Mit der Produktion „Butchposition“ nach dem Roman „Stone Butch Blues“ von Leslie Feinberg nimmt das Staatstheater Darmstadt das Thema der geschlechtlichen Identität mit dem Schwerpunkt „queerer“ Personen auf. Dabei spielen Homosexuelle eine untergeordnete Rolle, obwohl sie hinsichtlich Diskriminierung durchaus Erwähnung finden. Doch geht es hier nicht um eine Romanfassung für die Bühne, sondern um eine multimediale, interaktive Installation auf offener Bühne. Dabei treten die Darsteller Jasha Eliah Deppe, Mona Kloos und Stefan eher als vortragende, singende und tanzende Moderatoren denn als Romanfiguren auf.
Schon vor Beginn sitzen die drei auf den kargen Stufen des Zuschauersaales – Stühle gibt es bewusst nicht – in Glitzerroben, die an einschlägige Clubs erinnern, und begrüßen das eintreffende Publikum mit Smalltalk. Bildschirme und regenbogenfarbige Wandgemälde bilden die Kulisse. Dann begrüßen sie das Publikum mit freundlich belehrenden Worten über den Inhalt der kommenden neunzig Minuten. Wie in einem Hochschulseminar folgt eine kurze Vorlesung aus dem Programmheft über Geschlechtsidentitäten, wobei ein leicht aufgesetzter Humor („Macht Eure Lauscherchen auf“) das vermeintlich jugendliche Publikum gewinnen soll. Die freie Platzwahl wird noch einmal unterstrichen und dahingehend erweitert, dass die freie Bewegung während der gesamten Spieldauer nicht nur erlaubt, sondern sogar empfohlen wird. Anschließend werden Kopfhörer mit drei Kanälen verteilt, auf denen die drei Akteure ihre jeweiligen Texte zu musikalischer Untermalung sprechen.
Diese stammen aus dem bereits erwähnten Roman „Stone Butch Blues“, in dem Leslie Feinberg die Probleme junger Menschen ungeklärter geschlechtlicher Zuordnung in den siebziger Jahren in den USA schildert. Wegen ihres unklaren geschlechtlichen Bildes werden sie diskriminiert, finden keine vernünftige Arbeit und müssen sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Die vorgetragenen Textstellen erscheinen gleichzeitig auf einem Bildschirm und handeln im wesentlichen von öden Kneipenaufenthalten und latenten Streitigkeiten von vier sexuell durchweg nicht-binären und daher stark verunsicherten jungen Leuten, die sich – entgegen der spontanen Verortung ihrer Vornamen – mal mit „er“, mal mit „sie“ anreden. Das Ganze wird angereichert mit Musik der späten Sechziger und frühen Siebziger mit entsprechenden Textbezügen.
In diesem Zusammenhang spielt auch der New Yorker „Queer“-Klub „Stonewall Inn“ eine Rolle, da sich dort im Jahr 1969 zum ersten Mal queere Menschen massiv gegen eine als unbegründet empfundene Polizei-Razzia wehrten. In der queeren Gemeinde gewann „Stonewall Inn“ im Laufe der Jahrzehnte geradezu Kultstatus, der sich auch in seiner zentralen Rolle als Referenzobjekt in diesem Stück widerspiegelt.
Natürlich darf dann auch der Hinweis auf den Klassenkampf nicht fehlen, denn Diskriminierung ist offensichtlich ein Auswuchs des Kapitalismus. Außerdem leiden alle queeren Personen nach dieser Sicht an einem Erinnerungsproblem, da ihre kindliche, noch ungeschlechtliche Weltsicht durch die nicht-binäre Entwicklung ge- und zerstört wurde. Man benötigt daher ein Archiv, das die Erinnerung für queere Menschen speichert und für Konsistenz. Dieses, im Stück in Berlin angesiedelte Archiv ist denn auch Bestandteil der vorgetragenen Texten.
Dieser Reigen von vorgetragenen Texten und szenenartigen Dialogen der drei Darsteller wird durch spontane Tanzeinlagen und Lieder aufgelockert, so dass über die gesamten neunzig Minuten trotz des aktivistischen Themas eine lockere Partystimmung herrscht. Die wird noch durch die Ausgabe eines nicht-alkoholischen Getränks – der Rezensent ging leer aus! – und verschiedener Accessoires mit Bezug auf das Thema intensiviert, und die Moderatoren ermuntern das Publikum, mit anderen Anwesenden das Gespräch über das Grundthema aufzunehmen.
Soweit, so gut, könnte man sagen, da es um ein nicht-triviales Thema mit Gerechtigkeitsbezug geht. Doch einige kritische Anmerkungen drängen sich auf.
Warum wählte man einen Roman, der die Zustände in den USA und dann noch vor über fünfzig Jahren beschreibt? In der Zwischenzeit hat sich die Einstellung gegenüber queeren Personen deutlich geändert, bis hin zum „Christopher Street Day“ und zur selbstbestimmten Geschlechtszuordnung ab dem vierzehnten Lebensjahr in Deutschland. Da heute sogar Prominente ihre sexuelle Orientierung offenlegen, stellt sich das Diskriminierungsproblem ganz anders dar, und vor allem klassenkämpferische Argumente dürften wohl zum alten Eisen gehören. Hier aber wird der soziale Abstieg wegen der sexuellen Orientierung beschworen. Das löst dann zwar Betroffenheit aus, entspricht aber nicht den aktuellen Verhältnissen.
Ähnlich verhält es sich mit der Präsentation des Stoffes. Offensichtlich will man weder eventuelle Betroffene bloßstellen noch das Publikum verschrecken und bietet daher eine weichgezeichnete Darstellung des queeren Themas. In den Texten ist nur von Biertrinken und sozial-finanziellem Frust die Rede, doch gerade die Sexualität, in der anfänglichen Moderation explizit genannt und in den betreffenden Kreisen gerade wegen der Ungeklärtheit ein großes Thema, kommt hier gar nicht zu Wort. Statt hier konkret – und eventuell auch deutlich – zu werden, verbleibt man im freundlichen Smalltalk über die „ach so diskriminierten“ queeren Menschen. Das führt dann angesichts der Dauer und der fehlenden Kontraste zu einem mehr oder minder netten Revue-Abend mit Augenzwinkern und viel soziologischer Belehrung. Man fühlt sich am Ende wie nach einem pädagogischen Volkshochschulkurs über nicht-binäre Geschlechtsbilder, wenn auch mit unterhaltsamen Einlagen.
Frank Raudszus
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