„Der Tod aus Liebesnot“

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Dass Liebe und Tod Geschwister sind, ist eine der Literatur wohl bekannte Erkenntnis – dem praktischen bürgerlichen Leben gottlob weniger. Und von Shakespeares „Romeo und Julia“ bis zu Richard Wagners „Tristan und Isolde“ spannt sich ein über vierhundertjähriger Bogen zu diesem Thema. Bei letzterem hat bekanntlich die unerfüllte Liebe zu der Bankiersfrau Mathilde Wesendonck maßgeblich zur Entstehung dieses Musikwerks – darf man sagen „Oper“? – beigetragen. Wie bei all seinen Musikdramen hat Wagner auch hier als selbsterklärter Universalkünstler – und in seinen eigenen Augen überstieg bekanntlich das dichterische Talent das musikalische – sowohl Text als auch Musik erarbeitet, ersteren aus alten Sagen des 12. Jahrhunderts. Wagner reduziert jedoch diese durchaus handlungsreiche Legende auf ihren eigentlichen Kern: die Liebe als lebenssprengende Urgewalt, die sich nur im Tode realisieren lässt und damit eindeutig transzendentalen, ja religiösen Charakter annimmt.

Susan Owen (v.) und Michaela Schuster

Darf man beim „Tristan“ von Handlung sprechen? Wagner tut es, aber mehr im übertragenen Sinne. Isolde liebt Tristan, der für seinen König Marke um sie freien soll. Aus Rache über seine der Ehre geschuldeten Abweisung plant sie, mit einem als Sühnetrunk kaschierten Todestrunk gemeinsam mit ihm aus dem Leben zu gehen, greift jedoch irrtümlich zu dem für das Brautpaar vorgesehenen Liebestrunk. Umgehend erkennen beide ihre vorbestimmte Liebe füreinander. Doch Neid und Intrige entdecken diesen Umstand dem eigentlichen Bräutigam Marke, der die beiden in einer unvorsichtig genossenen Liebesnacht überrascht.

Tristan wird schwer verwundet und siecht in seinem Schloss dahin. Im Fieberwahn träumt er von Isoldes Liebe, und als er sie kommen zu hören vermeint, reißt er sich die alten Wunden auf – auch dies metaphorisch? –, und die nun tatsächlich eintreffende Isolde kann nur noch seinen Tod beweinen. Auch der spät im Sinne Sarastros bekehrte Marke kommt zu spät und sieht nur noch Tote um sich herum.

Das Sterben auch der Getreuen und Gegner Tristans in einem dramaturgisch eher dünn begründeten Kampf – warum lässt man den angeblich besänftigten König Marke nicht kampflos zum sterbenden Tristan? – überhöht nur die schicksalhafte Tragik des Sterbens einer unmöglichen Liebe.

Doch die Ächtung einer gesellschaftlichen „Mesalliance“ spielt bei Wagner nur eine untergeordnete Rolle, wenn auch der Wesendonck-„Skandal“ darauf schließen lässt. Längst hat Wagner das Thema überhöht zum unauflöslichen Gegensatz von Liebe und (Alltags-)Leben. Liebe heißt Sehnsucht, und Erfüllung gebiert neue Sehnsucht, die sich schließlich nur im Tod auflösen lässt. Doch, obwohl gerade der gemeinsame Tod Ziel und logischer Schlusspunkt der absoluten Liebe ist, überlebt Isolde das Gemetzel. Warum? Vielleicht um Mathilde Wesendonck zu schonen, nachdem bereits die Spatzen die Geschichte von den Dächern pfiffen?

Wie dem auch sei, für den Zuschauer ergibt sich im Gegensatz zu „Romeo und Julia“ und „Hamlet“ die tröstliche Erkenntnis, dass doch noch jemand am Leben bleibt……

Susan Owen (v.) und Michaela Schuster

Diese Handlung könnte man im Sinne des klassischen Dramas in Dialoge und entsprechend zugespitzte Szenen umsetzen, doch das hätte Wagners Zielrichtung nicht entsprochen. Er verlegt die Handlung weitgehend in innere Monologe der Protagonisten. Selbst die Herleitung bestimmter Handlungsmotive kommt aus diesen Erzählungen und nicht aus den berühmten Botenberichten oder Effekt heischenden Szenen. Dadurch entfällt auch weitgehend der Bedarf an Rezitativen, und die Darsteller müssen quasi permanent diese inneren Monologe in Gesang umsetzen. Da Intensität des Ausdrucks die äußerliche Handlung ersetzen muss, stellt dies höchste Anforderungen an Konzentration und Kondition der Sänger. Dass sie auch über das entsprechende Stimmvolumen verfügen müssen, versteht sich von selbst. So dienen denn auch die zwei halbstündigen Pausen während der über fünf Stunden währenden Aufführung weniger zum Essen und Trinken für die Zuschauer als der Erholung der Akteure. Die Musik Wagners nimmt die Vorgabe eines inneren, nahezu modern-psychologisierenden Handlungsgangs auf und setzt sie in sinfonischer Weise um.

Das Orchester dient nicht zur Begleitung oder gar Untermalung „schöner“ Stimmen, sondern tritt als eigener Interpretationskörper neben die Akteure auf der Bühne. Dabei werden die einzelnen Instrumentengruppen gezielt zur Darstellung der emotionalen Abläufe eingesetzt. Das „Tutti“ tritt oft gegen intensiv ausgeführte Motive der Bläser oder Streicher in den Hintergrund. Dabei spielen immer wieder der weiche Ton der Klarinette oder der mal schrille Diskant, mal die hauchzart verklingenden hohen Lagen der Violinen eine Rolle. Klar von einander getrennte Motive wie noch bei Mozart-Opern gibt es hier kaum, sieht man einmal von dem durchgängig auftretenden „Sehnsuchts“-Motiv ab. Die Musik folgt der emotionalen Situation der Personen bis in die feinste Verästelung und steigert ihre Intensität bis zum verlöschenden Ausklang im Todesmotiv.

Den Ausführenden muss man angesichts der physischen und psychischen Leitung das höchste Lob zollen. Susan Owen als Isolde glänzt mit einem in allen Lagen kraftvollen und raumfüllenden Stimmvolumen. Die Interpretation durchläuft überzeugend alle Stufen vom vermeintlichen Hass am Anfang über den plötzlichen Umschwung der Liebeserkenntnis bis zur innig-seligen Verschmelzung der Liebesnacht im zweiten Akt. Zum Schluss brilliert sie mit einer beeindruckenden Abschlussarie, wenn man es denn so nennen darf, die fast schon konzertanten Charakter aufweist.

Raimo Sirkiä als Tristan steht ihr kaum nach, obwohl er es zeitweise gegen das Orchester schwer hat. Die tieferen Frequenzen der Männerstimmen haben bekanntlich weniger Durchdringungskraft als die hohen Stimmlagen. Auch er jedoch gestaltet den emotionell extremen Part absoluter Liebeserfahrung und innerer Zerrissenheit so überzeugend, dass die eher gesetzte äußere Erscheinung des Liebespaares mit zunehmender Spieldauer vollständig in den Hintergrund tritt.

Anton Keremidtchiev zeigt wieder einmal seine Wandelbarkeit. Nicht nur stimmlich wie gewohnt sicher und präsent, verleiht er auch durch seine betonte, aber nicht über Gebühr forcierte Darstellung von Tristans Gefolgsmann Kurwenal dieser Figur eigene Kontur. Dies entlastet ein wenig das zentrale Paar und verleiht der gesamten Inszenierung etwas mehr darstellerische Breite. Das Gleiche gilt für Michaela Schuster als Brangäne. Obwohl dramaturgisch nicht vielmehr als Stichwortgeberin, wird Isoldes Vertraute dank der auch darstellerisch überzeugenden Leistung zu einer weiteren tragenden Figur und ergänzt Kurwenal auf weiblicher Seite. Die Inszenierung Meyer-Oertel verleiht diesen beiden Figuren ein Gewicht, das sie dicht an die beiden Protagonisten heranführt.

Bleibt von den tragenden Rollen noch Peter Klaveness als König Marke zu nennen, der es trotz überzeugender gesanglicher Leistung schwer hat, sich mit seiner zurückhaltenden Würde – fast Steifheit – gegen die Protagonisten zu behaupten. Als im Prinzip einzig konfliktfreie Rolle – schließlich ist er der Betrogene – kann er keine tragische Dimension erreichen.

Das Orchester erlebte in dieser letzten großen Opern-Inszenierung unter ihrem scheidenden Dirigenten Marc Albrecht eine Sternstunde. Wohl selten hat man das Ensemble so exakt und gleichzeitig so sensibel und – bei Bedarf – so zupackend erlebt, und wir haben schon einige hervorragende Aufführungen dieses Orchesters erlebt.

Besonders eindrucksvoll – um nur einige Beispiele zu nennen, das Vorspiel, die Zwischenspiele und die Schluss-Szene mit dem Solo-Auftritt von Susan Owen. Zu Recht erhielt das Orchester diesmal den größten Beifall und die meisten „Bravos“, Grund genug, entgegen üblicher Gepflogenheiten zum Schlussapplaus das gesamte Orchester auf die Bühne zu rufen. Von den Sängern erhielten erwartungsgemäß die beiden Hauptdarsteller den stärksten, ebenfalls mit „Bravos“ durchsetzten Beifall, dicht gefolgt von Michaela Schuster, Anton Keremedtchiev und und Peter Klaveness. Die einzigen – vereinzelten – „Buhs“ galten diesmal dem Regie-Team unter Friedrich Meyer-Oertel. Grund war wahrscheinlich das karge Bühnenbild aus konisch im Hintergrund zusammenlaufenden Seitenwänden, zwei eher als Alibi dienenden Möbelstücken im Vordergrund und einem mystisch wallenden Vorhang. Durch diesen mussten sich im ersten Akt Tristan und Kurwenal in den Bühnenvordergrund wie durch den Schleier der Erinnerung kämpfen, aus dem sich die Vorgeschichte der Ereignisse herauskristallisiert.

Die Farbe des Bühnenbilds versinnbildlicht die Situation auf der Bühne. Im ersten Akt nehmen die Wände Leichenblässe an, um sich nach dem Liebestrunk plötzlich in einem Akt der Bewusstseinserweiterung zu weiten und mit warmen Farben zu beleben. Die Liebesnacht des zweiten Aktes glüht in satt roten und grünen Farben, während der dritte Akt im kalkigen Weiß eines Sterbezimmers erstarrt. Diese Bühnenkonzeption kann man durchaus als schlüssig und konsequent betrachten, wenn es auch dem optischen Bedürfnis so mancher altgedienter Opernbesucher nicht zu entsprechen schien.

Frank Raudszus

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