Richard Wagners „Tristan und Isolde“ lief vor zehn Jahren zum letzten Mal im Staatstheater Darmstadt, damals unter der Regie von John Dew, weshalb wir bezüglich der Handlung auf unsere damalige Rezension verweisen. Nun hat Eva-Maria Höckmayer diese Ikone der Wagner´schen Opernwelt erneut auf die Bühne des großen Hauses gebracht und, um es gleich zu sagen, mit ihrer fünfstündigen Inszenierung das Premierenpublikum zu begeistertem Schlussapplaus veranlasst.
Der Vorhang öffnet sich bereits zum Vorspiel, und auf der Bühne steht allein die Sopranistin Magdalena Anna Hofmann als Isolde und lässt in einer Vorahnung des Folgenden die intensiven Klangmalereien des Orchesters stoisch über sich ergehen. Im Hintergrund der offenen Bühne unterlegt eine Gruppe des Tanztheaters die Musik aus dem Graben mit sparsamen Gesten und Bewegungen, die das Liebesthema dieser Oper pantomimisch andeuten. Wellenartige, an langen Seilen bewegte Elemente stellen metaphorisch das Meer dar. Gegen Ende des Vorspiels erscheint Heiko Börner alias Tristan und nimmt in einer symbolischen Geste Isoldes Jacke an sich.
Die Regisseurin zeigt damit bereits bei den ersten Tönen auch optisch, wohin ihre Regiereise geht. Das Bühnenbild von Fabian Liszt ist geradezu puristisch angelegt. Für den ersten Aufzug, der auf der Seefahrt von Irland nach Cornwall spielt, formt ein bühnengroßer, U-förmiger Rahmen den Querschnitt eines Schiffes nach, und nur ein rechteckiges Fenster in der weißen Rückwand dieses Rahmens öffnet den Blick auf die hintere Bühne. Während des gesamten ersten Aufzuges sind die Seeleute in Gestalt des Chores ins „Off“ gerückt, und mit ihm sind sämtliche seefahrerischen Aspekte ebenso dorthin verbannt. Sie gehören nicht in diese Oper und sind sowieso im „Holländer“ besser aufgehoben. Als Hintergrund läuft über die gesamte Aufführungszeit in gedämpftem Schwarz-Weiß das bewegte Abbild langer Dünungswellen als Video ab, damit nicht nur die anfängliche Überfahrt kommentierend, sondern auch die Wellenform großer Emotionen symbolisierend.
Diese Inszenierung konzentriert sich von Anfang an auf die handelnden Personen und ihre Beziehungen untereinander. Szenische Handlungen im Sinne einer Geschichte spielen keine Rolle, und wo sie unvermeidlich sind, werden sie auf das Wesentliche reduziert. Das sorgt von vornherein für eine Fokussierung auf die Emotionen der Protagonisten.
Der erste Aufzug mit dem Gespräch zwischen Isolde und Brangäne (Katrin Gerstenberger) bietet dann auch beiden Sängerinnen alle Möglichkeiten, ihre stimmlichen Fähigkeiten zu beweisen. Magdalena Anna Hofmann zeigt bereits mit dem ersten Einsatz ihre außergewöhnliche Stimmkraft: kraftvoll und doch schmiegsam, selbst in den hohen Lagen nie schrill und auch in tieferen Lagen noch präsent. Katrin Gerstenberger ist in diesem – ja! – Zweikampf deutlich gefordert, hält aber ausgezeichnet mit, so dass dieser lange erste Aufzug sängerisch nie einseitig wird. Wenn Heiko Börner als Tristan und Julian Orbishausen als Kurwenal auftreten, haben sie noch nicht viel zu singen, doch in dem ersten Duett zwischen Isolde und Tristan fällt Heiko Börner dann deutlich gegen die Strahlkraft der weiblichen Stimme ab. Das ist jedoch verständlich, da Börner als zweiter Ersatzmann – bereits der ursprünglich vorgesehene Sänger wurde krankheitshalber durch einen zweiten ersetzt, der dann selbst am Premierentag erkrankte – erst im Laufe dieses Tages eintraf. Er hatte zwar diesen Part mit eben dieser Partnerin bereits vor einiger Zeit zwei Mal gesungen, aber das geradezu überfallartige Einspringen in letzter Minute hinterlässt natürlich Spuren hinsichtlich der Sicherheit und Präsenz. Mit zunehmender Spieldauer wurde Börne dann immer stärker.
