Lust an den Tasten

Print Friendly, PDF & Email

Für das 4. Kammerkonzert der Saison hatte das Staatstheater Darmstadt die noch junge Pianistin Elisabeth Brauß eingeladen. Wer sie bisher nicht kannte, sollte das schleunigst nachholen, denn sie ist einer der aufgehenden Sterne, die schon in jungen Jahren zu pianistischen Ehren kommen, wie ihr Lehrer Igor Levit. Allein die Tatsache, dass dieser Ausnahmepianist sie als Meisterschülerin aufnahm, ist bereits ein Gütesiegel.

Elisabeth Brauß hatte sich für diesen Abend in der Darmstädter Orangerie ein anspruchsvolles und stilistisch weitgefächertes Programm vorgenommen. Nach Franz Schuberts – spätklassischer oder frühromantischer – Klaviersonate in A-Dur D664 erklangen Sergej Prokofjews „Zehn Klavierstücke op. 12“ sowie Robert Schumanns „Carnaval“, op. 9. Frau Brauß begab sich an diesem Abend also auf eine bogenförmige Reise von der späten Klassik über die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts zurück zur Romantik und zitierte dabei nebenher hundert Jahre Musikgeschichte.

Die Pianistin Elisabeth Brauß

Schuberts „kleine“ A-Dur-Sonate entstand im Jahre 1819 auf einer der seltenen glücklichen Ausflüge in die weitere Umgebung Wiens und verströmt die Erleichterung und Freude über schöne Tage im Kreis guter Freunde und Bekannter. Schon die ersten Takte nahm die Solistin mit lebhaftem, fast heiterem Ausdruck. Keine Schubert´sche Wehmut und Abschiedsstimmung, sondern eher Aufbruch. Der erste Satz trägt streckenweise tänzerische Züge, entwickelt jedoch auch – vor allem in den aufsteigenden Oktavketten – Vorwärtsdrang und Durchsetzungskraft. Die linke Hand betonte mehr als einmal die tiefen Lagen, die wie eine Botschaft aus dem Unterbewusstsein nach oben drängten. Im zweiten Satz fielen vor allem die Innigkeit und der zarte Anschlag auf, während der dritte Satz durch seine stürmische Ausgelassenheit bestach. Dabei zeichnete sich Elisabeth Brauß´ Spiel immer wieder durch einen leichten fast zarten Anschlag aus, der auch in den Forte-Passage nie zur Härte geriet. Man merkte schon bei diesem ersten Stück des Abends, dass hier eine Pianistin am Werk war, die aus reiner musikalischer Lust spielt und nicht in erster Linie aus Ehrgeiz oder Arbeitsethos. Auch wenn es ohne letztere nicht geht, spürte man hier nur die Lust am Spiel.

Prokofjews „Zehn Klavierstücke“ stellen eine Sammlung kurzer Stücke unterschiedlichster Ausdrucksart Art. Die einzelnen Sätze tragen Bezeichnungen des Frühbarocks wie „Gavotte“, „Rigaudon“ oder „Allemande“, sind aber mit ihren frühen Namensvettern nicht zu vergleichen. Eher zitiert diese moderne Version die alten Tänze nur und verleiht ihnen eine neue Ausdruckskraft aus der Sicht des 20. Jahrhunderts. Das Ganze verlässt weitgehend die tonale Landschaft der Romantik, ohne deshalb atonal zu werden. Wie in der Moderne üblich, übernimmt die Rhythmik die Führungsrolle von der Melodik. Nicht mehr das schöne Lied steht im Vordergrund, sondern scharfe rhythmische und harmonische Kontraste. Hier musste Elisabeth Brauß ganz andere Register ziehen, wobei der zarte Anschlag nur an wenigen Stellen Anwendung fand. Sie zeigte in ihrer Interpretation, dass sie auch das „harte“ Metier beherrscht und eben auch diesen Stücken ihre Qualitäten entlocken kann. Immer wieder schimmerte der sarkastische Humor des musikalischen „enfant terrible“ Prokofjew durch die Interpretation der Solistin, und man war bei diesem „Potpourri“ musikalischer Charaktere gespannt, was sie aus der Titelvorlage des jeweils nächsten machen würde. Nach dem „Vivacissimo“ des letzten Scherzos wusste man, dass diese junge Frau alles spielen kann, nicht zuletzt, weil es ihr Spaß bereitet.

Nach der Pause kam dann Robert Schumanns „Carnaval“ zu Gehör, der ebenfalls aus einer einer Reihe von kurzen Charakterstücken besteht. Vorher hielt Elisabeth Brauß jedoch eine kleine Ansprache ans Publikum, in der sie das folgende Stück in freier Rede vorstellte und auch mit allgemeinen Anmerkungen über die Musik und das Leben nicht geizte.

In programmatischer Manier hat Schumann den einzelnen Stücken aussagekräftige Namen wie „Pierrot“ und „Arlequin“, „Eusebius“ und „Florestan“ – Schumanns beide gegensätzlichen Charakterseiten -, „Chopin“ und „Paganini“ oder „Chiarina“ und „Estrella“ – seine beiden weiblichen Angebeteten – verliehen. Und in jedem dieser Charakterstücke beschreibt er die jeweilige Person satirisch, ironisch, liebevoll oder ehrerbietig. Natürlich werden seine Komponistenkollegen stilistisch zitiert, und bei seinen Frauen lässt er eher weiche Emotionen spielen. Musikalisch ausgefallen ist dabei die Komposition „ASCH – SCHA“, die mit den Buchstaben spielt, die gleichzeitig Noten darstellen („S“ = „Es“) und auch in Schumanns Namen vorkommen. Die völlig unterschiedlichen Aussagen der einzelnen Stücke erfordern von der Pianistin eine permanente Anpassung an die jeweils sich ändernde Grundstimmung – Bewunderung, Witz, Liebe -, um jedem einzelnen Stück gerecht zu werden. Ihre eigene Spielfreude half Elisabeth Brauß dabei erheblich, und man konnte ihrer Mimik und Körpersprache deutlich entnehmen, wie sie sich förmlich in die einzelnen Musikstücken hineinlebte, um ihnen in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Schumanns Eigenart, statt die Verarbeitung eines Eingangsthemas die Vielfalt von Eindrücken und Empfindungen in den Mittelpunkt zu rücken, stellte dabei eine nicht geringe Herausforderung dar. Elisabeth Brauß meisterte diese ebenso souverän wie überzeugend, wobei ihr natürlich auch ihre perfekte Technik zur Hilfe kam. Aber die ist bei Pianisten dieser Klasse heute ja schon selbstverständlich. Wir werden sicher noch viel von Elisabeth Brauß hören – im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Publikum war begeistert und erklatschte sich noch Schumanns „Abschied“ als Zugabe.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar