtfrage ausrichtete und nicht in erster Linie das Ziel verfolgte, die aktuelle Lage der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern.
Die Handlung ist bewusst einfach und erinnert in ihrer demonstrativen Skandalisierung der sozialen Verhältnisse und dem kaum kaschierten Aufruf zu Widerstand und Subversion an Bertolt Brecht. Giovanni arbeitet als Arbeiter in einer Fabrik, ist treuer KP-Anhänger und lehnt jeden Widerstand gegen Recht und Gesetz ab, da Parlament, Gewerkschaften und die Partei – in dieser Reihenfolge – für die Belange der arbeitenden Bevölkerung zuständig seien. Seine Frau Antonia sieht das ganz anders, da sie mit dem knappen Geld Miete, Heizung, Gas, Strom und auch das Essen bezahlen muss. Als die Hausfrauen bei einer kräftigen Preiserhöhung des Supermarkts aufbegehren und die Waren unbezahlt mit nach Hause nehmen, beteiligt sie sich daran und schleppt alles nach Hause, was sie ergattern kann. Zu Hause versteckt sie einen Teil davon unter dem Bett, den Rest schenkt sie ihrer Freundin Margherita, die mit Giovannis Arbeitskollegen Luigi verheiratet ist. Da die Polizei bereits nach den Hausfrauen fahndet, versteckt Margherita die Waren unter dem Kleid. Als sich der nach Hause kommende Giovanni über Margheritas dicken Bauch wundert, erfindet Antonia eine plötzlich aufgetretene Schwangerschaft, da sie seine Wut über die illegale Aktion fürchtet.
Doch die Notlüge verselbständigt sich in einem Maße, das den beiden Frauen gar nicht mehr recht sein kann. Giovanni macht sich nicht nur Sorgen über diese Blitz-Schwangerschaft, sondern meint auch, Luigi darauf vorbereiten zu müssen. Außerdem kommen Polizisten ins Haus, die alle Wohnungen nach dem erwähnten Diebesgut durchsuchen sollen. Einer davon erweist sich im Gespräch mit Giovanni nach einigen Gläschen Wein als überzeugter Linker, der den Polizistenjob nur ungern ausübt, der andere – vom selben Schauspieler gespielt – ist ein strammer Carabiniere, der die Interessen der Herrschenden rückhaltlos durchsetzt. Um eine Hausdurchsuchung durch letzteren zu verhindern, spinnt Antonia das Garn der Schwangerschaft bei Margherita bis zu einer drohenden Frühgeburt weiter, so dass der Carabiniere die beiden zur nächsten Sanitätsstation bringt.
Inzwischen hat Giovanni sein Damaskuserlebnis, als er anhand eines LKW-Unfalls von Luigi erfährt, dass die Unternehmer die Lebensmittel abtransportieren, um die Preise in die Höhe zu treiben. Spontan greift er zusammen mit Luigi bei den herumliegenden Lebensmittelsäcken zu, und beide können sich gerade noch der Verfolgung durch den bereits bekannten Carabiniere entziehen.
Die Geschichte treibt einem grotesken Höhepunkt mit vermeintlichen Leichen, Straßenaufständen und Schüssen der Polizei entgegen, ehe sich alles auflöst, alle ihre vermeintlichen Untaten und Notlügen beichten und sich schließlich in einstimmiger Revoluzzerlaune in die Arme fallen. Bei einem wahren „Abendmahl“ mit Wein und Brot feiern sie die Vision freier Bürger, die ihr Brot in Frieden und Wohlstand essen können, bis sie irgendwann einmal als freie und glückliche Menschen sterben.
Wenn auch das Stück derzeit nicht unbedingt in die deutsche Wirtschaftslandschaft mit Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel passt, so spiegelt es doch andererseits die Zustände in anderen Ländern – auch Italien(!) – und ist damit grundsätzlich immer noch aktuell. Die holzschnittartige, fast anarchistische Zuspitzung von Problem und Lösung dient weniger als Passepartout und politische Handlungsanweisung sondern eher als Weckruf an ängstliche oder resignierte Gemüter, die unter solchen Verhältnissen leiden. Gründer, Schauspieler und Regisseur Peter H. Jährling vom Westside Theatre hat das Stück nicht zuletzt wegen seiner Eignung für ein kleines Theater und vor allem wegen seiner umwerfenden Komik ausgewählt. Denn Dario Fo schafft es, auch desaströse gesellschaftliche Verhältnisse nicht mit dem verkniffenen Blick des Ideologen sondern mit dem ungläubigen Staunen des Komikers auf die Bühne zu bringen. Selbst der elementare Hunger mangels Lebensmittel wird hier zum Anlass des Lachens, wenn etwa Luigi unwissentlich das Hundefutter mit großem Appetit verspeist und Giovanni damit an den Rand des Brechreizes bringt; oder wenn die soziale Katastrophe der Abstellung von Gas und Strom zur vermeintlicher Blindheit und deren wunderbaren Heilung führt.
Mit den geringsten Mitteln hat das kleine Team um Peter und Marijke Jährling eine einfache Wohnung einschließlich Wäscheleine, Kochgelegenheit, Tisch, Bett und Spanischer Wand auf die Bühne gestellt. Man kann sich gut vorstellen, dass hier so mancher sein Brot unter Tränen isst. Die freie Bühnenfläche vor dieser Prekariatsidylle dient als öffentlicher Raum, auf dem Protagonisten und Polizisten aufeinandertreffen und um die Wette laufen. Das um zwei Nebenfiguren gekürzte Stück kommt mit fünf Darstellern aus. Peter Jährling spielt selbst den grundehrlichen Giovanni mit kariertem Hemd und Schiebermütze, der sich im Laufe von zwei Stunden vom braven Bürger zum Widerständler wandelt. Marijke Jährling spielt eine so resolute wie gewitzte Antonia, die stets einen Ausweg aus einer scheinbar hoffnungslosen Situation findet und ihren Giovanni trotz anderer Behauptungen jederzeit im Griff hat. Annika Zaich geht ganz in der Rolle der scheinschwangeren Margherita auf, und Nima Conradt gibt einen zwar gutherzigen Ehemann Luigi, der aber die unhaltbaren Verhältnissen klarsichtig erkannt hat und daraus seine Konsequenzen zieht. Thomas Rausch schließlich hat als Darsteller den größten Stress zu bewältigen, da er sich mehrere Male vom Streifenpolizisten in den Carabiniere und umgekehrt verwandeln und damit nicht nur das Kostüm sondern auch das Gebaren wechseln muss.
Das Ganze ist mit Tempo und Witz auf die Bühne gebracht, und vor allem Peter Jährling weiß die Pointen wohl zu setzen. Hier erkennt man den alten Schauspielhasen, der ein untrügliches Gespür für das richtige Timing hat. Diese Inszenierung ist nicht nur witzig und unterhaltsam, sie verweist dabei auch auf soziale Verhältnisse, wie man sie – vielleicht nicht bei uns und nicht heute – vielerorts noch antrifft und die einer dringenden Lösung bedürfen. Das Gefühl dafür geweckt zu haben und dabei unterhalten zu haben ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg.
Weitere Vorstellungen finden am 28./29. März und am 18./19. April statt. Näheres ist auf der Webseite des Westside Theatres zu erfahren.
Frank Raudszus
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