Angesichts des puristischen Designs des Bühnenbildes fällt auf, dass einige Requisiten, die zur Geschichte der Protagonisten gehören, in billigen Umzugskartons heutiger Provenienz auf die Bühne kommen. Dieser Kontrast des Banalen mit dem Purismus kann nicht einem akuten Sparzwang geschuldet sein, er könnte aber als symbolische Geste der Regie hinsichtlich drohender Kürzungen der Kulturetats zu verstehen sein, sei es in Darmstadt oder anderswo. Die Regie belässt es dann auch bei diesem kritischen Nadelstich der Meta-Ebene.
Wenn man den zweiten Aufzug mit der ausgedehnten Liebesszene zwischen Tristan und Isolde als den absoluten Höhepunkt dieser Inszenierung empfindet, dann nur, weil man den letzten Aufzug noch nicht gesehen hat. Die musikalische und szenische Anspannung scheint nach dem zweiten Aufzug nicht mehr steigerbar zu sein, doch es geht, wenn auch mit einem etwas anderen, eher verklärenden Unterton. Vor allem Magdalena Anna Hofmann, aber zunehmend auch Heiko Börner, steigern sich stimmlich und darstellerisch zu einer immer dichter werdenden Intensität, die das Publikum in ihren Bann schlägt. Das Orchester unter der Leitung von GMD Daniel Cohen steigert diese sogartige Wirkung noch durch eine konzentrierte Intonation der langgezogenen Melodielinien von Wagners Musik. Bisweilen weiß man nicht, wo der größere Sog entsteht: bei dem Sängerpaar oder im Orchestergraben, doch dem musikalischen Sog kann man sich nicht entziehen.
Auch hier setzt die Regie wieder die Tanzgruppe ein, die im Hintergrund die Liebesszene zwischen den beiden Protagonisten tänzerisch nachbildet, jedoch stets derart zurückgenommen, dass sie nie die Handlung im Vordergrund überlagert oder gar stört. Mit dieser Maßnahme vermeidet die Regisseurin die Gefahr einer zu großen Statik der auf nur zwei Personen und ein Thema reduzierten Handlung.
Der dritte Aufzug bringt dann nach einmal so etwas wie eine spannende Handlung, wenn König Marke mit guten Absichten zu Tristans Burg eilt, aber Kurnewal dies als Angriff missversteht. Doch auch hier zielt alles auf die sehnlichst erwartete Ankunft Isoldes ab, wobei Heiko Börner als verzweifelter Tristan zu Hochform aufläuft. Und „Isoldes Liebestod“, den die beiden bereits im zweiten Aufzug als letzte Hoffnung auf das höchste Gut besungen haben, findet in der realen Theaterhandlung nicht statt. Zwar stirbt Tristan nach Isoldes Begrüßungskuss, doch sie beendet diese Oper nicht mit ihrem Tod, sondern mit dem leidvollen Vortrag ihres Abschiedsliedes. Damit setzt die Regie auch konsequent die Ambivalenz von Wagners Urfassung um, die auch keinen eindeutigen Doppeltod kennt. Mit ihren letzten Worten und den verklingenden leisen Akkorden des Orchesters schaut Isolde alias Magdalena Anna Hofmann ins Publikum.
Trotz einer fünfstündigen Aufführungsdauer und einer im Grunde genommenen sehr überschaubaren Handlung entstehen in dieser Inszenierung keinerlei Längen oder gar Langeweile. Jeder Augenblick ist angefüllt von intensivsten Emotionen aller Art: Freundschaft und Liebe, Demütigung und Zorn, Missgunst und Neid, Großherzigkeit. Das Ensemble bringt all diese „Alles oder nichts“-Emotionen über die gesamte Zeit überzeugend und mit großer darstellerischer Wucht auf die Bühne. Das Orchester schafft dazu einen musikalischen Rahmen, der auf die Gemüter der Zuhörer geradezu wie eine Droge wirkt. Alle Beteiligten leisten in dieser Inszenierung von der ersten bis zur letzten Minute Schwerarbeit, die man ihnen während der Aufführung jedoch nicht anmerkt. Erst die Reaktionen bei dem überwältigenden Schlussapplaus ließen die hohe Anspannung auf der Bühne erkennen.
Frank Raudszus
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