Das erste Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt kam mit großen Namen daher – Mozart und Maderna. Der eine aus dem 18., der andere aus dem 20. Jahrhundert. Außer der – eher zufälligen – Alliteration der Namen zeigten die beiden Komponisten zumindest in diesem Konzert noch weitere Gemeinsamkeiten. Beide waren schon früh musikalische „Wunderkinder“, die später der jeweils herrschenden Musikauffassung neue Wege wiesen. Mozart setzte dem selbst bei Haydn noch ansatzweise vorhandenen gravitätischen Musizieren des Barocks ein Ende und folgte mit metrischer und harmonischer Dynamik, mit plötzlichen Tempowechseln und Fermaten nur noch der immanenten Logik der Musik. Maderna löste sich in den sechziger Jahren ebenfalls von den deterministischen Regeln der seriellen (Zwölfton-)Musik und wandte sich dem Zufallsprinzip der Aleatorik zu. Da er die letzten dreißig Jahre seines Lebens in Darmstadt verbrachte, genießt er hier einen besonderen Stellenwert.
Das Konzert unter der Leitung von GMD Daniel Cohen war nach einem Rahmenprinzip strukturiert, das Maderna sozusagen in Mozart einschloss. Zwei Mozart-Sinfonien „umarmten“ zwei improvisatorische Versionen desselben Maderna-Stücks, wobei jeweils eine kammermusikalische Interpretation am Anfang stand.
Mozart komponierte seine Sinfonie Nr. 29 in A-Dur (KV 201) im Jahr 1774 als Achtzehnjähriger und folgte dabei noch weitgehend seinen Vorbildern Joseph Haydn, Johann Christian Bach und Johann Adolph Hasse. Die Violinen dominieren weitgehend das musikalische Geschehen und sorgen für eine helle Klangfärbung. Celli und Bratschen begleiten eher, und die Hörner als einzige Blechbläser kommen erst im dritten Satz zum Einsatz. Die erste Violine führt mit kurzen Soloauftritten durch das anmutige melodische Geschehen, und das Ganze vermittelt eine kammermusikalische, um nicht zu sagen „familiäre“ Atmosphäre. Erst im Finalsatz melden sich die tieferen Streicher als eigene Gruppe mit markantem Gegenpart zu den Violinen. Daniel Cohen sorgte dafür, dass diese Sinfonie genau in diesem – fast – kammermusikalischen Rahmen blieb und nicht zu falscher Fülle auflief.
Das gehörte auch zur musikalischen Strategie dieses Konzerts, denn Bruno Madernas „Serenata per un Stellite #1“ aus dem Jahr 1969 war bewusst kammermusikalisch ausgelegt. Gerade einmal ein Dutzend Akteure – darunter eine Violine, eine Harfe, eine Oboe, eine Flöte, eine Klarinette, eine Gitarre, eine Frauenstimme und zwei Vibraphone – verloren sich auf der großen Bühne und kamen punktuell als Solisten zum Einsatz. Die auf der Bühnenrückwand abgelichtete Partitur zeigte nicht das typische Notenbild, sondern eher eine Graphik aus kreuz und quer gesetzten Notentexten, die in beliebiger Reihenfolge zu spielen waren. Diese ware für diese Aufführung festgelegt worden, und die Musiker improvisierten dann über das jeweilige Notenbeispiel. Das Ganze wirkte tatsächlich wie ferne Sphärenklänge, wie sie vielleicht für einen SF-Film über das Weltall hätten erdacht werden können. Und diese Assoziation kommt nicht von ungefähr, denn das Stück war für den Start eines Satelliten der ESA komponiert worden. Die Musiker konnten denn auch all ihre interpretatorische Phantasie und Kreativität in die kurzen Improvisationen legen.
Nach der Pause erklang dann die Serenata in der Version „#2“ gleich noch einmal, nun aber mit voll ausgestattetem Orchester mit klassischer Ausstattung. Nach einem kammermusikalischen Beginn mit einem einsamen Horneinsatz entwickelt sich im Hintergrund ein ostinater Grundklang, dann setzen die Vibraphone ein, wobei das Zerknüllen einer Zeitung einen besonderen Geräuscheffekt hervorruft. Plötzlich und schroff meldet sich das Orchester mit zum Teil harten Figuren, dann wieder erscheint die Klarinette einsam am leeren Klanghimmel, bevor die Serenata in einem furiosen Klangteppich des gesamten Orchesters endet.
Dieses Tutti-Erlebnis führte dann fast zwangsläufig zum letzten Werk dieses Abends, Mozarts „Jupiter“-Sinfonie in C-Dur (KV 551) aus dem Jahr 1788. Hier konnte man sehen, welche Entwicklung Mozart in diesen vierzehn Jahren durchlaufen hatte. Nicht nur war das Orchester deutlich größer, sondern die Stimmenvielfalt und die Strukturen der jeweiligen instrumentalen Figuren waren wesentlich komplexer, verschachtelter und thematisch wie metrisch und harmonisch miteinander verschränkter als bei der frühen Sinfonie. In dieser Sinfonie schlägt sich Mozarts Befreiung von den Einschränkungen und Vorgaben der höfischen Musik nieder. Hier macht jemand Musik nicht für die Unterhaltung einer gnädigen Oberschicht sondern einzig allein aus musikalischem Selbstzweck. Man interpretiert dann die kaiserlichen Ermahnung an Mozart, „nicht so viele Noten“ zu schreiben, durchaus als etwas unwilliges Unverständnis dieser ästhetischen Emanzipation.
Hervorzuheben an dieser Interpretation des Darmstädter Orchesters ist einmal die innige Intensität des zweiten Satzes („Andante cantabile“), aber auch der tänzerische Schwung des Menuetts und natürlich die Energie und Spannung des Finalsatzes begeisterten das Publikum, das nach dem letzten Akkord einige Sekunden benötigte, um in den Applaus auszubrechen. Fast überflüssig zu sagen, das die Intonation in jeder Hinsicht überzeugte, ebenso wie die Präzision und die klare Transparenz des gesamten Klangkörpers.
Eine perfekte Mischung aus herkömmlicher Klassik und moderner Musik des 20. Jahrhunderts, ohne dass man eine dieser beiden Komponenten missen möchte.
Frank Raudszus
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