Iris Wolff erzählt in ihrem Roman „Lichtungen“, wie sich das Aufwachsen in Rumänien in Zeiten der Diktatur anfühlte, die wie zäher Schleim auf den Menschen lastete. Wir begegnen den beiden Protagonisten Lev und Kato als jungen Erwachsenen und verfolgen im Rückblick Kapitel für Kapitel ihren Weg zurück in ihre siebenbürgische Kindheit.
Kato wächst bei ihrem alleinerziehenden Vater auf, da ihre Mutter früh verstorben ist. Die beiden leben abseits vom Dorf und haben mit den Dorfbewohnern nicht viel zu tun. Als Außenseiterin wird Kato in ihrer Schulklasse ausgegrenzt, und dennoch meistert sie diese schwierige Situation auf bewundernswerte Weise. Sie ist die beste Schülerin und eine begabte Zeichnerin.
Ihr Klassenkamerad Lev wächst mit drei Halbgeschwistern bei der Mutter und ohne Vater auf. Er ist sensibel, hält sich aus allen Konflikten heraus und wird in der Schule teilweise so übel gemobbt, dass er nicht mehr zum Unterricht gehen möchte. Seine Mutter schickt ihn dann mit seinen großen Brüdern zu einer Waldarbeitergruppe. Dort ist er der Jüngste und Zarteste, und wenn ihn sein Vorgesetzter nicht unter seine Fittiche würde, würde er nicht lebend nach Hause zurückkehren.
Im Laufe des Romans begegnen sich Lev und Kato immer wieder. Sie kommen sich näher und driften wieder auseinander, bis sie als junge Erwachsene vielleicht zueinander finden. Iris Wolff lässt diesbezüglich das Ende offen. Der Roman beschäftigt sich intensiv mit der Gefühlswelt der beiden Jugendlichen im Vielvölkerstaat Rumänien unter Ceausescu. Die Unterdrückung ist in den Familien deutlich spürbar. Man passt sich an, will nicht auffallen, und es findet kaum Kommunikation statt. So ist Lev mit seinen Gedanken und beim Erwachsenwerden meistens alleingelassen. Berührend ist die Schilderung, wie Lev aufgrund eines Traumas in Bewegungslosigkeit verharrt. Hier ist es Kato, die den Jungen mit ihrer Behutsamkeit und Fürsorge aus der Erstarrung löst.
Als sich Rumänien schließlich aus der Diktatur befreit, ist es Kato, die schnell das Land verlässt und neugierig zu neuen Ufern aufbricht. Lev, anfangs noch zögerlich, folgt ihr später nach.
Iris Wolffs Roman lebt von der feinsinnigen Beobachtung der Menschen und von der fast poetischen Beschreibung der Landschaft. Seelenwelt und Natur finden hier zueinander.
Das Buch ist im Verlag Klett-Cotta erschienen, umfasst 256 Seiten und kostet 24 Euro.
Barbara Raudszus
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