Dieser Tage jährt sich zum achtzigsten Male die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Das hat – wie viele andere Institutionen – auch das Staatstheater Darmstadt zum Anlass einer entsprechenden Programmgestaltung gemacht. Das „Trio Orelon“ – Judith Stapf(v), Arnau Rovira i Bascompte (vc) und Marco Sanna (p) – hatte für das 4. Kammerkonzert nicht nur eine Auswahl ernster Werke getroffen, sondern an zentrale Stelle die Komposition eines selbst vom Holocaust betroffenen Musikers gesetzt. Der jüdisch-polnische Musiker Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) verlor seine Familie in Auschwitz und konnte sich selbst nur mit Mühe nach Moskau retten, wo er 1945 sein Klaviertrio op. 24 komponierte.
Den Beginn machte – entgegen der Auszeichnung im Programmheft – jedoch Wolfgang Rihms „Fremde Szene III für Violine, Violoncello und Klavier“ aus dem Jahr 1984, da man es laut expliziter Aussage von Frau Stapf in ihrer kurzen Einführung nicht als „Nachtrag“ nach Weinbergs Stück vor der Pause hätte spielen können. So leitete Rihm den Abend ein und legte sozusagen gleich eine Stimmungsspur für den Abend.
In Rihms „Szene III“ stehen Klang und Kontraste im Vordergrund. Motive oder gar klassische Themen mit Vorstellung und Durchführung gibt es hier nicht. Eine äußerst feine Violinstimme mit fast nur einem Ton eröffnet das Stück, und das Klavier setzt einzelne klare Töne oder knappe Akkorde dagegen. Es folgen kurze Figuren der einzelnen Instrumente, die sparsam aufgenommen werden, aber ohne längere Tongruppen oder gar Melodien zu bilden. Tonale Strukturen im herkömmlichen Sinne sind nicht zu erkennen, doch kann man das Stück auch nicht als atonal bezeichnen. Die drei Instrumente bilden durchaus ein auch harmonisch kompatibles Trio, obwohl man hier den Begriff der Harmonie nicht im klar definierten herkömmlichen Sinn anwenden sollte. Rihm hat mit der Zerrissenheit und Spontanität dieses Stücks in gewisser Weise eine Hommage an Robert Schumann verfasst, der in seiner Kammermusik ebenfalls die Verwirrung und Wechselhaftigkeit der Gefühle musikalisch abgebildet hat. Erstaunlich war die Abgeklärtheit und Disziplin, mit der das noch junge „Orelon“-Trio diese abgründige Musik vortrug. Selbst die kurzen Ausbrüche vor allem am Klavier waren nie effekthaschend sondern stets ins sparsame Konzept des Stücks eingebunden.
Es folgte das zentrale Stück dieses Abends, das bereits erwähnte Klaviertrio von Mieczyslaw Weinberg. Es beginnt mit einem einfachen, durch die Instrumente wandernden Motiv, das sich dann aber auflöst wie ein Lebensplan durch äußere Katastrophen. Weinberg ging es in dieser Komposition vor allem um die musikalische Darstellung dystopischer Gefühle wie Einsamkeit, Leere und Trauer. Doch findet man hier keine vordergründigen Klagelieder wie etwa in der Barockmusik, sondern diese Trauer zieht sich wie ein nicht fassbares Strukturelement durch das ganze Stück. Sie beinhaltet weitere entleerte Emotionen, die in ihrer Aussagekraft kaum konkretisierbar sind und letztlich der Erfahrung nie gekannter Katastrophen entspringen. Streckenweise wirkt die Musik wie das tonalisierte Grauen, ohne den üblichen Crescendo-Aufschrei oder die klagend absteigenden Melodielinie. Weinberg hat in diesem Stück das eigene seelische Befinden im Frühjahr 1945 in tonale Figuren gegossen, die eine Ahnung von den verheerenden Folgen des Krieges und vor allem des Holocausts vermitteln. Die sich durch alle vier Sätze ziehende Verlorenheit ist gleichzeitig als Klage über den Verlust der Menschlichkeit zu verstehen. Selbst der Finalsatz – in der romantischen Wehmutsmusik stets ein Zeichen der Hoffnung – lässt nur einen schwachen Schimmer von Zuversicht erkennen.
Das „Trio Orelon“ intonierte diese so schwierige Musik mit höchster Konzentration und vermied dabei – Zeichen des musikalischen Könnens! – ein Abgleiten einerseits in die Sentimentalität und andererseits in den „professionellen“, sprich: indifferenten Vortrag. Vom ersten bis zum letzten Satz übertrug sich diese existenzielle Verlorenheit auf das Publikum, das dieser Interpretation atemlos und ohne jegliches Husten lauschte. Der anschließende Beifall benötigte einige Sekunden Anlaufzeit – eine Ehrerbietung an das Stück und seine Interpreten -, steigerte sich dann aber zu einer Manifestation der Begeisterung.
Nach der Pause hätte es durchaus fröhlicher zugehen können, und so manches Ensemble hätte das zwecks Auflockerung auch getan. Doch das Trio versagte sich dieses Zugeständnis an einen vermeintlichen Publikumsgeschmack und lieferte mit Antonin Dvoraks Klaviertrio Nr. 3 in f-Moll ein ebenfalls eher melancholisches Stück ab. Es ist zwar nicht vergleichbar mit Weinbergs Endzeitmusik, aber spiegelt doch die typische k.u.k.-Melancholie des „Fin de siècle“ wider. Zwar schimmert immer wieder ein wenig die Wiener Kaffeehausmusik durch, doch selbst diese trug ja melancholische Züge. Auf der anderen Seite kommt diese Melancholie bei Dvorak stets mit etwas Schwärmerischem daher. Den zweiten Satz prägen anfangs leichtfüßige und fast tänzerische Passagen, die dann jedoch langsam in ernsthafte, gar nicht mehr heitere Motive übergehen. Der dritte Satz – Poco adagio – beginnt mit einem elegischen Cello-Auftritt und verbreitet Abschiedsstimmung und eine latente Melancholie, während der vierte Satz einen etwas schwergängigen Aufschwung präsentiert, als wolle er die Schwierigkeit einer echten emotionalen Hoffnung am Ende des 19. Jahrhunderts beweisen.
Auch diese Welt- und Lebenssicht der späten k.u.k.-Welt brachte das Trio überzeugend und ohne jegliche Effekthascherei zum Ausdruck und erntete dafür kräftigen Beifall. Doch als ob sie aus schlechtem Gewissen wegen all der musikalischen Schwermut doch noch etwas Aufheiterndes liefern wollten, spielte das Trio als Zugabe noch ein Stück von Fritz Kreisler, das nun wirklich nur Wiener Kaffeehaus-Melancholie in schöner Verpackung serviert.
Frank Raudszus
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