Wenn das Fallen immer so lustvoll wäre…

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„Falling in Love“ heißt die aktuelle Show des Berliner Friedrichstadt-Palastes. In diesem Etablissement, wenn man es denn so nennen darf, geht es stets ausgesprochen lustvoll, farbenfroh und – ja! – auch wild zu. Das Fallen gehört zu dieser aktuellen Show geradezu als Grundbedingung dazu, einerseits wegen des Titels und der Erfahrung, dass man bisweilen hilflos der Verliebtheit verfällt, andererseits, weil das „Fallen“ auch akrobatisch explizit vorgeführt wird.

Dieses Fallen nahm an diesem 7. November jedoch geradezu die Züge eines Omens an, da am Tag vorher nur wenige Meter entfernt das politische Fallen ins Bodenlose geübt worden war. Das versprühte jedoch bei bei weitem nicht den Witz und die Leichtigkeit des Pendants im Friedrichstadt-Palast. Eine Parallelität der Kontraste halt.

Eins Szene der Tanzgruppe

Die Handlung dahinter ist eher schlicht, wenn nicht banal, doch gesättigt von aufmunternder Moral: Der taubstumme You taumelt ziellos durchs Leben und wird von den drei Farben Rot, Grün und Blau eingeladen, ihrer jeweiligen Welt beizutreten. Spontan drängen sich aktuelle politische Analogien auf, wenn auch „Blau“ eher als bedenklicher Kontrast dazu passt. Doch Kostüme und Illumination suggerieren andere Assoziationen. „Blau“ kommt hier mit schwebend tanzenden hellblauen Nymphen daher und steht wohl für Himmel und Luft, während die temperamentvoll lebensfroh tanzenden „Grünen“ (nicht politisch gemeint!) Erde und Natur darstellen. Da bleibt dann für das höllisch leuchtende und zuckernde „Rot“ nur das mephistophelische Reich der Unterwelt übrig.

Doch die Inszenierung hütet sich davor, diese Analogien szenisch und gesanglich weiter auszubauen, sondern spielt die Anordnung als märchenhafte Traumhandlung durch. Die drei Farben sind demnach nur – ideologische? – Reduktionen einer vielfältigen Welt. Folgerichtig schüttelt You den Kopf und entscheidet sich lieber für ein trostloses Dasein in Einsamkeit. Doch dann lernt er die rebellische Me kennen, die sich ebenfalls von dieser klar gegliederten Welt des Scheins getrennt hat und lieber in einer grauen Zwischenwelt lebt, um ihr wahres Ich zu finden. Sie verlieben sich ineinander und finden gemeinsam den „Garten der LIebe“, der mit seiner farbenfrohen Vielfalt jedem Lebensentwurf eine Chance und Daseinsberechtigung gibt.

Die Botschaft dieser Geschichte ist eindeutig und bebildert die heutige Forderung – oder Sehnsucht? – nach Diversität und Partkularität. Dass diese Moral recht holzschnittartig daherkommt, ergibt sich aus der Tatsache, dass es hier nicht um problemorientiertes Sprechtheater geht, sondern um sinnenfrohe Unterhaltung. Und da ist es immer noch besser, man unterlegt dieser Handlung ein gewisses Maß an zeitgeistiger Moral, als nur die Sinnlichkeit mit einschlägigen Mitteln aufzugreifen.

„Léon“, der Herrscher des „Gartens der Liebe“

Und das tut diese Show auf überzeugende Weise. Es beginnt schon mit der Beleuchtung, die anfangs mit allen Mitteln die drei Farben spielen und miteinander konkurrieren lässt, und setzt sich fort in den originellen und farbenfrohen Kostümen der Hauptpersonen und des Tanzensembles. Die „blaue“ Dame erinnert ein wenig an Mozarts „Königin der Nacht“, auch wenn sie statt Koloraturen modernen Pop singt, ihre „grüne“ Konkurrentin kommt in einem Reifrock-Gerüst daher, das man durchaus als Parodie der ideologischen Rüstungen ihres politischen Pendants verstehen kann. „Rot“ kommt dann als Mann mit allerdings roter Trump-Locke und -Selbstbespiegelung daher, wobei diese Analogie im Auge des betrachtenden Rezensenten entstand und nicht plakativ aufgedrängt wird.

Die exzellente Tanzgruppe tritt in unterschiedlichsten Kostümen und Konstellationen auf, wobei besonders die exakte Choreographie in hautengen schwarzen Bodys und weißen Handschuhen und mit perfekt synchronisiertem Beine-Schwingen beeindruckt. Aber auch der Tanz in farbenfrohen, von formreichen Luftballons umgürteten Badeanzügen einschließlich Bad in einem kleinen Pool erntete großen Beifall des Publikums. Diese beiden Choreographien sind nur hervorstechende Beispiele einer ausgesprochen einfallsreichen und farbenfrohen Inszenierung des Tänzerischen.

Dazu liefern zwei Akrobatengruppen atemberaubende „Stunts“. Die eine, sehr athletisch gebaute Turner, zeigt eine gemeinschaftliche Kraftchoreographie, bei der die Akrobaten in den schwierigsten Konstellationen auf- und übereinander stehen und noch einarmige Handstände als “i-Tüpfelchen“ dazu zelebrieren. Die andere Gruppe besteht aus knapp einem Dutzend Trampolinspringern, die auf diesem Gerät die abenteuerlichsten Sprünge einschließlich diverser Salti und scheinbarem Hochlaufen an Wänden vorführen, die dem Publikum glatt den Atem nahmen.

Dieser Farb-, Tanz- und Kraftrausch macht es den beiden Hauptpersonen schwer, sich zu profilieren, denn einerseits darf You als Taubstummer nicht singen, sondern sich nur mit einer Art Gebärdensprache zur poppigen Musik ausdrücken, andererseits ist Me auf ihre gesungenen Texte reduziert, die den beschränkten Identitätshaushalt der RGB-Welt beklagen. Aber die eher ruhigen Passagen des zentralen Duos sind vielleicht bewusst als Kontrast zu dem temporeichen Sinnenspiel von Musik und Tanz angelegt. Denn auch die Musik rekrutiert sich großenteils aus aktueller Popmusik, die oft ein wenig an Michael Jackson erinnert und den Raum mit Dynamik auflädt, ohne allerdings alles akustisch niederzuwalzen. Der Regie gelingt es, Tempo, Witz und Nachdenklichkeit gut gegeneinander auszubalancieren, und man meint, dahinter die Absicht zu erkennen, die wilde – und bisweilen einseitige – Sinnlichkeit früherer Shows ein wenig zurückzufahren. Da mögen die Erfahrungen mit Corona und der allgemeinen Weltlage eine gewisse Rolle gespielt haben.

Diese Show lohnt wirklich einen Besuch der Friedrichstadt-Palastes, und wer sie noch nicht gesehen hat, sollte sich nach Karten erkundigen.

Frank Raudszus

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