Diese abgewandelte Gretchenfrage steht als Motto über der Inszenierung von Helge Schmidts Kampfschrift „Unser Erbe: Tax me if you can“ im Staatstheater Wiesbaden. Die vom Regieteam um Helge Schmidt selbst als „Collage“ bezeichnete Bühnenversion eines durchaus relevanten gesellschaftlichen Anliegens geht der Frage nach der Gerechtigkeit in der Steuergesetzgebung und -anwendung nach und dekliniert das Thema systematisch an verschiedenen fiktiven und realen Fällen durch.
Eine Bewertung dieser Produktion erfordert verschiedene Perspektiven, da es hier nicht – wie sonst im Theater – um existenzielle menschliche Probleme sondern um von Menschen gemachte Gesetze und deren Auswirkungen geht. Darüber steht von vornherein die Frage nach „richtig“ oder „falsch“ bzw. „gut und „böse“ im Raum, und das Theaterteam präsentiert hierzu eine eindeutige Meinung. Es geht hier nicht um den Diskurs über eine grundsätzliche Frage, nämlich die der Berechtigung und Ausgestaltung staatlicher Steuern, sondern um die moralische Brandmarkung einer als unsozial erkannten Steuermoral.
Die erste Perspektive blickt auf die Bühne als Raum einer erzählten Geschichte. Doch die findet hier nicht statt, sondern es folgt ein längerer Exkurs über Erbschafts- und Vermögenssteuer und die Möglichkeiten ihrer – legalen! – Vermeidung. Das führt dann zu einer gravierenden Textlastigkeit des Stücks, die das Darstellerteam – Evelyn M. Faber, Franz Kemter, Martin Plass, Felix Strüven und Sandrine Zenner – durch verteilte Rollen und einige Slapstick-Einlagen nur partiell auflösen kann. Man fühlt sich oft in eine aktivistische Podiumsveranstaltung zum Thema der Steuermoral vor allem der wohlhabenderen Schichten versetzt, die das Publikum mit beschämenden Zahlen und Ausweichstrategien konfrontiert. Der Gefahr der Ermüdung und des inneren Abschaltens des Publikums begegnet das Bühnenteam mit Lautstärke, ganz wie bei entsprechenden Reden im und vor dem Bundestag.
Die zweite Perspektive bezieht sich auf die Inhalte. Hier geht es anfangs um die Erbschaftssteuer und das allbekannte Spiel ihrer Umgehung. Um von vornherein irgendwelche Grauzonen der Diskussion auszuschließen, geht es im ersten Fall um das Erbe eines fiktiven älteren Ehepaares an Kinder und Enkel in Höhe von fast zehn Millionen Euro. Damit liegt man deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 350.000 € und kann sich der entsprechenden Solidarität im Publikum sicher sein. Die Freibeträge und deren „Auffrischungen“ werden in satirischer Schärfe am Beispiel einer egoistischen, geradezu habgierigen Familie durchgespielt und dem Publikum empörungsheischend präsentiert. Nach diesem Prinzip geht es weiter zum realen Fall des Springer-Chefs Döpfner, der durch komplizierte Konstruktionen angeblich eine Milliarde Euro steuerfrei geschenkt bekam. Die Einschränkung „angeblich“ ist auf die in der Schnelle des Vortrags kaum noch nachzuvollziehende Vorgehensweise zurückzuführen. Auch hier schlägt die Empörung auf der Bühne hohe Wellen, wenn auch satirisch gut verpackt.
Weiter geht es dann zur Vermögenssteuer allgemein, wobei man sich wieder in Größenordnungen bewegt, die jegliche Zweifel bezüglich eventueller Grauzonen im Keim ersticken sollen. Dabei fallen gerne Namen wie Aldi und Quand, Paradebeispiele „hochvermögender“ Deutscher. Um die Empörung noch zu steigern, greift Regisseur Schmidt in bewährter Manier auf einen Vortrag Adolf Hitlers vor Industriemagnaten im Jahr 1933 zurück, der zwar nichts mit dem gegenwärtigen Steuersystem zu tun hat, aber die „Reichen“ nicht nur latent in die Nähe der Nationalsozialisten rückt. Dass sich die wegen ihrer Brutalität berüchtigte SA gerade nicht aus diesen Kreisen rekrutierte, spielt in diesem Kontext natürlich keine Rolle.
Als wissenschaftliche Unterstützung der aktivistischen Steuersicht hat man noch einige Experten und Aktivistinnen per Video hinzugezogen. Ein Professor, selbst natürlich aus kleinen Verhältnissen stammend, argumentiert mit durchaus nachvollziehbaren sozialen Gründen engagiert für höhere Erbschaftssteuern und greift die vielen Ausnahmen an, während zwei einschlägige Aktivistinnen eine härtere Gangart wählen und die derzeitige Situation auf dem Markt der Erbschafts- und Vermögenssteuer geradezu skandalös nennen. Eine von ihnen versteigt sich sogar zu der Bemerkung, ein Land, in dem ein von der Vermögenssteuer bedrohter Unternehmer seinerseits mit der Verlagerung ins Ausland drohe, sei nicht mehr ihr Land. Die unausgesprochene Lösung dazu lautet dann: lasst ihn nicht hinaus und baut notfalls eine Mauer – mit Stacheldraht nach innen natürlich. Hatten wir alles schon.
Als einziger Gegenpol oder „Alibi-Industrieller“ in diesen Video-Beiträgen dient Reinhard Ernst, der mit dem Erlös für den Verkauf seiner Firma das „Museum Reinhard Ernst“ in Wiesbaden baute und es sozusagen der Öffentlichkeit schenkte. Doch auch er wird als „Reicher“ nicht explizit gelobt, zumal er in seinem Video-Vortrag weder eine Erhöhung der Erbschaftssteuer noch eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer fordert. Er beschränkt sich auf sein persönliches Bedürfnis, der Gesellschaft für seinen Erfolg etwas zurückzugeben.
So geht dieser Abend in ungestörter Einseitigkeit zu Ende, da keine nachvollziehbaren Gründe für die gegenwärtige Steuersituation angeführt werden. Natürlich sind die Steuervermeidungen in höchsten Geldkreisen eine echtes Problem, das behoben werden muss, aber das begründet noch keine generelle Verschärfung der Steuern auf Erbschaften und Vermögen. Beide stammen in den meisten Fällen aus gespartem Nettoeinkommen, und eine weitere Steuer auf dieses „Netto-Vermögen“ wäre eine Art Enteignung. Dass mittlere Familienunternehmen beim Übergang auf die nächste Generation die Last der Steuern in vielen Fällen aus den Gewinnen nicht leisten können, erscheint nur in einem polemischen Nebensatz, der eher zum Lachen reizen soll. Und dass ein Einfamilienhaus in ehemaliger Stadtrandlage jetzt mit einer innerstädtischen Lage eine von den Besitzern nicht leistbare Vermögenssteuer begründen könnte, wird als polemischer Witz über „Omas Häuschen“ verlacht. Kurz: die Reichen sitzen mit den Politikern in einem Boot und waschen sich gegenseitig die Hände. – Wie schön übersichtlich und einfach „böse“ ist doch diese Welt!
Das Publikum dünnte zwar während der Vorstellung etwas aus, doch der verbleibende Rest spendete kräftigen Beifall, wohl wegen der ansprechenden Leistungen des Ensembles auf der Bühne.
Frank Raudszus
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