Das Meer hat die Menschen seit je fasziniert – was liegt da näher, als beide bildlich aneinander anzunähern. Millionen von Urlaubern tun das jährlich während des Sommers an den einschlägigen Stränden mit mehr oder minder lustigen Photographien für die eigene Erinnerung und die Selbstinszenierung bei anderen.
Die niederländische Photographin Rineke Dijkstra hat diese „Portraits vor Meereskulisse“ jetzt auf eine künstlerische Ebene gehoben, indem sie zufällig ausgewählte Personen einzeln oder in Gruppen am Meeresstrand abgebildet hat. Die Idee dazu entstand nach einer anstrengenden medizinischen Rehabilitation mit Ausdauerschwimmen. Als sie sich nach einem solchen Schwimmprogramm erschöpft abbilden ließ, übte dieses „anti-touristische“ Foto einen solche authentische Wirkung auf sie aus, dass sie beschloss, ähnliche Fotos mit beliebig ausgewählten Personen als künstlerische Werke zu produzieren. Dabei ging es ihr um gerade diese Authentizität, die mit den typischen Urlaubs-Selfies zwar bezweckt, aber nie erreicht wird.
In klassischen Gemälden konnten – und können – Künstler ihre Werke dank auktorialer Macht beliebig entwerfen, ändern oder verwerfen, bis es ihren Vorstellungen oder einem gewählten Prinzip entspricht. Das ist bei der Photographie nicht der Fall. Im Moment des „Knipsens“ werden die Dinge so festgehalten, wie sie gerade sind oder sich dem Betrachter darstellen. Licht und Schatten, Helligkeit und Farben bilden ein einmalige Konstellation, deren Ausdruckskraft es intuitiv zu erfassen und festzuhalten gilt. Die Kunst der Photographin besteht also darin, die richtige Position und den richtigen Augenblick zu finden, um eine besondere, im Idealfall einzigartige Wirkung zu erzielen.
Dazu begab sich Dijkstra an Strände an der Ostküste der USA, in Belgien, in der Ukraine sowie in Polen und stellte ihre professionelle Kamera am Strand auf. Die Neugierde der Strandgäste nutzte sie zur spontanen Anwerbung von Modellen und hatte Erfolg damit, wie die Ausstellung „Beach Portraits“ im Frankfurter Städel-Museum zeigt.
Die 27 ausgestellten Fotographien zeigen durchweg Alltagsmenschen in Badebekleidung, die in möglichst natürlichen, ihrem Wesen entsprechenden Posen vor die Kamera treten. Die künstlerische Leistung Rineke Dijkstras bestand gerade darin, diese Authentizität aus den – in gewisser Weise naiven – Menschen herauszuarbeiten. Dazu gehört vor allem das Verbot des Lächelns, das ja als ein Zeichen der Gefallsucht gilt und die eigene Wirkung bewusst stärken soll. Ob Kinder, Halbwüchsige oder Erwachsene – die Modelle tragen durchweg einen Gesichtsausdruck zur Schau, der ihren inneren Seelenzustand wenn nicht sogar ihren Charakter widerspiegelt. So kann man sich diese Personen auch im Kreis ihrer engsten Bezugspersonen – Familie – oder gar beim Alleinsein vorstellen.
Besonders haben es der Künstlerin die Kinder und Halbwüchsigen angetan, die noch um ihre Identität ringen und ihre Selbstzweifel unmittelbar in der Physiognomie ausdrücken, während Erwachsene es gelernt haben, eine unbeteiligte, vermeintlich souveräne Miene zur Schau zu stellen. Da sieht man pubertäre Jungs, die genau auf der Schwelle zwischen Kind und Mann stehen und mit martialischen Mienen das Mannsein markieren wollen, oder junge Mädchen, die fragend und trotzig in die Kamera blicken. Auch die Körperhaltung ist wichtig, und hier schaffte es Dijkstra, die erwünschte Authentizität durch wenige Ratschläge oder Hinweise Körperhaltungen zu erzielen, die nie ungelenk aber auch nie gestellt wirken. In gewisser Weise transportieren sie dieselben Ich-Botschaften wie die Gesichtsausdrücke. offensichtlich ist es Dijkstra dabei gelungen, gar nicht erst den Eindruck zu erzeugen, hier handele es sich um Kunst, für die man sich besonders „anstrengen“ müsse. Die meist jungen Menschen wirken in ihrem Ausdruck einfach überzeugend und authentisch.
Die Ausstellung ist bis zum 18. Mai 2025 geöffnet. Näheres ist auf der Webseite des Städelmuseums zu erfahren.
Frank Raudszus
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